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Solange es Kunst ist

■ Der Filmemacher Peter Krieg gewinnt den Rechtsstreit um „Vaters Land“ gegen das Innenministerium

Martin Halter

Die Geister seiner innenministeriellen Vergangenheit, als er den deutschen Film mit Zuckerbrot und Peitsche zur geistig -moralischen wie wirtschaftlichen Wende führen wollte, lassen Friedrich Zimmermann keine Ruhe. Nach Achternbuschs gotteslästerlichem Gespenst muß der Verkehrsminister jetzt auch einen hamletischen Revenant fürchten, der sich nach Ansicht der Hausjuristen der „schwerwiegenden Verletzung des religiösen Gefühls gläubiger Christen“ und, blasphemischer noch, der „Verunglimpfung staatlicher Symbole“ schuldig gemacht hat: Peter Kriegs dokumentarisch -essayistische Abrechnung mit der patriarchalischen Verfassung von Staat, Religion und Familie, Vaters Land. Der Film, schon im Januar 1987 von der evangelischen Jury als „Film des Monats“ abgesegnet, ist jetzt vom Kölner Verwaltungsgericht in allen Punkten freigesprochen worden. Krieg, der Vater all dieser Dinge, darf nicht nur die schon gewährten Fördermittel von 65.625 Mark behalten; Zimmermanns Nachfolger muß auch die letzte Rate über 21.875 Mark samt Zinsen auszahlen.

Kriegs Fehde mit dem Innenministerium begann mit dem Deutschen Filmpreis, den er 1981 aus der Hand von Gerhart Baum für Septemberweizen erhalten hatte. Mit den 350.000 Mark aus Prämie und Zuschuß drehte Krieg seinen Science -Fiction-Film Bericht von einem verlassenen Planeten; allein Zimmermann wollte die letzte Rate der Prämie - 87.500 Mark - nicht mehr spendieren, weil das als Spielfilm anoncierte Projekt, so seine formalistische Argumentation, ein Dokumentarfilm geworden sei. Außergerichtlich einigte man sich schließlich auf einen Vergleich: Krieg sollte die noch ausstehende Rate für sein nächstes Filmprojekt bekommen, einen „dokumentarischen Selbstmordversuch“, so Krieg in seinem Expose, „über Vaterland und Vaterschaft, über Heimat und Nation“. Daß der Film keine Feier der Vaterordnung sein werde, ließ sich aus der Drehvorlage vom Juli 1985 unschwer erkennen: Der Regisseur kündigte darin an, die autoritäre Dreifaltigkeit von Gott-, Landes- und Familienvater durch „respektloses Gelächter“ ins Wanken bringen zu wollen.

In Vaters Land führte dann auch Landesgroßvater Filbinger, laut über deutsche Kinder und deutsche Nation nachdenkend, durch sein Reich, das einschlägig bekannte Studienzentrum Weikersheim; ein Rekrutengelöbnis illustrierte die Unterwerfung des gehorsamen Untertanen; ein Kreuzweg, zugleich Kriegs Schulweg in seiner Heimatstadt Schwäbisch Gmünd, den ödipalen Leidensweg des Subjekts. Kriegs Film, als Mischung aus politischem Pamphlet und autobiographischem Brief an seine kleine Tochter inszeniert, deckte so in den Ritualen und Symbolen von Staat, Religion und Familie dieselben patriarchalischen Mechanismen auf. Daß er dabei selbst die Blockierer von Mutlangen als brave Vaterländer überführte, trug ihm auch die Kritik linker Zeitgenossen ein. Sein Credo ist von individualanarchistischer Schlichtheit: „Wenn jeder sich als einzelner verweigert und für sich rebelliert anstatt für andere, muß der Mythos der Nation in sich zusammenfallen. Wenn wir begreifen, daß es keine Souveränität geben kann außer unserer eigenen, dann kommt die Maschine zum Stillstand.“

Daß Förderer Zimmermann trotz einer Danksagung Kriegs in den credits sauer darauf reagierte, kann man sich lebhaft vorstellen. Nicht erst mit dem Nachspann - die Bundesflagge flattert da als Wimpel auf einem Penis - war für Zimmermann das Ende der Fahnenstange erreicht: „Schwerwiegende Verunglimpfung staatlicher Symbole“. Die Nationalhymne „ein verlogenes Burschenschaftler-Sauflied“ patriotischer Maulhelden? Auch dies war, mag in der zweiten Strophe noch soviel von „deutschem Wein und deutschem Sang“ die Rede sein (vom chauvinistischen Rausch der ersten ganz zu schweigen), eine „verächtlichmachende Herabsetzung“ nach Paragraph 90 des Strafgesetzbuches. Die Interpretation der unbefleckten Empfängnis als Vergewaltigung und der Kreuzigung - „der Vater ermordet seinen Sohn“, heißt es im Film, „hängt ihn aus zur Abschreckung seiner Kinder“ - als Schlachtopfer: das war für Zimmermann „eine eklatante Verletzung des religiösen Gefühls durch Verhöhnung der Glaubensüberzeugung gläubiger Christen“. Am 4.Februar 1987 forderte der Minister sein Geld zurück, weil Kriegs Opus gegen die Richtlinien der Filmförderung verstoße und im übrigen auch vom Drehkonzept abweiche.

