„Die Karibik ist kein Paradies“

■ Audre Lorde und Gloria Joseph leben auf den Virgin Islands / Ein Gespräch über die politische Abhängigkeit von den USA, die Zusammenarbeit zwischen schwarzen und weißen Frauen und die Zerstörungen durch den Tourismus

Gloria Joseph ist eine renommierte Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Women Studies, Black Studies und Caribbean Studies. Sie lehrte an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten. Ihre Familie ist auf den Virgin Islands beheimat.

Die Schriftstellerin Audre Lorde wurde in Harlem, New York, geboren, ihre Familie stammt aus Grenada. Sie unterrichtete zuletzt am Hunter College (New York). Hier in Deutschland wurde sie bekannt über ihre Bücher „Krebstagebuch“, „Zami eine Mythobiographie“ und die Gedicht- und Essaysammlung „Lichtflut“ (alle im Orlanda-Frauenverlag).

taz: Audre, Du lebst jetzt auf den Virgin Islands in der Karibik. Warum bist du von New York weggegangen?

Audre Lorde: Ich habe Krebs und konnte die letzten Jahre die kalten Winter in New York nicht mehr ertragen. Glorias Familie kommt von den Virgin Islands, und ich habe dort die Winter mit ihr verbracht. Als ich merkte, daß ich in New York nicht länger leben konnte, hatte ich in St.Croix bereits neue Beziehungen aufgebaut. Es war der Platz, wo ich leben wollte. Und ich wollte mit Gloria leben.

Und du hast deinen Umzug nach so vielen Jahren in New York nie bedauert?

Ich liebe New York. Aber es ist ein sehr hartes Pflaster. New York ist eine Stadt für junge Leute. Du verläßt jeden Tag das Haus mit dem Gefühl, in den Krieg zu ziehen. Es ist gewalttätig und wunderbar. Du spürst die Energie durch den Asphalt. Ich habe es lange Zeit mitgemacht, aber jetzt brauche ich einen ruhigeren Platz. Ich habe mich in St.Croix in vielen Sachen engagiert und eine Menge gelernt.

In welcher Beziehung?

Zum Beispiel darüber, welchen Einfluß außenpolitische Beziehungen auf das eigene Leben haben können. Was ich damit sagen will: Wenn wir in den Staaten aufwachsen, leisten wir uns den Luxus...

...den Rest der Welt außer acht zu lassen?

Richtig! Aber der größte Teil der Welt, auch die Karibik, muß seine Beziehungen zu den USA, Europa, zur UdSSR sehr wohl in Erwägung ziehen. Die Existenz der USA beeinflußt unser ganzes Leben hier, unsere Gewohnheiten, unsere politische Meinung, unsere Umwelt. Und es gibt Dinge, über die wir keine Kontrolle haben. Hier liegt der Unterschied zu denen, die in den USA leben. Das hat mein Bewußtsein erweitert.

Gibt es einen kulturellen Imperialismus der USA auf den Inseln?

Der Kulturimperialismus ist allgegenwärtig. Durch die Weißen, die die Inseln als ihre Spielwiese betrachten, in bestimmten Werten, die den Kindern vermittelt werden, im materialistischen Denken und in der Tatsache, daß bestimmte Traditionen der Inselkultur verloren gegangen sind. Wie zum Beispiel ein guter Teil der Volksmedizin, der Heilpflanzenkunde, die dort sehr verbreitet war. Dieser Verlust wird aber leider nicht durch ein modernes Gesundheitssystem ersetzt. Das einzige Krankenhaus in St.Croix hat gerade seine staatliche Lizenz verloren, weil das medizinische Niveau zu niedrig war. Für reiche weiße Amerikaner spielt das keine Rolle. Sie fliegen nach Puerto Rico, New York, Washington. Aber vielen Menschen auf der Insel fehlt die grundlegende medizinische Versorgung. Und das im Herrschaftsbereich des reichsten Landes der Erde.

Ende nächsten Jahres soll es auf den US Virgin Islands ein Referendum geben. Über was sollen die BewohnerInnen entscheiden?

Über unser Verhältnis zu den USA. Im wesentlichen geht es um drei Optionen: erstens Erhalt des Status quo, ob wir weiterhin ein „unincorporated territory“ bleiben wollen, zweitens, ob wir ein „corporated territory“, also längerfristig ein weiterer Bundesstaat werden wollen, ein Prozeß, wie ihn Hawaii durchmachte, oder ob wir unsere Unabhängigkeit fordern.

Gibt es letztere Option überhaupt?

