Warten auf den erlösenden Regen Far West

Ein Jahr nach dem Katastrophensommer droht in den USA die nächste Dürre / Ernteschäden und Heuschreckenplagen / Besonders Kleinbauern betroffen / Im vergangenen Jahrhundert stieg die Durchschnittstemperatur um ein bis zwei Grad  ■  Von Monika Bäuerlein

Minneapolis (taz) - Mit trübem Blick klopft sich Mike Weis aufs Knie, knapp über dem Cowboystiefel: „Normalerweise sollte mir der Mais um diese Jahreszeit bis zur Hüfte gehen. Aber heuer geht's nur bis hier.“

Seit Wochen hat es auf der Farm im Südwesten Minnesotas nicht geregnet. Weis und viele andere Farmer richten sich langsam, aber sicher auf eine weitere Katastrophenernte ein.

Eigentlich wollten sich die Weis‘ dieses Jahr von der großen Dürre erholen, die sie 1988 an den Rand des Bankrotts brachte. Im „Katastrophensommer“ jagten die Bilder von Waldbränden, verdurstenden Kühen und vertrockneten Feldern durch die Vereinigten Staaten und durch die Welt.

Die USA, der größte Kornproduzent der Welt, verloren über die Hälfte einer Durchschnittsernte. Dieses Jahr sind die Schlagzeilen weitgehend stumm geblieben. Doch die Folgen einer zweiten Dürre, so meinen Land- und Forstwirschaftsexperten, könnten schlimmer sein als die der ersten.

„Vielleicht werden wir rückblickend nächsten Winter sagen: Die Dürre hat nie aufgehört. Sie hat sich nur etwas verschoben“, sagt Richard Heim, ein Metereologe am National Climatic Data Center in Asheville, North Carolina. Ende Juli letzten Jahres schwitzten laut Heim 35,9 Prozent des Landes unter „schweren“ oder „sehr schweren“ Wetterbedingungen. Ende Juli dieses Jahres waren es 31 Prozent. Doch während die Dürre 1988 die Metropolen der Ostküste und die „Kornkammer“ des Mittleren Westens am schwersten traf, sind es dieses Jahr die weniger bekannten und bevölkerten Staaten des „Far West“, unter anderem Montana, Wyoming und North Dakota. In North Dakota rief der Gouverneur bereits Ende Juni den „staatsweiten Dürrenotstand“ aus.

Einen Staat weiter östlich, in Minnesota, sieht es nur wenig besser aus. Die Landwirtschaftskammer des Staates berichtete vergangene Woche, daß 80 Prozent des Bodens „wenig bis sehr wenig“ Wasser haben. Ein Teil der Ernte besonders die empfindliche Luzerne, die hier als Viehfutter angebaut wird - ist bereits hinüber. „Wenn es nicht bald regnet“, so warnte ein Politiker, „gibt es eine Katastrophe.“ Für Farmer wie Mike Weis ist die Aussicht auf eine weitere Dürreernte besonders bedrohlich, weil sie im letzten Jahr alle Reserven ausgeschöpft haben. Ihre Bank gibt keinen Kredit mehr, die Silos sind leer, und der Scheck von der Regierung ist für einen Traktor draufgegangen. Die Farm von Mike und Jeannette Weis gehört zu den wenigen Klein - und Mittelbetrieben, die das große Bauernsterben der achtziger Jahre überlebt haben. Beide haben Teilzeitjobs in der nächsten Kleinstadt, weil die Farm alleine nicht genug zum Leben abwirft. In den letzten zwei Jahren sah es gerade so aus, als hätte sich das Blatt gewendet. Doch wenn die Weis‘ in diesem Jahr nicht genug ernten, um ihre Verträge zu erfüllen, müssen sie aufgeben.

Ähnlich trübe wie die Weis‘ sieht auch Lester Brown in die Zukunft. Browns „Worldwatch Institute“ in Washington berechnete letztes Jahr die Folgen der knappen US-Ernte für die Weltgetreidevorräte. Enthielten die Silos 1987 noch genug, umd die Weltbevölkerung 110 Tage über Wasser zu halten, waren es 1988 nur noch 57 Tagesrationen. Eine weitere knappe Ernte, so warnt Brown, könnte die Spanne auf 14 Tage schrumpfen lassen.

