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Zum Goldenen Vlies und den heißen Teigkügelchen

Das erste nichtstaatliche Reiseunternehmen der UdSSR hat sich in Georgien etabliert / Kooperative erfreut sich reger Unterstützung der örtlichen Behörden  ■  Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) - Dschemal Gordeladse steht im heißen Aufwind der Propeller mitten auf dem Flughafen von Tbilissi. Dieses Ambiente ist seine Welt. Als Vorsitzender des ersten nichtstaatlichen Touristikunternehmens in der Sowjetunion, der Kooperative „Interservice“, ist Gordeladse ununterbrochen zwischen Moskau, Tbilissi und Batumi unterwegs. Dort, an der kaukasischen Riviera, in der Schwarzmeer-Kurstadt und Hauptstadt der Adscharischen Autonomen Sowjetrepublik, hat das Unternehmen seinen Sitz. Wer den staatlichen sowjetischen Touristikbetrieb mit seinen zahlreichen „Trägheitsmomenten“ kennengelernt hat, weiß, daß der eher schmächtige, blasse Mann ein Löwe an unternehmerischem Wagemut sein muß, um es mit dieser Maschinerie aufzunehmen.

Interservice wurde am 30. November 1988 gegründet. Die Firma will sich vorerst mit der touristischen Erschließung der eigenen Sowjetrepublik begnügen. Georgien, wo fast die gesamte sowjetische Tee-Ernte und 90 Prozent der Zitrusfrüchte des Landes eingebracht werden, hat nicht nur wildromantische Bergtäler und Meereslandschaften zu bieten, sondern auch Kulturdenkmäler von rätselhafter Würde. Noch stehen hier Kirchen aus dem sechsten Jahrhundert, und Grabungen bezeugen den Handel und Wandel der Antike, wo die alten Griechen in diesem Land ihr „Kolchis“ erblickten, wo Jason das Goldene Vlies suchte, Medea ihre Rachegelüste auslebte und Prometheus an seinen Felsen geschmiedet wurde.

„Wir sind dabei von der Hoffnung ausgegangen, daß der Tourismus in Georgien immer und unter allen Umständen florieren wird“, meint Gordeladse. Natürlich sieht er die Entwicklung nationaler Konflikte auch in dieser Sowjetrepublik mit Sorge, hofft aber, daß der Hang der unterschiedlichen Nationen Georgiens zur Lebenskunst bald über ihre Zwiste siegen wird.

Seit dem 30. Mai dieses Jahres verfügt die Kooperative über ein eigenes Konto bei der sowjetischen Außenhandelsbank und kann ihre Dienstleistungen nun auch ausländischen Touristikunternehmen anbieten. Im Augenblick veranstaltet Interservice schon Charterreisen für Polen und Türken. „Und wir sind gerade dabei, Verträge mit Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Griechenland abzuschließen. In der Wahl unserer Vertragspartner sind wir völlig frei. Wenn Sie es wollten, könnten wir auch mit der taz einen Vertrag machen“, bietet Gordeladse an: „Wir veranstalten für unsere Gäste ausgedehnte Exkursionen durch Georgien, die nicht nur äußerliche Sehenswürdigkeiten beinhalten, sondern auch eine intensive Bekanntschaft mit der georgischen Küche ermöglichen und mit all den Bräuchen, die unser häusliches Leben beinhaltet. Gerne machen wir es deshalb für unsere Gäste auch möglich, daß sie einen Tag in einer georgischen Familie auf dem Lande verbringen. Der Hausherr wird an diesem Tag für Sie Mittagessen und Abendbrot bereitstellen, und Sie können an Ort und Stelle nachvollziehen, wie die Georgier leben, wie sie arbeiten und womit sie sich sonst so den lieben langen Tag beschäftigen.“

Die Ziele solcher Exkursionen hängen völlig von den Wünschen der ausländischen Vertragspartner ab. Bis jetzt wurden Erfahrungen mit Routen gesammelt, die drei bis vier Tage von der Stadt Tbilissi aus ins Land führen und zwei bis drei Tage von den Ausgangsorten Kutaissi oder Batumi. Interservice organisiert die Reise auf allen Ebenen. Das beginnt mit dem Charterflug aus einer beliebigen Vertragsstadt direkt nach Tbilissi und geht weiter mit der Betreuung im georgischen Intourist-Hotel. Dort, so versichert Gordeladse, bemühe sich die Firma nach besten Kräften um ein „dem Westen vergleichbares Niveau“. Eine besonders heikle Aufgabe besteht darin, sich einen gewissen Einfluß auf die Angestellten der Intourist-Hotels zu sichern. Interservice hat sie einfach und effektiv gelöst. Jedes Hotel erhält zwischen drei und zehn Prozent über dem tariflichen Preis. Wie dieser Zuschlag im Sinne eines besseren Service zu verteilen ist, liegt im Ermessen der jeweiligen Hotelleitung.

Der harte Karn der Kooperative besteht aus nur sechs Leuten; weitere Mitarbeiter werden nach Bedarf angemietet man müßte besser sagen: „angezogen“, korrigiert der Jungreiseunternehmer. Das sind Führer, Übersetzer und Fahrer. „Obwohl wir doch bloß eine Kooperative sind, können wir uns bisher weiß Gott nicht über mangelnde Hilfe seitens örtlicher Behörden und der georgischen Regierung beklagen. Sie alle tun für uns, was sie können. Die Perestroika hat die Erkenntnis ermöglicht, daß ein solches Unternehmen nicht nur für uns als 'Kooperativtschiki‘ günstig ist, sondern auch dem Staat nützt, an den wir einen nicht geringen Teil unserer Einnahmen abführen.“

Und was müßten taz-LeserInnen an ein heimatliches Reiseunternehmen abführen, das mit Interservice zusammenarbeitet? Diese Frage ist natürlich ziemlich theoretisch, weil die Verträge in jedem Einzelfall anders aussehen, und Gordeladse reagiert darauf als guter Kapitalist: „Wenn ich dieses Betriebsgeheimnis jetzt verrate, nageln mich künftige Vertragspartner womöglich darauf fest.“ Zu einer Preisangabe ohne An- und Abreisekosten sieht er sich schon eher bereit: Bisher mußten die Interservice-Touristen im Durchschnitt 250 Rubel, also etwa 800 D-Mark, pro Woche zahlen. Dies beinhaltet Unterbringung in Zweibettzimmern mit Bad und Toilette, eine Rundfahrt durch die jeweilige Zielstadt, eine der beschriebenen Landesexkursionen sowie die Besichtigung von Architekturdenkmälern. Auch in den Städten, versichert er noch im Forteilen, entspräche das Abendessen der „rein nationalen grusinischen Küche und wird von unseren besten Köchen zubereitet“.

Die Abschiedsaussage beschwört orientalisch überschwappende Assoziationen von Hühnchen in Nußsauce, marinierten grünen Knoblauchtrieben, hauchdünnen heißen Teigküchlein mit Käse -Quark-Füllung und Granatapfelsüßspeisen. Gordeladse schwebt in einer Wolke imaginärer Tafeldüfte gen Himmel. Er hatte den Piloten der Linienmaschine nach Batumi gebeten, doch der taz zuliebe fünf Minuten später zu starten als der Flugplan vorsieht. Auch das ist in Georgien möglich.

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