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Geiseln: Rege Diplomatie

■ Washington spinnt die Fäden von Moskau bis Teheran / Cicippio-Entführer verlängern Ultimatum / US-Kriegsschiffe „mit unbekanntem Ziel“ unterwegs

Beirut / Jerusalem / Washington (afp/dpa) - Rege diplomatische Aktivitäten hinter den Kulissen kennzeichneten gestern die Geiselaffäre im Libanon, nachdem eine Entführergruppe ihr Ultimatum zur Ermordung des US-Bürgers Joseph Ciccipoi bis heute verlängert hatte. Bei den Verhandlungen mit Iran und verschiedenen arabischen Staaten hält Washington die Fäden in der Hand, während Israel über die Trümpfe verfügt: den entführten Scheich Karim Obeid und andere libanesische Gefangene, die gegen westliche Geiseln ausgetauscht werden könnten.

In Jerusalem gab der israelische Verteidigungsminister Jitzhak Rabin gestern im Parlament zu, daß die Entführung des Schiiten-Geistlichen nur den Zweck gehabt habe, sich ein Faustpfand für die Freilassung von drei israelischen Soldaten zu verschaffen, die seit 1986 im Libanon gefangen sind. Das innere Kabinett, so der Verteidigungsminister, habe der Operation bereits vor zwei Monaten zugestimmt. Die Aktion sei damals verschoben worden, als es eine Chance zur Befreiung der Israelis auf dem Verhandlungsweg zu geben schien.

Eine Erklärung der schiitischen „Revolutionäre Gerechtigkeitsorganisation“, die am Dienstagabend in Beirut verbreitet wurde, hatte den diplomatischen Aktivitäten wieder mehr zeitlichen Spielraum gegeben. In dem Text hieß es, man verschiebe die „Hinrichtung“ Cicippios um zwei Tage

-auf Anraten von Freunden und insbesondere nach dem „bewegenden Aufruf der Ehefrau“ des Entführten. Dieses Ultimatum werde man aber nicht ein zweites Mal verlängern. Beigelegt war ein Farbfoto der amerikanischen Geisel Edward Austin Tracy, die sich ebenfalls in der Hand dieser Gruppe befindet.

Auch die „Organisation der Unterdrückten der Erde“ meldete sich zu Wort und distanzierte sich von der Morddrohung gegen die britische Geisel Terry Waite. Die gleiche Gruppe, die am Montag die Ermordung des entführten US-Offiziers Higgins bekannt gegeben hatte, erklärte in der Nacht zum Mittwoch, bei der Morddrohung gegen Waite sei ihr Name mißbraucht worden. Für die Entführung von Waite, der als Unterhändler zu einem Treffen mit der Gruppe „Islamischer Heiliger Krieg“ unterwegs war, hat bis heute niemand die Verantwortung übernommen.

Unbestätigten Berichten zufolge kam im Falle Cicippio der Aufschubbefehl von höchster Instanz aus Teheran. Wie es hieß, schickte der neugewählte iranische Präsident Rafsandschani einen Gesandten nach Beirut, der dort unter anderem den geistlichen Führer der schiitischen Hizballah, Scheich Fadlallah, aufgesucht habe. Die israelische Presse berichtete zudem, Rafsandschani habe auf Drängen des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse gehandelt, der sich am Dienstag in Teheran aufhielt und der seinerseits von den USA um Hilfe ersucht worden sei. Fortsetzung auf Seite 2

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Dies wurde mittlerweile von US-Regierungsbeamten bestätigt. Ferner seien neben den ständigen Kontakten mit Israel auch Syrien, Saudi-Arabien und andere arabische Staaten eingeschaltet worden. An Iran schließlich, so verlautete aus dem Weißen Haus, wurde über die diplomatischen Missionen der Schweiz und Japans eine „sehr deutliche Botschaft“ geschickt. Darin habe die US-Regierung erneut klar gemacht, daß sie Iran für das Wohlergehen der Geiseln in Libanon zu einem großen Teil verantwortlich mache.

US-Präsident George Bush hat gestern in einem 20minütigen Telefongespräch mit der britischen Pre

mierministerin Margaret Thatcher über die Geiseln in Libanon beraten. Ein Sprecher der Premierministerin, nannte keine Einzelheiten.

Das Pentagon gab in der Nacht zum Mittwoch zahlreiche Bewegungen amerikanischer Kriegsschiffe bekannt. Regierungsbeamt wiederholten allerdings mehrfach, Präsident Bush halte einen „militärischen Vergeltungsschlag“ derzeit nicht für sinnvoll. Nach Pentagon-Angaben hat das Schlachtschiff „USS Iowa“ am Mittwoch den Hafen von Marseille vorzeitig mit unbekanntenm Ziel verlassen. Ebenfalls mit unbekanntem Ziel verlassen, Ebenfalls mit unbekanntem Ziel verlißen der Flugzeugträger „UAA America“ und seine acht bis zehn Begleitschiffe den Hafen von Singapur. Im östlichen Mittelmeer kreuzt bereits

die Einheit um den Flugzeugträger „USS Coral Sea“.

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