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Diktatur des Schwachsinns

■ Ein schwer zu ertragendes 1:0 für Hertha gegen Bayreuth / Realsatire mit Trainer und Programmheft

Auf der Pressekonferenz überlagerte dieses Mal gedämpfte Heiterkeit die sonst gewohnte verkrampfte Stille. Schuld daran war Bayreuths Trainer Manfred Schlebusch, der mit seiner Spielanalyse sogar dem sonst zurückhaltenden Hertha -Coach Werner Fuchs ein nach oben gerichtetes Zucken der Mundwinkel entlockte. Mit dem gleichen, naiv-ernsthaften Ausdruck im Gesicht, mit dem Kinder und Politiker die Trümmer ihrer Spielleidenschaften auf Flohmärkten und in Parlamenten anpreisen, versuchte Schlebusch den anwesenden Vertretern der Öffentlichkeit weiszumachen, daß seine Mannschaft das Spielgeschehen „diktiert“ hätte, das taktische Konzept befolgt und den Ball kombinationssicher in den eigenen Reihen gespielt hätte.

Den 8.450 Zeugen - und Zeuginnen - der behaupteten Vorgänge mußte dies als rhetorische Meisterleistung erscheinen. Das taktische Konzept hieß Null/Null, in jeder auslegbaren Weise. Die Kombinationen zwischen Libero Anweiler und Torwart Grüner innerhalb der eigenen Hälfte liefen wirklich wie am Schnürchen, und somit „diktierten“ die Gäste den Berlinern die meiste Zeit ihre Machtlosigkeit gegen den stupidesten Anti-Fußball, der seit langem im Olympiastadion vorgeführt wurde.

Hier zeigte sich die völlige Hilflosigkeit der Herthaner gegen eine Mannschaft, die auf den Platz kommt und sehnsüchtig das Ende der 90 Minuten erwartet. Schon nach einer Vierstelstunde versackten die Berliner Angriffsbemühungen in Konfusion und Nervosität - nach vier erstklassigen Chancen in fünf Minuten wußte kaum einer der Herthaner mehr, Sinnvolles gegen den Bayreuther Abwehrblock in die Wege zu leiten.

Nur Aaltonen und Lünsmann schafften es, den Ball mit sehenswerten Volleyschüssen Richtung Tor zu befördern; in diesen für jeden Torwart kritischen Momenten bewies Bayreuths Grüner, daß er nicht nur die unzähligen Rückgaben seiner Mitspieler fangen konnte. Als er den Ball einmal doch nicht erreichte, half der Pfosten mit, bevor Patzke kurz vor Ende der Begegnung gleich zweimal hintereinander ins Tor traf. Der erste Treffer - nach einem Freistoßtrick - zählte jedoch nicht, weil sich mal wieder jemand zu früh bewegt hatte; beim zweiten Versuch konnte Patzke auf die Blödheit der Bayreuther bauen und traf mit demselben Trick abermals ins Tor.

Ob mit diesem schwer verdaulichen Brocken tatsächlich „Appetit auf Hertha“ gemacht wurde, wie die Herausgeber des Stadionprogramms in ihrem Vorwort süffisant erhofften; das Heft selbst sorgte für viel Spaß. Von naiv-dümmlichen Verkäuferinnen feilgeboten, konnten dort die Karten, wässrige Wurst und klebrige Getränke teuer bezahlenden Fans nachlesen, wie wohl sich die Bonzen respektive lieben Sponsoren, deren Geld ja alles zu verdanken ist, in der Ehrenloge fühlen, weil sie sich dort, umgeben von Tischchen, Schirmchen und Blümchen ordentlich vollfressen und mit der berühmten braunen Brause berauschen konnten. Can't beat the feeling...

Schmiernik

HERTHA BSC: Junghans; Halvorsen; Jakobs, Niebel, Lünsmann, Aaltonen (63. Rombach) , Patzke, Gowitzke, Zernicke; Kurtenbach (68. Kretschmer), Gries.

BAYREUTH: Grüner; Anweiler; Konradi, Wiest; Gebhardt, Stockinger (80. Hübner), Jalocha, Scheler, Schneider, Biernat, Wolff (64. Gerber).

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