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Die UdSSR verkauft ihre Stars

■ Auf Schalke debütiert morgen der preiswerte Stürmer Aleksandre Borodjuk aus der Sowjetunion

Gelsenkirchen (taz) - Günter Eichberg stand nächtens stundenlang am Frankfurter Flughafen. Am nächsten Mittag sollte der Stürmerstar vorgezeigt werden. Höchste Zeit für Schalkes Präsidenten, dem nach den Flops um Udo Lattek als Trainer, dem mißlungenen Transfer von Stefan Engels und anderen vorlauten Versprechen ein erneuter Reinfall droht; und Aleksandre Borodjuk flog in jener Nacht nicht ein.

Im Flugzeug habe er bereits gesessen, nur ein Stempel habe gefehlt, bestellt der Chef der Schalker Geschäftsstelle, Wehrmann, den bestellten Reportern. Doch einen Tag später war er tatsächlich auf Schalke, der zehnfache sowjetische Nationalspieler, zweifache Torschützenkönig der Staatsliga und olympische Goldmedaillengewinner. Warum von Dynamo Moskau gerade hierher, wenn italienische Clubs wie Sampdoria Genua, AS Rom, Florenz und Bologna wirklich Schlange gestanden haben? Für den Hauptmann der Roten Armee - deshalb fehlte der Stempel, er mußte vor dem Abflug noch als Geheimnisträger entlassen werden - geht es nun statt dessen gegen Unterhaching und Meppen.

Weil bei Dynamo in Moskau der Präsident sprach, „geh du nach Schalke, gegen die habe ich sogar schon einmal gespielt“? Oder weil, wie der asketisch wirkende Athlet mit flinken Augen und lustigem Gesicht artig zum Besten gibt, „der deutsche Fußball in meiner Heimat sehr verehrt“ wird und „Schalke eine sehr bekannte Mannschaft ist“. Präsident Eichberg wiegelt ab: „Das war kein Befehl.“ Es war ja alles anders, ganz unglaublich. „Man glaubt nicht, wie vertrauensvoll mit den Sowjets umzugehen ist. Bei den Vorstellungen, die wir von den Funktionären dort haben.“ Nur einen Vertrag hat er noch nicht, wenn er heute erstmals im Schalker Parkstadion aufläuft, der soll am 12. August unterschrieben werden. Sagt der Präsident, und: „Ich weiß noch nicht einmal, was uns der Goldjunge kosten wird.“ Eine Million? Fest steht: die eine Hälfte wird in Devisen und die andere in Sachgütern rollen.

Die Transferstrecke wurde in Rekordzeit zurückgelegt, im Mai in Eriwan fiel der Name Borodjuk zum ersten Mal, als Manager Helmut Kremers in der Weltauswahl für die Erdbebenopfer spielte. Zwei Monate später war das Geschäft perfekt, wer daran gedreht hatte, wollte der Präsident nicht verraten, nur soviel: „Vertreter deutscher Wirtschaftskreise mit guten Kontakten zur Sowjetunion und dem FC Schalke.“ In der Sowjetunion ging das einfach, da selbst Nationaltrainer Valerij Lobanowski, der sich bei jedem West-Export ein Placet ausbedungen hat, zu Borodjuk sagte: „Komm nach Kiew oder geh nach Schalke, mir ist das egal.“

Nicht ganz, denn Devisen und Wirtschaftsgüter werden für sowjetische Clubs immer wichtiger, als die Superstars im Land zu halten. Vor drei Wochen erst hat Dynamo Kiew die Trikots für 500.000 Mark einer italenischen Firmengruppe zur Verfügung gestellt. Aleksandre Borodjuk, der als Achter und mit dem Ukrainer Belanow als Jüngster ins Ausland durfte, zur Umwandlung der Staasligaclubs in kapitalistisch geführte Profiunternehmen: „Nur die Zuschauer sind Grundlage für Gewinne. Viele sind ärgerlich über die Abwanderungen. Kiew, vielleicht Spartak Moskau sind die Ausnahmen, die anderen Vereine müssen sich selbst anziehen.“

Wie Dynamo Minsk, das am Mittwoch abend den 5,6 Millionen Mark-Transfer von Mittelfeldspieler Sergej Aleinikow zu Juventus Turin bekanntgab, wo bereits Alexander Sawarow spielt (Aleinikow wird in drei Jahren 1,06 Mio. Mark Fixum verdienen). Noch ist unklar, was für Borodjuk nach Moskau geliefert wird: Sportkleidung, Joghurt, Felgen? Vor allem modernes elektronisches Gerät ist gern gesehen.

Aber Borodjuk wird jetzt für Schalke spielen, der Mann, von dem Präsident Eichberg immer wußte, „den wollen wir haben“, und dessen wirkliches Erscheinen war wie „ein Märchen aus zweiter Hand“. Die Fans in Gelsenkirchen jedenfalls, die den Rufnamen „Sascha“ geistreich in „Gorbi“ geändert haben, freuen sich schon, und als der Name - Anton - vom Sohn des Stürmers fällt, sagt einer mit leuchtenden Augen: „Anton, datt paßt schomma gut zu Schalke.“

Ernst Thomann

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