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413 Selbstmordversuche bei der Bundeswehr

■ Interne Studie: Im letzten Jahr nahmen sich 86 Soldaten das Leben / Steigender Rauschgiftmißbrauch

Berlin (taz/dpa) - Im vergangenen Jahr haben sich 86 Soldaten das Leben genommen. Das geht aus einem internen Bericht der Bundeswehr hervor, wie die Münchner Illustrierte 'Bunte‘ gestern berichtete. Einen Selbstmordversuch haben danach sogar 413 Soldaten unternommen. Beinahe die Hälfte davon wären Wehrpflichtige gewesen, die sich noch in den ersten drei Monaten ihrer Grundausbildung befunden haben. Als häufigste Auslöser werden in dem Bericht familiäre Schwierigkeiten nach der Einberufung, Eifersucht, und Heimweh genannt.

Im Bonner Verteidigungsministerium wurden die Zahlen gestern bestätigt. Gleichzeitig wurde aber betont, daß die Selbstmordrate rückläufig sei. Sie hätte ihren Höhepunkt 1985 mit 95 Selbsttötungen gehabt. Im Vergleich zur männlichen Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik habe die Selbstmordquote bei der Bundeswehr im Laufe der Jahre damit sogar abgenommen.

Insgesamt sind im letzten Jahr bei den Streitkräften 441 Soldaten gestorben. Die 'Bunte‘ zitiert aus dem Bericht, daß nur in 115 Fällen eine „natürliche Todesursache“ angeführt wird. Allein 33 Soldaten sind bei Dienstunfällen ums Leben gekommen, und 144 weitere wurden dabei schwer verletzt. Drastisch zugenommen hätten auch die Unfälle mit Waffen und Munition. Im Bericht werden 42 solcher Vorfälle aufgezählt. Der Trend zum Rauschgift ist in der Truppe weiterhin steigend. Ohne Berücksichtigung von Alkohol stieg die Zahl der Delikte von 326 (1987) auf 367 (1988) und damit um 12,6 Prozent. Disziplinar-Strafen wurden im letzten Jahr insgesamt 23.036 verhängt. In 18.758 Fällen wurden dabei Dienstvergehen mit Arrest, Geldbußen, mit Degradierungen oder Rausschmiß geahndet.

Der Bericht, hieß es gestern in Bonn, lasse keine „umfassende Beurteilung“ der Streitkräfte zu. Er zeige vielmehr für das vergangene Jahr „wichtige Trends mit einer insgesamt positiven Entwicklung“.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Willi Weiskirch, rief alle Vorgesetzten in der Bundeswehr auf, sich stärker der ihnen anvertrauten Soldaten anzunehmen und dafür zu sorgen, daß es „klimatisch in der Bundswehr stimmt“. Noch immer sei sein Wort von der „merklichen Kühle“ gültig.

Im Streit um die künftige Bundeswehrstärke hat sich jetzt auch der SPD-Verteidigungsexperte Erwin Horn zu Wort gemeldet. Nach seinen Worten wird die Präsenzstärke der Bundeswehr bis Mitte der 90er Jahre auf 380.000 bis höchstens 400.000 Soldaten sinken. Längerfristig sei es vorbehaltlich entsprechender Vereinbarungen bei den Wiener Abrüstungsverhandlungen für den konventionellen Bereich auch möglich, sie auf etwa 250.000 Mann zu verringern. Das käme dann einer Halbierung der gegenwärtigen Truppenstärke gleich. Ziel sei es, die „Stamm-Mannschaft“ auf etwa zehn Prozent zu reduzieren. Das Bonner Verteidigungsministerium hatte dagegen erst am Wochenende Berichte dementiert, nach denen Verteidigungsminister Stoltenberg (CDU) bereits einen schriftlichen Auftrag erteilt hat, die Bundeswehr bis 1995 auf 400.000 Mann zu verkleinern.

wg

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