Die Meister der fliegenden Kleiderbügel

■ Deutsche Meisterschaften im Bumerangwerfen im Volkspark Rehberge / Ein neuer Sport stellt sich vor / Ungläubiges Publikum am Rande und ein k.o.-gegangener Fotograf / „Mystik des unverstandenen Zurückkehrens weggeworfener Gegenstände“

Wären australische Ureinwohner am Wochenende im Volkspark Rehberge gewesen, sie hätten sich sicher abgerollt vor Lachen. Am Rande der Spielwiese, auf der sonst die Weddinger Hundehalter ihre Lieblinge laufen lassen, standen Bockwurstbuden und Verkaufsstände, die bedruckte T-Shirts, Informationsmaterial und modischen Schnickschnack anboten. Aus den Lautsprechern quakte nervtötende Kaufhausmusik und ein Moderator, der dauernd darauf hinwies, man soll doch „im Interesse der eigenen Sicherheit nicht auf die Aktionsfelder laufen“. Und auf den Aktionsfeldern selbst probten die Bumerang-Freaks herum, buntgekleidete junge Leute mit Neon -Skibrillen, Bermuda-Shorts, „Think Pink„-Sweatshirts und jenen kolossal wichtigen Minen, die Vertretern unbekannter Sportarten eigen sind. Sie waren mit Taschen voller selbstgefertigter Wurfhölzer angerückt, hatten schicke Fanghandschuhe übergestreift und ihre Schutzbrillen aufgeschnallt. Die Hölzer beschrieben flappflappend die eleganten Kreise in der Luft und kehrten dann wieder in den Wurfkreis zurück. Ein kurioser Anblick, der den vorbeikommenden Weddinger Jungfamilien und Rentnerpaaren oft die Münder offenstehen ließ. Da die Bumerangwerfer aber nicht aus purer Freude warfen, sondern sich als Sport etablieren wollten, sah das Reglement vier Disziplinen vor: fünf Fangwürfe auf Zeit (Fast Catch); Langzeitwerfen (Weltrekord derzeit 2 min.53); Fänge in 5 Minuten (WR: 60) und die Australische Runde, eine Kombination, die Weite, Genauigkeit und sicheres Fangen verlangt. Etwa 130 Teilnehmer waren dabei, und immer wieder wurde stolz darauf hingewiesen, daß der deutsche Bumerang-Club mit 600 Mitgliedern der größte Bumenrang-Verein der Welt ist.

Diese Werfergemeinde rekrutiert sich offenbar vor allem aus ehemaligen Frisbeespielern, Drachenliebhabern und Versuchsjongleuren, jenen modernen Menschen also, die gern die Nase vorn haben und deshalb eine „irgendwie unheimlich witzige Sportart“ betreiben. Andere Werfer dagegen raunen geheimnisvoll von der „Mystik des unverstandenen Zurückkehrens weggeworfener Gegenstände“ (oh, dann ist meine alte Waschmaschine ein Bumerang? sezza).

Der 26jährige Oliver ist da wesentlich cooler, er hat vor einem knappen Jahr „aus Jux damit angefangen und kann jetzt nicht mehr aufhören“. Er trainiert gewöhnlich zwei Stunden am Tag und baut nebenher seine Bumerangs, etwa 200 Stück hat er bisher gesägt, abgefeilt und lackiert. Die Erläuterungen von Aufwinden, Windwirbeln, Translationskräften und Drehmomenten kommen ihm ganz selbstverständlich von den Lipen; „wer nicht einigermaßen rafft, was da abläuft, wird nie richtig gut“.

Zu sehen ist für den Laien jedoch nur, daß der Bumerang fast senkrecht zum Horizont und mit kräftiger Drehung angeworfen wird, sich dann quer in den Wind legt und in eine kreisförmige Flugbahn nach links aufsteigt. Wenn er zum Werfer zurückkehrt, legt er sich parallel zum Erdboden und sinkt langsam herunter. Die Höhe und Weite des Fluges richtet sich nach den Eigenschaften des Bumerangs. Wer von den Zuschauern selbst einige Würfe versuchte, empfand wohl bald die Faszination, die der frühe Bumerang-Freak Bernard S. Mason beschrieb: „Die reine Schönheit des Fluges und die Vollkommenheit der Rückkehr sind ein nie endendes Vergnügen“.

Das Rahmenprogramm versuchte natürlich, neue Adepten dieses Spieles zu gewinnen, aber schließlich standen die vorbeikommenden Spaziergänger doch lieber bei den Drachenfliegern und bestaunten die Frisbee-Jongleure. Im Stand daneben konnte man sich für 15Mark einen Bumerang selbst bauen und im Nachbarzelt „die schönsten Bumerangs“ besichtigen: buntschillernde Airbrush-Kunstwerke mit fünf Flügeln, in Scherenform, als Eule, Libelle oder Ente, furnierte Arbeiten mit eingelegtem Silber, oder Phantasieformen mit altägyptischen Bemalungen. Solange die Hölzer ein Flugzeugtragflächenprofil haben, fliegen sie auch in gewünschter Weise. Die Biertrinker im Vereinslokal brüteten derweil über mögliche Verwendungsformen im Alltag: „Damit können die Polizisten flüchtende Bankräuber erlegen (oder umgekehrt. sezza). Oder Lehrer könnten brabbelnde Kinder zur Räson bringen (dito. sezza). Oder du könntest auf die Tauben im Hinterhof Jagd machen (äh. sezza)“.

Der geschichtliche Hintergrund ist noch nicht ganz enträtselt. Es muß im Jahre 12.532 vor unserer Zeitrechnung gewesen sein. Die australische Ureinwohner warfen sich wieder einmal zum Zeitvertreib Keulen an die Köpfe, als Wa'rumbo seiner Keule einen so seltsamen Drall verlieh, daß sie einen eleganten Bogen beschrieb und krachend auf seinem Schädel landete. Als sich das brüllende Gelächter gelegt hatte, eiferte der ganze Stamm Wa'rumbos Beispiel nach und bis sich die Fangtechnik verfeinert hatte, war so mancher Schädelbruch zu beklagen. Dann hatten die Aborigines ein neues Spielzeug erfunden, das sie „Burramanga“ oder „Boomori“ nannten (beides bedeutet Wind und Wurfholz). Für die Jagd blieb man jedoch meist bei den „killer sticks“, die nicht zurückkehrten. Nur für Jagd auf Entenschwärme oder Kängeruhrudel benutzte man gelegentlich auch Rückkehrer. Außerdem war der Bumerang auch für den Nahkampf als Schlaginstrument von Nutzen.

Als die Europäer die australischen Ureinwohner aufmischten, waren sie angesichts des Fluges der Bumerangs völlig von den Socken. „Wenn das Gerät zurückkehrt“, schrieb der eine ehrfürchtig, „muß man es aufmerksam beobachten und darf sich nicht bewegen, außer wenn es zu nahe kommt“. Ein Fotograf, der im Volkspark Rehberge wie angewurzelt stehenblieb, wurde dann auch eindrucksvoll am Kopf getroffen und legte sich blutüberströmt auf den Rasen. Ansonsten aber ist das Bumerangwerfen heutzutage ein einfacher und entspannender Spielsport, getreu den Worten des Völkerkundlers Max Buchner, der fand, „daß jene Kunst der wilden Australier nicht bloß zur stillen Geistesgymnastik, sondern auch zum Vergnügen des Leibes nützlich und genießbar ist“.

Olga O'Groschen