: „Das sind eigentlich Jugendliche, denen tödlich langweilig ist“
■ In Tegel brachte ein Jugendarbeiter rechte Skinhead- und Antifa-Jugendliche an einen Tisch / Ein gemeinsamer Verein ist inzwischen gegründet worden / „Mit Yoga und Geburtsvorbereitung können die nichts anfangen“ / Im Norden von Reinickendorf gingen die Skinhead-Überfälle auf die Aktionen hin zurück / Kritik an militanten Antifas
Kann man mit Skinheads diskutieren? Für Thomas Mücke, Sozialarbeiter und Mitarbeiter im Tegeler Jugendcafe GAK, ist das inzwischen keine Frage mehr. Im Mai brachte er Jugendliche aus der Skinhead-Szene und Antifa-Jugendliche an einen Tisch. Den ersten Gesprächsversuchen folgten Taten: gemeinsame Fußballspiele und Grillfeste.
Inzwischen haben die Jugendlichen einen Verein gegründet, der sich „Initiative für ein friedliches Miteinander und zur Verbesserung der Lebenslage von Jugendlichen“ nennt. Nächstes Projekt der Initiative, in der Jugendliche aus der sogenannten Ella-Clique (nach einem Getränkekiosk am S -Bahnhof Hermsdorf), aus der sogenannten Pilz-Gruppe (die sich am Frohnauer Pilz trifft) und Jugendliche aus Reinickendorfer Oberschulen mitarbeiten: Auf einem leerstehenden Grundstück wollen sie sich aus alten Zirkuswagen eine Wagenburg bauen.
taz: Wie kam es zu diesem Projekt von Jugendlichen aus der rechten und aus der Antifa-Szene?
Thomas Mücke: Ende letzten Jahres waren wir mit der Situation konfrontiert, daß hier Jugendliche in die Einrichtung reingekommen sind, die Verletzungen hatten, weil sie am U-Bahnhof Tegel von Skinheads zusammengeschlagen worden sind. Meine Kollegen und ich im Jugendcafe haben auch mitbekommen, daß neonazistische Schmierereien zugenommen haben, davon waren auch andere Jugendeinrichtungen betroffen. Wir haben uns deswegen überlegt, was kann man da eigentlich machen? Das Thema Skinheads, Rechtsextremismus bei Jugendlichen wurde damals in der Öffentlichkeit nicht breit diskutiert. Wir hatten aber den Eindruck, hier entwickelt sich etwas, was wohl zu einem größeren Problem wird.
Zunächst haben wir mit Jugendlichen zusammen einen Videofilm gemacht, um die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen und rechtsextreme Aktivitäten zu dokumentieren. Wir, das heißt ich zusammen mit Schülern von Reinickendorfer Oberschulen, haben dann die Punkte ausgemacht, wo diese Jugendlichen sich treffen und dann die sogenannte Pilz -Gruppe, die sich am Frohnauer Pilz trifft, erst mal ungefähr vier Wochen lang sozusagen observiert. Wir haben versucht zu erfahren, was verbirgt sich eigentlich hinter der ganzen Sache, wie stark ist der Einfluß von neonazistischen Organisationen auf diese Gruppe und warum machen sie überhaupt diesen ganzen Streß.
Wir haben feststellt, daß es halt Jugendliche sind, die in verschiedenen Lebensbereichen manchmal schon seit ihrer Kindheit ausgegrenzt sind. Sie suchen eine Gruppe, um eine gewisse Stärke zu haben. Aber auch als Gruppe machen sie die Erfahrung der Ausgrenzung. Das hat dann zur Folge, daß irgendwann neonazistische Gruppen auf solche Jugendliche zukommen, in der Hoffnung, das ist ihr Revier. Und das tun sie auch sehr geschickt, mit einfachen Parolen, indem sie zum Beispiel sagen, die Antifa-Jugendlichen betrachten euch als Untermenschen, die wollen euch vernichten. Hinzu kommt aber noch, daß solche Sachen wie Subversivität, Halblegalität und Action angesagt sind, ein bißchen aus der Langeweile raus. Das sind ja eigentlich Jugendliche, denen sonst tödlich langweilig ist.
Diese Jugendlichen würden auch nicht in Jugendfreizeiteinrichtungen gehen oder hier in euer Cafe kommen?
Anfangs ging die Diskussion darüber, ob man versucht, diese Jugendlichen in die bestehenden Einrichtungen zu integrieren. Das bringt aber nichts. Da sind bestimmte Strukturen da, die Jugendliche nicht ansprechen. Hier in Frohnau-Nord zum Beispiel, ist dieser sehr stark ökologisch -frauenemanzipatorische Ansatz überhaußt nicht geeignet, der spricht männliche Jugendliche mit bestimmten Problemen überhaupt nicht an. Die haben das Bedürfnis, Dampf abzulassen, zu relaxen, Quatsch zu machen.
Die können mit Yoga, Computer oder Geburtsvorbereitung nichts anfangen. Die Strukturen in diesen Einrichtungen zu verändern, wäre wesentlich schwieriger, als etwas Neues auf die Beine zu stellen, und abgesehen davon, wollen diese Jugendlichen auch nichts vorgesetzt bekommen. Sie wollen sich selbst erfahren, selbst etwas aufbauen, damit sie nachher sagen können, das ist ein Teil von mir, da habe ich mitgewirkt.
Sind die Skinhead-Überfälle jetzt in Tegel zurückgegangen?
Im Norden von Reinickendorf sind sie völlig zurückgegangen. Auf ganz Berlin bezogen, kann man das natürlich nicht sagen. Der Grund, warum das in letzter Zeit zugenommen hat, ist, daß es halt eine Gewalteskalation gegeben hat. Es gibt halt auch im Autonomen und linken Bereich Gruppen, die sich organisieren und ebenfalls auf Skinhead-Jagd gehen. Das hat die ganze Sache ziemlich hochgebracht. Das hat man auch hier oben im Norden gemerkt, wenn die Jugendlichen von der Pilz -Gruppe plötzlich von Vermummten angegriffen worden sind.
Einmal waren das türkische Jugendliche, bei denen ist nach dem Mord im Märkischen Viertel irgendwie die Schnur gerissen und die sind dann bewaffnet durch Tegel, Lübars und Frohnau gezogen. Das war erschreckend, und es hat auch eine Weile gebraucht, mit denen Kontakt aufzunehmen. Das ist eine sehr schwierige Situation, wenn die anderen versuchen, ihre alten Verhaltensmuster abzulegen und ihre Baseballschläger wegpacken. Die hatten ihre Waffen nicht mehr dabei, wenn sie sich irgendwo getroffen haben. Jetzt werden die auf einmal von Vermummten gejagt und verfolgt, dann kann es sehr schnell passieren, daß sie wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen.
Interview: Frauke Langguth
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