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„Großdeutschland“ im Mainzer Standesamt

■ Ein Beamter der Stadt verschiebt die polnische Westgrenze / Junge Polin sollte ihre Heimatstadt Lodz in „Litzmannstadt“ eindeutschen / Ohne den von Hitlers Truppen verordneten Namen keine Heirat / Mainzer Oberbürgermeister bedauert, aber es gibt da die Vorschrift...

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Den Namen „Litzmannstadt“ als Bezeichnung für ihre Heimatstadt Lodz kennt die 27jährige polnische Studentin DorotaB. nur aus Erzählungen. Es sind Erzählungen über die sechsjährige Schreckensherrschaft der Nazitruppen, die 1939 die große polnische Textilarbeiterstadt besetzten und nach einem verhaßten preußischen General umbenannten. Noch heute, fast fünfzig Jahre danach, steht der Name „Litzmannstadt“ in Lodz für die blutige Besatzungszeit der Deutschen und für die Ermordung von nahezu 200.000 jüdischen Einwohnern.

Seit einem dreiviertel Jahr steht der Name „Litzmannstadt“ aber auch als Geburtsort in der Heiratsurkunde von DorotaB. Denn ein Mainzer Standesbeamter hat entschieden, der Ort in dem die junge Polin vor 27 Jahren geboren wurde, heiße nun mal Litzmannstadt. So ersetzte er unter der Rubrik „Geburtsort“ die Bezeichnung Lodz einfach durch den deutschen Städtenamen.

Dorota B. und ihr Ehemann, ein Mainzer Student, wehrten sich energisch gegen diese erneute zwangsweise Eindeutschung, die diesmal auf dem Papier stattfand. Sie legten dem Beamten sogar eine Zeitungsmeldung über eine genau umgekehrte Gerichtsentscheidung vor. Ein deutscher Staatsbürger, so hatte nämlich das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, habe keinen Anspruch darauf, seine Geburtsstadt Lodz unter dem von den Nazis oktroyierten Namen Litzmannstadt im Paß vermerkt zu sehen. Die im Krieg verfügte Namensänderung verstoße gegen das Völkerrecht und habe in einem bundesdeutschen Paß nichts zu suchen.

Doch auch dieser Richterspruch konnte den Mainzer Standesbeamten nicht erschüttern. Wenn dem Ehepaar der Eintrag nicht passe, könne es ja klagen. Entnervt und gedemütigt gaben die polnische Studentin und ihr Ehemann vorerst klein bei. Um ihre Heirat nicht zu gefährden, unterschrieben sie die Urkunde mit dem verhaßten Namen.

Erst mit einiger Verspätung erfuhr im Juli '89 ein Mainzer Professor von diesem beschämenden Vorgang und wandte sich mit einem Brief an das Mainzer Stadtoberhaupt. Oberbürgermeister Herman-Hartmut Weyel (SPD) antwortete nach dreiwöchiger Bedenkzeit.

Weyel bedauerte, daß das Verhalten des Standesbeamten „zu solchen Mißstimmungen geführt hat“. Er habe aber keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, daß der Eintrag „Litzmannstadt“ von den Betroffenen nicht gewollt gewesen sei. Im übrigen habe der Beamte wohl korrekt gehandelt, denn immerhin, so führte der Mainzer OB aus, gebe es da eine Dienstanweisung im Standesamt. Und die schreibe in ihrem Paragraphen 60 fest, daß für Orte „außerhalb des Geltungsbereichs des Personenstandsgesetzes die dort geltende Bezeichnung zu wählen ist. Gibt es allerdings für einen solchen Ort außer der fremden auch eine allgemein übliche deutsche Bezeichnung, so ist diese zu wählen.“

Daß die Umwandlung von Lodz in Litzmannstadt vielleicht doch noch etwas anderes ist als die „allgemeinübliche deutsche Bezeichnung“ Mailand für Milano oder Neapel für Napoli, kam dem Bürgermeister dabei nicht in den Sinn. Im übrigen sei die Bezeichnung Litzmannstadt nun einmal eingetragen, „und das Standesamt kann die Bezeichnung nicht ändern“.

Sollte das deutsch-polnische Ehepaar - wie angekündigt gerichtlich gegen diesen Eintrag vorgehen, so werde die Stadt Mainz selbstverständlich einem eventuellen Gerichtsbeschluß unverzüglich nachkommen.

Ob dieses Briefes reichlich befremdet, fragte der Mainzer Professor noch einmal ungläubig beim OB zurück, ob man in der Landeshauptstadt Mainz „Litzmannstadt“ wirklich für die „allgemein übliche deutsche Bezeichnung“ für die zweitgrößte polnische Stadt halte. Bisher kam keine Antwort.

Durch Nachfragen von Journalisten aufgeschreckt, hat das Mainzer Presseamt jetzt die Sprachregelung als „bedauerliches Mißverständnis“ ausgegeben. Das alles müsse „ein Versehen“ eines unwissenden Standesbeamten gewesen sein. Bald werde die mißliche Angelegenheit ohnehin geregelt sein. Inzwischen nämlich hat das Standesamt - doppelt hält besser - beim Mainzer Amtsgericht eingeleitet, was das deutsch-polnische Ehepaar längst beantragt hat: eine Berichtigung der Heiratsurkunde.

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