: Anhaltender Protest nach Tod im Knast von Aydin
■ Demonstrationen nach dem Tod zweier politischer Gefangener / über 1.000 im Solidaritätshungerstreik / Menschenrechtler: Europarat soll Maßnahmen gegen Folter ergreifen / Justizminister will nicht zurücktreten / Autopsiebericht der Angehörigen spricht von Schlägen
Ankara/Berlin (afp/taz) - Auch vier Tage nach dem Tod zweier hungerstreikender politischer Gefangener halten die Proteste in der Türkei an. Am Samstag kam es in mehreren Städten zu Demonstrationen. Etwa hundert Personen, darunter Mitglieder der Gefangenenhilfsorganisation Tayad, wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen festgenommen. Der Präsident der türkischen Menschenrechtsorganisation, Nevzat Helvaci, beschuldigte die Regierung Özal des „vorsätzlichen Mordes“ und forderte den Europarat auf, wegen Folter und schlechter Behandlung von Gefangenen Maßnahmen gegen die Türkei zu ergreifen.
Die beiden Mitglieder der kurdischen Guerilla PKK Mehmet Yalcinkaya und Huseyin Husnu Froglu waren am Mittwoch, dem 35.Tag eines landesweiten Hungerstreiks gegen schlechte Haftbedingungen, in dem Gefängnis von Aydin gestorben. Unterdessen befinden sich offenbar mehr als tausend Häftlinge im Solidaritätshungerstreik, 15 hungern schon seit 38 Tagen. Eine Gefangene in der Frauenhaftanstalt Bartin in der Nordtürkei liegt nach Auseinandersetzungen mit dem Wachpersonal im Koma, hieß es nach bisher unbestätigten Meldungen. Eine von der Sozialistischen Partei für gestern in Ankara geplante Kundgebung wurde verboten.
Trotz wachsender öffentlicher Proteste ist der verantwortliche Justizminister Oltan Sungurlu nicht zurückgetreten. Statt dessen kündigte er Änderungen in einigen Sicherheitsbestimmungen zum Strafvollzug an. Wie die türkische Nachrichtenagentur 'Anatoli‘ meldete, will man Gefangenen Gespräche mit Anwälten außer Hörweite des Wachpersonals und Zeitungslektüre, so diese nicht verboten, zugestehen. Sungurlu will zudem eine Kommission einrichten, die „unter Berücksichtigung der Regelungen in europäischen Gefängnissen die Bestimmungen zum Strafvollzug und zur Leitung von Gefängnissen sowie Strafanstalten in der Türkei verbessern“. Eine andere werde alle juristischen und medizinischen Maßnahmen zur Zwangsernährung für hungerstreikende Politische festlegen. Es solle bei den derzeit noch Hungerstreikenden unverzüglich „jegliche medizinische Behandlung“ vorgenommen werden. „Wenn es nötig ist, werden sie sofort in ein Krankenhaus gebracht.“
Das war bei den beiden Opfern nicht geschehen. Nach 35 Tagen Hungerstreik waren sie vom Gefängnis Eskisehir nach Aydin transportiert worden. Berichten der türkischen Presse vom Wochenende zufolge wurden die insgesamt 37 geschwächten Gefangenen bei 40 Grad Hitze in engen Transportern aneinandergekettet. In Aydin sollen sie laut Staatsanwalt die Wärter angegriffen haben. Die Gefangenen hatten berichtet, bei der Ankunft hätten sie um Hilfe gerufen und seien dann von Wachsoldaten mit Knüppeln verprügelt worden. In einem von den Angehörigen der beiden Todesopfer beantragten Autopsiebericht ist auch von Schlägen gegen die Gefangenen die Rede. Im offiziellen Autopsiebericht war „akuter Flüssigkeitsmangel“ Todesursache.
AS
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