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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Friedel Hengstenberg  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Selig sind die, die nicht hingehen und glauben sie finden statt: Die Mahnwachen für den Frieden. Eine zum Beispiel ist mittwochs zwischen halb fünf und halb sechs am zentralen Verkehrsknotenpunkt Dahlem-Dorf stationiert. Was eine richtige Mahnwache ist, die kann nicht umhin, dem Wiederholungszwang zu unterliegen. Einerseits ist der Schoß fruchtbar noch, dem sie entstammt, andererseits ihr Bemühen um den Frieden fruchtlos, weshalb sie grundsätzlich „jeden Mittwoch“ abkommandiert werden muß, zur Mahn-Manie und Wahn -Wache gerät und zweifelsohne langmütig und freundlich ist. Sie eifert nicht, sie treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie stellt sich nicht unbärdig und läßt sich nicht erbittern, sie verträgt alles, und sie duldet alles: Regen und Dürre, Frost und Hitze, Sommer und Winter.

Die Mahnwache höret nimmer auf, denn sie kommt immer zu spät, da sie ja nicht dem Krieg, sondern dem Frieden entgegenfiebert, der aber längst schon da ist und auch vergangenen Mittwoch pünktlich um 16.30Uhr in Dahlem-Dorf eintraf. Wer fehlte, war allerdings die Mahnwache, und wer verweilte, aß Bratwurst oder wachte über ein Ende des Regens oder die ordnungsmäßige Abfertigung der U-Bahnzüge wie der Schaffner: „Eine Mahnwache? Für'n Frieden? Nee, das gibt's hier nicht, das hätt‘ ich gemerkt. Außerdem ist das auch verboten hier auf dem Bahnsteig, das dürfen die gar nicht.“ Draußen, um das hintersinnig rot-grün-gelb bepflanzte Rondell herum dürfen sie schon, aber auch dort war kein Mahnwachtmeister, sondern nur Frieden, und daß dieser blieb, verdankte sich lediglich all denen, die zugleich mit ihrer Bratwurst in Händen die Wacht am U-Bahnhof hielten.

In Neukölln hingegen, wo der Frieden sich wohlweislich an einem stillgelegten S-Bahnhof einzustellen pflegt, wird er nicht bewacht, sondern beschwiegen, aber auch das erfolgt prinzipiell „jeden Freitag“, wie selbst die taz jeden Freitag versichert, und zwar seit sieben Jahren bei jedem Wind und Wetter und einem widerwärtigen Gestank nach Hefe. Das Ritual der „Schweigestunde für den Frieden“ begann dann auch letzten Freitag programmgemäß um 17Uhr mit Regen, es stank nach Hefe, und niemand sprach, doch schwieg auch niemand. Einem Schaukasten der Evangelischen Kirchengemeinde war zu entnehmen, daß das Schweigen zwar „in den Ferien ausfällt“, dafür aber in Südtirol oder Rimini zelebriert werden mag, wo ja auch eitel Frieden regiert, der Regen aber häufig schweigt.

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