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Weitere Geiseln im Libanon bedroht

■ Libanesische Schiitengruppen stellen erneut Ultimaten / Hizbollah lehnt Ringtausch ab / Forderung nach Freilassung Obeids / Israelisch-amerikanischer Schlagabtausch / Schamir verteidigt Entführung von Scheich Obeid / US-Flugzeugträger vor Libanons Küste

Jerusalem/Washington (ap/afp) - Unter dem Druck neuer Ultimaten, in denen die Ermordung westlicher Geiseln im Libanon angedroht wurde, hat die israelische Regierung gestern Härte demonstriert. „Israel hat nicht die Absicht, Ultimaten oder Drohungen terroristischer Gruppen nachzugeben und Scheich Obeid freizulassen“, sagte Allon Liel, Sprecher des Außenministeriums. Ministerpräsident Jizchak Schamir brach erstmals sein Schweigen und sprach von Kontakten, die zu einem Austausch aller schiitischen Gefangenen in Israel und israelischen Soldaten sowie westlichen Geiseln im Libanon führen sollen. Ein Geiseltausch sei nach wie vor aktuell.

Die libanesische Schiitenorganisation Hizbollah lehnte diesen Vorschlag jedoch ab. „Hinter dem humanitären Anschein verbirgt dieser erbärmliche und verzweifelte Versuch eine grausame terroristische Erpressung, deren einziges Ziel es ist, ein arrogantes Verbrechen zu kaschieren und die öffentliche Meinung zu besänftigen“, hieß es in einer Presseerklärung der proiranischen Organsiation. Das einzige, was interessiere, sei die Freilassung von Scheich Karim Obeid, der von israelischen Streitkräften entführt worden war. Von Gegenleistungen sprach die Hizbollah nicht.

Für gestern hatten die mutmaßlichen Mörder des 44jährigen amerikanischen Oberstleutnants Richard Higgins, die „Organisation der Unterdrückten der Erde“, sowie eine andere schiitische Gruppe mit zwei weiteren Geiselmorden für den Fall gedroht, daß Obeid nicht freigelassen wird. Ein Anrufer, der angab, im Namen der „Organisation“ zu sprechen, teilte Montag abend mit, falls das Ultimatum verstreiche, werde der britische Geistliche Terry Waite „genau zur gleichen Zeit“ - also 14.00Uhr MESZ - wie Higgins gehängt. In Beirut setzte hingegen gestern ein anonymer Anrufer bei dem Rundfunksender „Stimme der Nation“ Mitternacht Ortszeit (23.00 Uhr MESZ) als Frist. Auch er erklärte, er spreche im Auftrag der „Organisation der Unterdrückten der Erde“. Eine Gruppe mit dem Namen „Revolutionäre Gerechtigkeit“ teilte der Beiruter Zeitung 'An Nahar‘ mit, der Amerikaner Joseph James Cicippio müsse sterben, falls Obeid nicht bis 17.00 Uhr MESZ freigelassen werde.

Schamir verteidigte vor Journalisten erneut das Kommandounternehmen, mit dem Obeid am vergangenen Freitag in israelische Gewalt gebracht wurde. „Der einzige Zweck unserer Operation war, unsere gefangenen Soldaten zu befreien. Wir wären glücklich, wenn es uns dabei zugleich gelingen sollte, Geiseln frei zu bekommen“, sagte er. Israel und die USA hätten ein gemeinsames Interesse.

Dies wird in den USA nicht einhellig so gesehen. US -Präsident George Bush verurteilte am Montag abend die mutmaßlichen Ermordung von Higgins und appellierte zugleich an alle Geiselnehmer im Nahen Osten, dem Kreislauf der Gewalt ein Ende zu machen und die Gefangenen freizulassen. Der israelische Minister ohne Geschäftsbereich, Ehud Olmert, sagte in einem Interview eines US-Fernsehsenders zum Appell von Bush, er glaube nicht, daß der Präsident Israels mit den Terrorgruppen auf eine Stufe Fortsetzung auf Seite 2

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stelle. Bush hatte sich ausdrücklich an „alle Parteien“ in dem Konflikt gewandt. Olmert meinte, er verstehe Bush so, daß es im Falle der Freilassung israelischer und amerikanischer Geiseln angebracht wäre, auch Obeid freizulassen.

Der amerikanische Senat verurteilte einstimmig den Geiselmord als „abscheulichen terroristischen Akt“. Doch im Kongreß wurden auch kritische Stimmen an der israelischen Haltung laut. Bushs Parteifreund Robert Doyle, Vorsitzender der republikanischen Senatsfraktion, sagte: „Vielleicht wäre etwas mehr Verantwortungsbewußtsein von seiten der Israelis hilfreich.“ Der Sprecher des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, erklärte zu dieser Äußerung: „Man wird wohl sagen kön

nen, daß viele Menschen die Sorgen des Senators teilen.“

Ein israelischer Beamter in Washington kommentierte die amerikanische Debatte über Israels Rolle mit den Worten: „Es ist lächerlich, Israel für Higgins‘ Tod verantwortlich zu machen. Wir wissen noch nicht mal, ob er tot ist, und falls er es ist, wann er umgebracht wurde.“ Die Leiche von Higgins wurde bislang nicht gefunden. Es gibt auch nach wie vor keinen Anhaltspunkt, wann und wie die Geisel den Tod fand.

Israel und die USA lassen unterdessen ihre Muskeln spielen. Ein Sprecher der libanesischen Polizei berichtete, in der Bekaa-Ebene seien Milizen und Guerilla-Verbände in Alarmbereitschaft versetzt worden, nachdem israelische Kampfflugzeuge in den libanesischen Luftraum eingedrungen seien. Dies habe die Befürchtung ausgelöst, Israel könne

einen größeren militärischen Angriff planen. Das US -Verteidigungsministerium gab bekannt, daß sich der Flugzeugträger „USS Coral Sea“ mit zwölf Begleitschiffen im östlichen Mittelmeer befände. Doch seit ihrem Abzug aus Beirut im Jahre 1982 haben die USA keine militärischen Angriffe gegen den Libanon mehr gestartet.

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