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Perus leuchtender Terrorpfad

■ Die maoistische Guerilla „Sendero Luminoso“ hat die Hauptstadt eingekreist / Aus Lima Carlos Tachuela

In den siebziger Jahren hatten sie ihre Hochburg im Hochland von Ayacucho, die Guerilleros vom „Leuchtenden Pfad“. Heute operieren sie nicht nur in den meisten peruanischen Provinzen, sondern auch mitten in der Hauptstadt. Die Regierung weiß sich ihrer kaum noch zu erwehren, am letzten Wochenende ließ sie die Elendsviertel von Lima durchkämmen und über 8.000 Menschen festnehmen. Die jüngsten Meldungen: Gestern wurde eine 34jährige Niederländerin mit einem Revolver auf dem Flughafen von Lima festgenommen und der Verbindung zur Guerilla beschuldigt. Am Dienstag ließ Sendero zwei Zuckerraffinerien mit Dynamit hochgehen. Und die Polizei hat eine Liste von 13 „Senderistas“ veröffentlicht, die „Killerkommandos anführen“ und „tot oder lebendig“ gesucht werden.

„Es fahren keine Busse“, stellt die Frau an der Ecke Panamericana/Carretera Central achselzuckend fest. Die Aussichten, an ihren Fruchtsaftstand im Zentrum von Lima zu kommen, sind schlecht. Die von der „Kommunistischen Partei Perus - Leuchtender Pfad“, spanisch kurz: Sendero Luminoso, geführten Kampfkomitees an den Ausfallstraßen der Siebenmillionenstadt Lima haben für diesen 20.Juli einen eintägigen „bewaffneten Streik“ erklärt. Drei Tage vorher sind die ersten Hinweise an Hauswänden und Fabrikmauern aufgetaucht; am Tag zuvor wurden sechs Busse des staatlichen Verkehrsunternehmens von Sendero-Stadtkommandos gestoppt und angezündet. An den Endstationen der unzähligen privaten Kleinbusse haben Senderisten die Fahrer davor gewarnt, am Streiktag ihrer Arbeit nachzugehen. Die Polizeikräfte Limas haben ihrerseits großräumig Straßensperren eingerichtet, um das Einsickern bewaffneter Sendero-Einheiten ins Stadtzentrum zu verhindern.

In Lima hat man sich an solche Verhältnisse gewöhnt. Der Krieg hat die Hauptstadt erreicht, und das nicht mehr allein in Form terroristischer Attentate wie in den Vorjahren. Die Angst, bei Nichtbefolgung des Streikbefehls Opfer einer der berüchtigten Strafaktionen von Sendero zu werden, ist groß. „Lieber einen Tag nichts verdienen“, meint der 40jährige Taxifahrer Fernando, „als daß mir die Terroristen den Wagen anstecken.“ Sein klappriger Käfer, Baujahr 63, ohne Kotflügel und sonstigen Luxus, ist das einzige Kapital, über das er verfügt. Mit ihm muß er seine sechsköpfige Familie ernähren. Bei 60 Prozent Unterbeschäftigung und Arbeitlosigkeit, rund 5.000 Prozent Inflation und monatlich sinkendem Realeinkommen ist das Leben zum Überlebenskampf geworden.

Die Hauptstadt

ist schon eingekreist

Perus Wirtschaftskatastrophe liefert dem Leuchtenden Pfad ein nahezu unerschöpfliches Potential neuer Kämpfer. 55 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre, drei von vier Jugendlichen haben keine Arbeit und auch keinerlei Aussicht, eine zu bekommen. Senderos Erfolge bei dem Versuch, die Hauptstadt allmählich vom Land her einzukreisen, sind im letzten Jahr rasant gewesen. Die „Senderistas“ sitzen mittlerweile nicht mehr nur auf den Bergen rund um Lima, sondern sind über die großen Ausfallstraßen inzwischen bis weit in die Elendsgürtel von Lima vorgedrungen: über bewaffnete Propagandaaktionen, Spaltung der Arbeiter- und Volksbewegung sowie mit eigenen „Massenorganisationen“.