Theoretisch ja. Es geht im Referendum darum, ob wir diese Frage überhaupt stellen wollen. Aber was immer wir entscheiden, die USA müssen ihr Okay dazu geben. Und es ist schwer zu glauben, daß sie eine Entscheidung für die Unabhängigkeit akzeptieren würden.

Auf den Virgin Islands gibt es eine bekannte Frauengruppe, die „Women's Coalition“. Ihr beide seid aktive Mitglieder.

Gloria Joseph: Die „Women's Coalition“ wurde von mir ins Leben gerufen. Ich organisierte 1981 das erste Schriftstellerinnen-Symposium in der Inselgeschichte. Dazu lud ich unter anderem Adrienne Rich und Audre Lorde ein. Wir diskutierten unter anderem über Frauen und Gewalt. Eine Teilnehmerin fragte: Was machen wir nun mit all diesen spannenden Diskussionen und Sachen? Audre Lorde stand auf und sagte: Nehmt Papier und Stift, tragt eure Namen ein und macht ein Treffen. Bereits eine Woche später setzten wir uns das erste Mal zusammen. St.Croix ist klein genug - auch einzelne Leute können öffentliche Wirkung erzielen. Die „Coalition“ ist eine der Gruppen, die mit am meisten in Bewegung setzt. Wir haben ein Haus für geschlagene Frauen eröffnet, wir machen erfolgreiche Spendenaktionen. Beim diesjährigen Frauen-Marathon gab es fast 400 Teilnehmerinnen. In der Inselzeitung haben wir einmal in der Woche unsere feste Kolumne. Wenn ein Prozeß wegen Kindesmißbrauch oder Vergewaltigung stattfindet, füllen die Mitglieder der „Coalition“ die ersten beiden Reihen im Gerichtssaal. Allerdings dürfen sie keine Geschworenen sein: Man hält sie für befangen.

In der „Coalition“ arbeiten weiße und schwarze Frauen zusammen. Gibt es da Probleme?

Gloria: Klar, das geht nicht ohne Streß ab. Als wir anfingen, war die Mehrheit der Frauen schwarz. Aber die weißen Frauen, die dann dazukamen, waren viel redegewandter. Das entspricht ganz den kulturellen Untschieden zwischen Schwarzen und Weißen in den USA. Immer wenn Weiße und Schwarze zusammenkommen, macht sich der Rassismus nachdrücklich bemerkbar. Die Mehrheit der weißen Frauen hat keine Ahnung, um was es dabei geht. Die machen zwar darüber Workshops oder Diskussionen und behaupten, sich damit zu beschäftigen. Aber ihnen fehlt die ideologische und philosophische Position. Manche sagen: Wir haben damit keine Probleme. Die schwarzen Frauen in der „Coalition“ hatten bald den Eindruck, daß die weißen die Show an sich rissen, und blieben einfach weg. Fünf von uns bestanden darauf zu bleiben, denn das Frauenhaus wird vorwiegend von schwarzen Frauen aufgesucht. Daher blieb die Gruppe zusammen, trotz der Spannungen. Wir führen unsere täglichen Kämpfe. Die Vorsitzende ist von Anfang an eine Weiße gewesen. Das ist auch eine Klassenfrage. Sie kann sich diesen Teilzeitjob einfach leisten, weil sie einen wohlhabenden Mann hat.

Hierzulande haben viele sehr idyllische Vorstellungen über die Karibik...

Audre: Die Inseln sind schön, aber sie sind kein Paradies.

Trägt dazu nicht auch der Tourismus bei? Er hat sich in den letzten Jahr stark entwickelt. Es werden Hotels gebaut, Golfplätze angelegt. Das Hafenbecken von St.Croix wurde erweitert, um Platz für Vergnügungsschiffe zu schaffen. Jetzt wird der Strand fortgespült. Sind sich die Frauen über die Folgen des Tourismus für die Umwelt bewußt?

Gloria: Ökologie ist kein Thema. Natürlich gibt es einzelne, die sich dafür interessieren, aber keine Gruppen. Es gibt die „Women's League of Voters“, die sich damit beschäftigt. Aber das sind vorwiegend weiße Frauen. Wir setzen nicht sehr viel Vertrauen in sie, denn es gibt grundsätzliche ideologische Differenzen zwischen uns. Die haben den Kampf gegen den Rassismus nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Für uns aber ist dieser Kampf oberstes Prinzip. Wir können ihn nicht vom Sexismus trennen, aber wir werden niemals zulassen, daß er als zweitrangiges Problem betrachtet wird.

