: Die gute Phase der Diva vom Main
Nach dem 4:0 gegen Bochum steht Frankfurt vorn / In vier Spielen mehr Tore als in der Hinrunde der Vorsaison ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Wann hatte es das im Frankfurter Waldstadion zuletzt gegeben: „La Ola“ rollte in dieser schwülen Sommernacht durch das Rund der Arena und die 25.000 Zuschauer feierten ihre Eintracht mit stehenden Ovationen. Das Spiel der rot-schwarzen Frankfurter gegen die „Kohlefresser“ (Fan-Block) aus Bochum begeisterte selbst die beinharten Skeptiker auf den Rängen, die nach dem verschossenen Elfmeter von Uwe Bein - nach einem Foul von Kempe an Eckstein in der 10. Sekunde - der Eintracht schon eine „rabenschwarze Nacht“ prophezeit hatten.
Daß es am Ende 4:0 für die Eintracht stand und der Angstgeg -ner Bochum während der gesamten 90 Minuten nicht eine Torchance herausspielen konnte, ließ dann selbst den eher zurückhaltend agierenden Trainer Jörg Berger aus sich herausgehen: „Ich muß sagen, daß ich nicht unglücklich bin.“ Die Leistungsexplosion seiner Mannschaft dagegen scheint auch Berger überrascht zu haben. Vor acht Wochen noch sprang die launische Diva vom Main unter Bergers Regie dem Abstiegsgespenst in zwei Relegationsspielen gegen Saarbrücken knapp von der Schippe - und heute führt die Eintracht nach vier Spieltagen die Tabelle der Rennomierliga an. In den vier Begegnungen schossen die Stürmer der Hessen mehr Tore als in der ganzen Hinrunde der Saison 88/89 zusammen. Und der vielgeschmähte Jörn Anderson, der in der vergangenen Saison als Stürmer ein Totalausfall war, ist der amtierende Torschützenkönig der Bundesliga: „Norweger kommen langsam, aber gewaltig.“
Gewaltig kam gegen Bochum auch Janusz Turowski („Turo“), der nach wenigen Minuten für den ohne Fremdeinwirkung verletzen Eckstein von Berger eingewechselt wurde. Konkurrenz belebt das Geschäft: Der pfeilschnelle „Turo“ wirbelte auf dem rechten Flügel die Bochumer Abwehr durcheinander und schoß zwei herrliche Tore - im Stil von Bernd Nickel („Dr.Hammer“). Und noch ein dritter Spieler aus der Angsthasentruppe der vergangenen Saison agierte im Waldstadion länderspielreif. Heinz Gründel, der „Zögerer und Zauderer“, spielte herzerfrischend offensiv und leitete mit einem zirkusreifen Fallrückzieher den Torreigen gegen die grauen Mäuse aus Bochum ein, den Andersen in der 69. Minute mit einem Flugkopfball abschloß.
Der von Köln umworbene Ruhrstürmer Uwe Leifeld lag bei der Frankfurter Abwehr um „Charly“ Körbel an der Kette. Der Star der rüden Bochumer Truppe, der bereits am vergangenen Samstag den IQ-Test im Aktuellen Sportstudio (Torwandschießen) nicht bestanden hatte, verhungerte einsam vor dem Tor von Uli Stein. Auf- und ausfällig spielte bei Bochum nur Thomas Kempe, der nach einem Rempler sechzig Spielminuten lang gnadenlos ausgepfiffen wurde. Für die rund zweihundert mitgereisten Fans aus der Ruhrmetropole wurden die drei Bochumer „Drogen“ - „Bier, Sex und VfL“ (Fahnenaufschrift) - zum Horrortrip. Und Berger schob kurz vor Schluß der Partie noch schlechten Stoff für die Bochumer nach: Der Trainer holte seinen ausgepumpten Spielmacher Uwe Bein vom Feld und wechselte keinen neuen Spieler ein. Auch mit nur zehn Spielern demonstrierte die Eintracht bis zum Schlußpfiff Fußball aus dem Bilderbuch.
Der mit rauschendem Beifall verabschiedete Bein ist zusammen mit dem „heimgekehrten“ Falkenmayer („Keule“) und mit Gründel Teil eines Mittelfeldes, das zur Zeit in der Bundesliga seinesgleichen sucht. Während Falkenmayer im Stil eines abgeklärten Libero mehr den defensiven Part übernommen hat, wuchtet Bein die Bälle präzise auf die Stiefel der wieselschnellen Stürmer Anderson und Turowski. Und wo Bein nicht ist, steht Gründel. „Weltklasse“ nannte der für die Offenbacher Kickers stürmende Alt-Nationalspieler Dieter Müller die Leistung von Bein. Müller muß es wissen, denn Bein ist ein „Offenbacher Bub“.
In den VIP-Räumen des Waldstadions jedenfalls floß nach dem Spiel das Bier in Strömen. Die „neue Eintracht“ (Eintracht) ist - wenn sie ihre Form konservieren kann - eine sichere Bank für flotte Spielchen in der laufenden Saison. Auch das „Umfeld“ scheint wieder zu stimmen: Präsident und Devisenmakler Ohms hält seit drei Spielen den Mund. Und Vizepräsident Bernd Hölzenbein hatte sich zur Feier des „völlig neuen Eintracht-Feelings“ gar eine Krawatte um den Hals gebunden. Mitten im Bierdunst unter dem Prominentenblock erklärte ein Grüner seinem Nachbarn, daß sich das „Wunder vom Untermain“ nur mit dem Regierungswechsel im „Römer“ erklären lasse. Schon während der rot-grünen Ära in Wiesbaden habe die Eintracht „gute Ansätze“ gezeigt.
Trainer Berger hob dann während der Pressekonferenz mahnend den Zeigefinger. Es werde der Tag kommen, an dem die Eintracht auch wieder ein Spiel verliere. Na und? - Solange es bei einem Spiel bleibt.
Frankfurt: Stein - Binz - Roth (46. Bindewald), Körbel Sievers, Gründel, Bein, Falkenmayer, Studer - Andersen, Eckstein (5. Turowski)
Bochum: Zumdick - Kempe - Plomp, Reekers (46. Farkashazy) Rzehaczek, Zanter, Heinemann, Wegmann, Legat (79. Benatelli) - Leifeld, Kohn
Tore: 1:0 Gründel (19.), 2:0 Turowski (31.), 3:0 Turowski (58.), 4:0 Andersen (68.)
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