Alles ordnen sie dem einen Ziel unter: der bewaffneten Machtergreifung. Die bislang etwa 15.000 Opfer dieses Krieges sind für sie nicht mehr als ein kalkulierter Kostenfaktor. Parallel zur „Ausdehnung der sozialen Basis“ in Lima forciert Sendero Luminoso den Guerillakrieg im Andenhochland. Die landwirtschaftlichen Hauptanbaugebiete der Anden, das Mantarotal und die Ebenen um die Stadt Huanuco nordöstlich von Lima, sind mittlerweile Kriegszone.

Der Krieg tobt nicht nur zwischen dem Leuchtenden Pfad einerseits und der Armee sowie Polizei andererseits, sondern auch zwischen Sendero und der zweiten, nicht so starken Guerillabewegung Tupac Amaru (MRTA). Opfer ist immer wieder die zwischen den Fronten lebende Landbevölkerung. Die Campesinos, unter denen Sendero Luminoso früher viele Anhänger hatte, gehen zunehmend auf Distanz. Die Anschläge gegen kommunale Einrichtungen, Schulen, Gemeindehäuser und Gesundheitsposten sowie die Ermordung zahlreicher Bauernführer und gewählter Gemeindevertreter haben Sendero viele Sympathien gekostet.

„Aber selbst wenn nur fünf bis zehn Prozent der Campesinos Sendero aktiv unterstützen, reicht dies allemal aus, ihre Präsenz und Struktur zu sichern“, schätzt der Direktor einer peruanischen Nicht-Regierungsorganisation, die aufgrund von Drohungen des Leuchtenden Pfads ihre Arbeit im Bezirk Huanuco einstellen mußte. „Nachdem Sendero im Februar zwei Mitarbeiter einer anderen privaten Hilfsorganisationen ermordet hatte und wir, wie die anderen 14 in der Zone arbeitenden Organisationen, schriftlich und mündlich Drohungen erhalten haben, bleibt uns nichts anderes als die Kooperation mit Sendero oder der Rückzug. Die Tatsache, daß diese peruanischen Hilfsorganisationen nahezu ausnahmslos dem Lager der Vereinigten Linken, ein Sammelbecken sozialdemokratischer bis linksradikaler Parteien, angehören, spielt dabei für Sendero keine Rolle.

Terror gegen Hilfsorganisationen

Unmittelbar betroffen sind die auf dem Land arbeitenden peruanischen Hilfsorganisationen von der seit Ende 1988 eingeleiteten dritten Etappe der Sendero-Kriegsführung. Ziel ist die „Verbreiterung der Unterstützungsbasen“. Nachdem Sendero in den letzten Jahren nahezu alle nichtorganisierten Landesteile besetzt hat, bedeutet „Verbreiterung“ jetzt die Konfrontation mit der organisierten Volksbewegung.

Nach der Ermordung oder Vertreibung ihrer Anführer muß sich die Bevölkerung der Sendero-Strategie unterordnen. In einem Interview während seines Aufenthalts in Belgien Anfang dieses Jahres erklärte Arce Borja, Direktor des Sendero -Sprachrohrs 'El Diario‘, die Nicht-Regierungsorganisationen betrieben eine ideologische Arbeit, die den Reformismus fördere und damit im Widerspruch zur peruanischen Revolution stehe. Im Klartext heißt das, daß nun auch sie zum Feind innerhalb der Proletarisierungsstrategie Sendero Luminosos erklärt worden sind.

Mit der Vertreibung der Linken und der „Enthauptung“ der bäuerlichen Selbstorganisationen auf dem Land - von Kooperativen bis zu Gewerkschaften und Agrarligen - wird das Terrain frei für den direkten Schlagabtausch zwischen Guerilla und Armee. Eine Gegenoffensive der Armee begann Mitte Juni, vorbereitet und unterstützt von israelischen Experten, sowjetischen Hubschraubern und Beratern der nordamerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde. Im Juli verging kaum ein Tag ohne offiziell gemeldete „vernichtende Schläge gegen die terroristischen Banden und ihre Ausbildungslager“.

Am 12.Juli wurden angeblich 39 Terroristen bei einem Hubschrauberangriff auf ein Lager des Leuchtenden Pfads in der Provinz Ambo/Huanuco getötet. 50 weitere Sendero-Leute konnten sich in die Gebiete über 4.000 Meter zurückziehen, wohin die sowjetischen MI-8-Hubschrauber nicht aufsteigen können. Drei Tage nach diesem „Erfolg unserer Streitkräfte gegen die senderistischen Horden“, wie die Wochenzeitschrift 'Caretas‘ schrieb, gingen bei der Bauerngewerkschaft CCP ganz andere Nachrichten ein. Zwei Campesinos, die den Hubschrauberangriff überlebt hatten, berichteten, von den 39 Toten seien lediglich vier Senderisten gewesen, der Rest Campesinos, die Sendero auf dem Versammlungsplatz der Gemeinde befohlen hatte, um eine Propagandaveranstaltung abzuhalten.