In vieler Hinsicht ist die Dürre von 1989 die logische Fortsetzung der vom letzten Jahr. Der staubtrockene Boden konnte selbst nach der Schneeschmelze im Frühjahr kaum Wasser aufnehmen, und schon im Frühjahr meldeten Farmer in Kansas eine katastrophale Winterweizenernte. im April und Mai sah es so aus, als bliebe den Farmern das Schlimmste noch einmal erspart. Doch Anfang August ist klar, daß 1989 für weite Teile der USA ein Dürrejahr ist - wie jedes Jahr seit 1982.

Metereologen sehen darin keinen Ausrutscher auf der Wetterkurve. Im Laufe des letzten Jahrhunderts ist die Durchschnittstemperatur in diesen Breitengraden um ein bis zwei Grad Celsius gestiegen. Die Wetterexperten sind nicht sicher, ob die regelmäßigen Dürrewellen sich als direkte Folge der weltweiten Klimaveränderung verstehen lassen. Doch sie warnen, daß Temperaturen und Niederschläge wie die in diesem und dem letzten Jahr in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme darstellen werden.

Neben dem Schaden für die Ernte hat die Dürre in den USA weitere häufig unerwartete Folgen. Der Mittlere Westen erlebt derzeit eine Heuschreckenplage von biblischen Ausmaßen. Im ausgetrockneten Boden konnten diesen Winter mehr Eier überwintern als je zuvor, und wo sonst ein oder zwei Hüpfer auf einem Quadratmeter Ackerboden krabbelten, waren es dieses Jahr bis zu 500 auf der gleichen Fläche. Ende Juli hatten die Insekten in Teilen Minnesotas, Wisconsins und Iowas bereits 15 Prozent der Weizenernte aufgefressen. Farmer und Gemeinden sprühen flächendeckend Pestizide; Umweltschützer warnen, daß die Gifte neben Heuschrecken auch andere Insekten vernichten und das ökologische Gleichgewicht in Gefahr bringen.

Bäume und Flüsse leiden ebenfalls unter der Dürre. Schon seit Wochen hängt über vielen Städten im Mittleren Westen ein gelblich-grauer Schleier - treibender Rauch von den Waldbränden Hunderte von Meilen weiter westlich. Über 800.000 Hektar Wald sind bereits abgebrannt, und wenn es nicht bald regnet, könnten es Millionen werden. In den wasserreichen Staaten Minnesota und Wisconsin führten Anfang August bis zu 80 Prozent aller Flüsse und Seen „besorgniserregend“ wenig Wasser. Bewohner beider Staaten befürchten, daß die Hitze und Trockenheit Fische sterben und Seen umkippen lassen werden.

Noch hoffen Land- und Forstwirte, Klimatologen und Politiker auf Regen. Kräftige Niederschläge in den nächsten paar Wochen könnten bis zu zwei Dritteln der Ernte retten. Wie auch immer das endgültige Urteil über den Sommer '89 aussehen wird, die Bundesregierung in Washington wird auf jeden Fall für die Farm- und Waldstaaten in die Tasche greifen müssen. Letztes Jahr zahlte Washington insgesamt 4 Milliarden Dollar „Dürrekatastrophenhilfe“ (einen Teil davon hatte die Regierung allerdings vorher in Zahlungen für Brachflächenpläne eingespart). Ganz soviel werden Kongreß und Regierung dieses Jahr wohl nicht springen lassen, doch knapp eine Milliarde sind bereits verabschiedet.

Für Großbetriebe kann die großzügige Unterstützung ein Dürrejahr geradezu lohnend machen, besonders wenn sie rechtzeitig auf höhere Preise gesetzt und einen Teil der ersten Ernte gehortet haben. Doch Farmern wie den Weis‘ wird es wenig helfen: Selbst mit dem Geld aus Washington können sie ihre Bank nicht noch ein Jahr länger hinhalten. Vielleicht wandern sie dann nach Kanada aus, meint ein Nachbar nur halb im Scherz. „Ich hab gehört, wenn der Treibhauseffekt kommt, gibt's da gutes Wetter.“