Zimmermanns Juristen bemühten als Gewährsmänner ihres Geschmacks zwar den „für zeitgenössische Kunst ausgeschlossenen Durchschnittsbetrachter“, aber aktenkundig ist auch, daß neben einer Nonne Rechtsdenker wie Karl Steinbuch und Hans Filbinger, persönlich beleidigt durch „Vorspiegelung falscher Tatsachen“, mit Briefen und „kleinen Essays“ beim Innenminister vorstellig geworden waren und um „Maßnahmen“ gegen das „blindwütig diffamierende“, „gotteslästerliche Machwerk“ ersucht hatten Interventionen, die der sich gleichfalls betrogen wähnende Zimmermann als „sehr treffende und sachliche Beiträge“ zu würdigen nicht versäumte. Der Film, so hieß es ja auch in seinem Rückforderungsbescheid barsch, ist nicht ein „'dokumentarischer Selbstmordversuch‘, eine filmliterarische Standortbestimmung der eigenen Vaterrolle innerhalb eines nichtpatriarchalischen Weltbilds‘, sondern im wesentlichen als polemische Abrechnung mit dem Staat Bundesrepublik Deutschland und deren Gesellschaftsordnung anzusehen“. Das aber sei der Förderungszweck nicht gewesen: Der undankbare Krieg habe, anstatt die billigen „Erwartungen des Förderers zu berücksichtigen“, seinen Mäzen über den „wahren Gegenstand“ seines Fimschaffens im unklaren gelassen und wider alle Absprachen einen „wohl kalkulierten Rundumschlag“ abgeliefert. Für eine „agitative Verächtlichmachung des Staates selber“ wollte Zimmermann, wenn er sie schon nicht verbieten konnte, jedenfalls keinen Pfennig ausgeben.

Peter Kriegs Filmgesellschaft „Barfuß Film“ klagte gegen Zimmermanns Rückforderungsbescheid - und bekam nun auf der ganzen Linie Recht. Der Film, so das Kölner Gericht in seiner Urteilsbegründung, verstoße weder gegen Gesetze, noch verletzte er religiöse Gefühle. Die Freiheit der Kunst, der intuitiv-schöpferische Gestaltungsprozeß rangiere über einer möglichen Verunglimpfung von staatlichen Symbolen. Wenn Krieg sie verunglimpfe, dann jedefalls nicht aus böswilligen oder herabsetzenden politischen Motiven, sondern im Rahmen einer legitimen „kritischen, künstlerischen Auseinandersetzung, die auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung hinzunehmen ist“. Im Klartext: Das Beschimpfen und Verunglimpfen ist durch den künstlerischen Zweck und das individuelle Ringen geheiligt; hätte es aber zuvörderst politische oder bloß satirische Motive, wäre der Staat in seiner Ehre und Autorität schon eher „erheblich gekränkt“ gewesen. So aber... Der beflaggte Phallus etwa sei als symbolische Reduktion des Filmanliegens, nämlich der „Darstellung und kritischen Hinterfragung“ der patriarchalischen Staats- und Gesellschaftsordnung, ein provokativer Denkanstoß, aber keine „unmotivierte Schmähung“. Abgesehen davon, „daß der Phallus als Sinnbild der Männlichkeit und männlichen Zeugungskraft für sich betrachtet nicht notwendig negativ besetzt“ sei. Ähnliches gelte für die inkriminierte Bezeichnung „Burschenschaftler-Sauflied“: Dies sei keine bewußte böswillige Verächtlichmachung des durch die Nationalhymne repräsentierten Staates, sondern eine im Film historisch und argumentativ belegte, wenn auch nicht unbedingt zutreffende Meinungsäußerung.

Und die angeblichen Blasphemien schließlich seien zwar sehr unorthodoxe, aber durch Kunstfreiheit (und, darauf hatte der von Iring Fetscher und Dorothea Sölle flankierte Schriftsatz des Freiburger Rechtsanwalts Götz von Olenhusen aufmerksam gemacht, selbst durch feministische Theologinnen) gedeckte Bibelexegesen, jedenfalls „keine bösartige Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses“. Immerhin sei der Film ja selbst bei den Kirchen auf wohlwollendes Interesse gestoßen, und weder der WDR, der ihn 1987 ausstrahlte, noch die Filmbewertungsstelle, die ihm das Prädikat „Besonders wertvoll“ verliehen hatte, hätten Anstoß genommen.

So hat sich denn Fritz Zimmermann beim Versuch, den deutschen Film an die Kandare zu nehmen, einmal mehr die Schwurfinger verbrannt. Das Urteil ist für den Spielraum der Kunstfreiheit möglicherweise noch bedeutsamer als das seinerzeit von Achternbusch erwirkte: Stand doch hier nicht nur das religiöse Empfinden eines empfindlichen Christsozialen auf dem Prüfstand, sondern die in ihren Symbolen gekränkte Ehre des Staates selber. Wenn Zimmermanns Juristen die Einlassungen zur Sache als „ikonographische Bemühungen“ oder philosophisch-theologische Spitzfindigkeiten verwarfen, die dem „Massenkommunikationsmittel“ Film nicht angemessen und dem „Durschnittsbetrachter“ nicht zugänglich seien, so haben sie damit der Wirkungsmacht von Kriegs Film viel Ehre angetan, vor allem aber die Zwecke ihrer Filmförderungspolitik enthüllt: Staatstreue Kassen- und Massenware. Der deutsche Film, heißt es da verräterisch, ist „ein kulturwirtschaftliches Gut und als Teil der nationalen Identität von gesamtstaatlicher Bedeutung“.

Zimmermann wird nach dieser Sache „Krieg gegen die Bundesrepublik Deutschland“ vor Wut überschäumen: Der deutsche Bürger und Christ muß die Verunglimpfung seiner heiligsten Symbole, die Verhöhnung seines vaterländisch -religiösen Empfindens auch noch bezahlen, soweit und solange es eine Kunst ist. Vielleicht dreht Krieg jetzt mit der letzten Rate der letzten Rate einen Film darüber.

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