Da die Toten von nachrückenden Armeeinheiten in Massengeräbern verscharrt werden, wird es bei den meisten dieser Massaker ungeklärt bleiben, wer recht hat. Die großzügige Anwendung des Begriffs „Terrorist“ auf jeden, der bei Militäraktionen umkommt, macht die Zeugenaussagen der Campesinos jedoch wahrscheinlicher.

Als bei einem Armeehinterhalt bei Los Molinos/Huanuco 62 Guerilleros der MRTA fielen, wunderten sich viele über Tage später auftauchende MRTA-Parolen in Lima, die von „42 gefallenen Märty rern“ sprachen. Nach Auskunft der Menschenrechtsorganisation Addepaz in Lima waren die übrigen 20 Toten Frauen, Kinder und Männer, die weder bewaffnet noch Anhänger der MRTA waren. Auf den Wunsch der Familien, ihre Angehörigen zu überführen und zu Hause zu beerdigen, gingen die Militärs nicht ein. Die Toten liegen alle in einem Massengrab. Einem Anwalt der Familienangehörigen wurde bedeutet, daß eine Öffnung des Grabs auf eigenes Risiko geschehe. Familien und Amwälte wissen, was diese Warnung des Militärkommandanten in einer „Zone unter Ausnahmezustand“ bedeutet: Mißliebige Neugierige können jederzeit „verschwinden“.

Die militarisierten Ausnahmegebiete umfassen inzwischen die Hälfte des peruanischen Territoriums. Bis auf einige südliche Randgebiete in den Provinzen Puno und Arequipa sind sie quasi identisch mit den Aufstandszonen der Guerilla. Sendero verfügt damit über eine nahezu 2.500 Kilometer lange geschlossene Front zwischen Cajamarca und Puno. In Cajamarca und Puno jedoch stößt der Leuchtende Pfad auch erstmals an seine Grenzen. Die starken Selbstorganisationen der Kleinbauern Cajamarcas - die „Rondas Campesinas“ - und die Landgewerkschaft CCP in Puno stellen eine organisierte Barriere für Sendero dar. Nachdem die Guerilleros vergleichsweise leicht die nicht oder nur schwach organisierten Campesinos des zentralen Hochlands agitieren und einbeziehen konnten, leisten Rondas Campesinas und Bauerngewerkschaft nicht nur verbalen Widerstand. Im südlichen Cajamarca wurden mehrere Sendero-Einheiten von Ronderos gestellt und der Polizei übergeben. In Puno verweigerten sich von der CCP organisierte Dörfer geschlossen, das Regime Sendero Luminosos anzuerkennen und hatten bisher Erfolg damit.

Die Vereinigte Linke ist gespalten. Sowohl über die Einschätzung der Lage des Landes als auch über eine Taktik für die Kommunalwahlen im November und die Präsidentschaftswahlen im April 1990 sind sich die „Reformisten“ um den ehemaligen Bürgermeister von Lima, Alfonso Barrantes, und der Block der „Marxisten-Leninisten“ uneins. Auch wenn es so aussieht, als könnte man sich doch noch auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen, ist der ideologische Riß zwischen den beiden Lagern nicht mehr zu kitten. Chancen haben sie aber beide nur mit einem gemeinsamen Kandidaten: Barrantes. Der noch für ein Jahr amtierende Präsident Alan Garcia hat abgewirtschaftet, kann auch laut Verfassung nicht mehr kandidieren, und seine Partei, die zur Sozialistischen Internationale gehörende APRA, wird wohl bei 20 Prozent der Wählerstimmen landen.

Unabhängig von Kandidatenkarrussel und Zweckbündnissen bleibt offen, ob die Wahlen nicht ohnehin zur Farce werden: Mehr als ein Drittel des Territoriums befindet sich im Krieg, und in vielen Gegenden wird es wegen des Sendero -Terrors nicht einmal Kandidaten geben.

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