Aber die Umweltzerstörung ist ja auch eine Form des Rassismus. Wenn die Weißen die Inseln als ihren Spielplatz betrachten, ihre Projekte durchziehen, und die Menschen, die dort aufgewachsen sind, all das in Kauf nehmen müssen?

Gloria: Ja, sicher. Aber wir haben im Moment keine, zumindest keine schwarze Gruppe, die die Ökologie zum Hauptthema hat.

Audre: Aus diesem Grund denke ich, daß die „Women's Coalition“ sich über ihr Ein-Punkt-Programm auch anderen Themen öffnen muß. Unser Leben ist ja auch nicht eindimensional. Wir müssen uns viel mehr mit Rassismus und auch mit Ökologie beschäftigen.

Ihr habt auch schwarze Frauengruppen.

Gloria: Ja, die „Sojourner Sisters“. Sie ist in erster Linie für Frauen afro-amerikanischer Abstammung. Wir sind jetzt fünf.

Audre: Und ich bin das jüngste Mitglied.

Gloria: Unser Ziel ist es, die Öffentlichkeit aufzuklären über Frauenunterdrückung, jungen Frauen so etwas wie Vorbilder zu liefern. Wir organisieren politische und kulturelle Veranstaltungen, die die Kulturgeschichte unseres Volkes darstellen und fördern sollen. Dann gibt es noch die „Sisters in Support of Sisters in South Africa“. Wir sind zu dritt und machen jedes Jahr Solidaritätsveranstaltungen.

Audre: Sehr viele der öffentlichen Aktivitäten auf den Inseln gehen von panafrikanischen Frauen aus. Frauen sind einfach im Kommen.

Habt ihr über die Virgin Islands hinaus Kontakt mit Frauen auf den anderen karibischen Inseln?

Gloria: Anfang der 80er Jahre organisierten wir eine Ausstellung zum Thema Karibische Frauen - über die Auswirkungen von Rassismus, Sexismus und Klassenunterschieden. Wir reisten von Insel zu Insel. Überall gab es bereits Frauenrechtsgruppen. Wir lernten die großen ökonomischen und sozialen Unterschiede kennen. Zum Beispiel in Haiti. Da hatte die Frauenorganisation ein wunderbar ausgestattetes Büro. Draußen in den Straßen standen die Bettlerinnen. In den Armen hielten sie Bündel, die ich für Lumpen hielt. Es waren aber ihre Säuglinge.

Auf den Virgin Islands ist das lange nicht so schlimm. Die Inseln gehören den USA und sind die reichsten in der Karibik. Deswegen kommen auch sehr viele Menschen von anderen Inseln hierher, um Arbeit zu finden.

Audre: Vergangenen Mai machte ich mit anderen Frauen einen literarischen Workshop in Trinidad. Veranstalterin war „Cafra“, The Caribbean Assosation of Feminist Research and Action, das ist die Frauenorganisation in der Karibik. Es ist wirklich nötig, daß wir Beziehungen knüpfen über die verschiedenen Kulturen und Sprachen hinweg. Das ist nicht einfach, denn ein enormes Problem ist die Kommunikation.

Ihr lebt zusammen. Werdet ihr als Liebespaar in der Öffentlichkeit akzeptiert?

Gloria: Wir werden als Individuen respektiert. Ich habe dort gelebt und habe familiäre Wurzeln.

Was ist mit den Lesben auf den Inseln? Können sie außerhalb des „closet“ leben?

Gloria: Es gibt keine lesbische Kultur auf den Inseln wie in den USA.

Audre: Aber ist gibt Lesben.

Gloria: Natürlich gibt es Lesben, aber eben keine Kultur.

Und ihr vermißt diese Kultur nicht?

Audre: Manchmal schon. Ja. Ich war ja schließlich in New York jahrelang Teil einer lesbischen Kultur.

Gloria: Für mich gibt es nichts, was ich vermissen könnte.

Audre: Gloria war nie in diesen Kreisen drin (lacht). Frauen in St.Croix küssen sich, umarmen sich, fassen sich auf der Straße an. Der körperliche Kontakt zwischen Frauen dort ist sehr intensiv. Aber wenn du sie fragst, ob sie Lesben sind, schauen sie dich verständnislos an. Sie definieren sich nicht als solche, aber ich würde viele Beziehungen zwischen Frauen dort als lesbisch bezeichnen. Die Übergänge sind fließend.

Das Gespräch führten Helga Lukoschat und Ulrike Helwerth