: Veba-Chef - Prototyp der „unternehmerischen Linken“?
Joschka Fischers neues Buch: Vorwärts in den ökologischen Kapitalismus / Vorschläge strotzen aber von staatlichen Regelungen ■ BUCHREZESSION
Man wird es hinnehmen müssen: Wer in der bundesdeutschen Politik als strategischer Denker und Lenker gelten will, der wird ein Buch veröffentlichen. Befreit von der parteilichen „Beschlußlage“ der Programme wird die Chance gesucht, mit originären, jedenfalls mit der eigenen Person verknüpften Positionen in die Öffentlichkeit zu gehen. Was in der jeweiligen Partei, aus welchen Gründen auch immer, (noch) nicht als Mehrheitsposition durchgesetzt werden kann, soll über den Umweg der öffentlichen Diskussion verankert werden: Öffentlichkeit als politische Ressource. Nicht immer gehen diese Rechnungen auf. Man denke nur etwa an Kurt Biedenkopf oder auch Lothar Späth, deren Schriften insbesondere von den ökolibertären Alternativen nahezu goutiert wurden. Ihren parteipolitischen Karrieren hat dies bislang freilich wenig genutzt: Der eine ist offensichtlich endgültig in der Versenkung verschwunden; der andere gilt als ewiges Talent, dessen strategischer Vorausblick zwar Anerkennung findet, aber auch den Ruck von kaltem Pragmatismus nicht abschütteln kann.
Pragmatismus ist auch der Schlüsselbegriff in dem von Joschka Fischer verfaßten Plädoyer wider die herrschende Umweltlüge. Eingeklagt wird ein „radikaler ökologischer Pragmatismus“ jenseits aller traditionellen Ideologien und gesellschaftlichen Klassenkonflikten. Die Kategorie Pragmatismus ist Fischers ständiger Wegbegleiter, die die Verzweiflung eines politischen Machers über die kruden Realitäten des politischen Alltagslebens zum Ausruck bringt. Und: Pragmatismus scheint genau die Eigenschaft zu sein, die Fischer bei seiner Partei vermißt - ohne die aber, so Fischer, der gattungsgeschichtliche Auftrag eines Umbaus der Industriegesellschaft nicht bewerkstelligt werden kann. Keine Frage: Fischer ist nur zuzustimmen, wenn er den Lesern über Seiten den katastrophalen und in Teilen irreparablen Zustand der Umwelt schildert. Auch ist ihm nur beizupflichten, wenn er die umweltpolitische Bilanz des letzten Jahrzehnts als „just for show“ charakterisiert. Die Entlarvung der Bonner Veranstaltung als symbolische Politik freilich ist nur das Vorspiel für die eigentliche Aufführung: Den Tod des alten linken Antikapitalismus und die Heraufkunft eines neuen Ökologismus, der quer zu den alten Klassenfronten verlaufen wird.
Die zentrale Botschaft, wonach es „ohne eine 'unternehmerische Linke‘, die einen ökologischen Umbau nicht nur will und trägt, sondern die ihn auch praktisch mit der Entwicklung eines zunehmend wachsenden Umweltsektors in der Volkswirtschaft realisiert und Gewinne macht, niemals zu einer erfolgreichen praktischen Politik des ökologischen Umbaus der Industriesysteme kommt, wird von Fischer zwar nahezu bekennerhaft wiederholt. Gleichwohl wird dem Leser kein Argument vorgetragen, das diesen Glaubenssatz in irgendeiner Weise tragen könnte. Gorbartschows Perestroika und Glasnost als Indiz für die Überlegenheit der kapitalistischen Marktwirtschaft bei der Lösung der ökologischen Frage einzuführen, erfreut sich neuerdings bei der „marktbekennenden Linken“ zwar großer Beliebtheit. Mehr als Stammtischniveau erreicht eine solche Argumentation aber nicht. Das Scheitern des realsozialistischen Entwicklungsmodells - das im übrigen politisch an der mangelhaften Versorgungsleistung des Planungsmechanismus festgemacht wird - ist kein Argument für die höhere ökologische Problemlösungsfähigkeit des kapitalistischen Entwicklungsmodells.
Die sich auch dem aufgeschlossensten Leser aufdrängende Frage, wie sich wohl die von Fischer so nachhaltig reklamierte „unternehmerische Linke“ beschreiben läßt, erfährt keine Antwort. Man kann dem Autor geradezu seine Erleichterung nachfühlen, als während der Niederschrift der Anti-Wackersdorf-Coup des VEBA-Chefs Rudolf von Bennigsen -Foerder bekannt wurde, der - unter ausgiebiger Zitation eines 'Spiegel'-Gesprächs - im weiteren als Kronzeuge für die Existenz einer solchen unternehmerischen Klasse herhalten muß. Ansonsten begnügt sich Fischer mit dem Hinweis, daß eine solche Klassenfraktion sich schon aus schierem Selbsterhaltungstrieb herausbilden muß: Der in steilem Wachstum begriffene „ökologische Markt“ wirft schließlich beachtliche Renditen ab, die das ökonomische Selbstinteresse der Unternehmen wecken.
Die von Fischer propagierte Strategie, das unternehmerische Profitmotiv als Hebel zur Lösung der ökologischen Frage zu nutzen, hat freilich bei dieser Klasse bislang noch wenig Aufmerksamkeit gefunden. Zu einer der wesentlichsten Aufgaben der ökologischen Linken in den westlichen Industrieländern, so der Autor, zählt mithin die Aufgabe, den Kapitalismus und damit die unternehmerische Klasse zur Übernahme dieser ökologischen Verantwortung zu „zwingen“. Der ökologische Diskurs mit dem Unternehmerlager kann also als eröffnet gelten. Die von Fischer dabei offerierten Mittel und Instrumente dürften dabei allerdings wenig geeignet sein, den angestrebten Diskurs zu einem ökologischen Erfolg zu verhelfen. War es mangelnde Phantasie oder schiere Bequemlichkeit: Der vorgestellte Umbau des Energie- und Verkehrssystems, die Grundrisse einer Wasser-, Boden- und Chemiepolitik, die Strukturveränderung der Landwirtschaft - alle Politikfelder strotzen vor staatlichen Maßnahmen und Regelungssystemen. Fast scheint es so, als ob Fischer bei der Frage der Umsetzung selbst Zweifel an seinem Freiwilligkeits- und Diskursansatz bekommen hätte. Die von ihm angestrebte „ökologische Kulturrevolution“ droht zu einer „Revolution von oben“ zu degenerieren, die von der Sache her durchaus angemessen sein mag, aber dem so breit ausgewälzten ökologischen Pragmatismus geradezu entgegenläuft. Der Kapitalismus mag zu seiner ökologischen Gesundung gezwungen werde können - aber nur unter Beschneidung traditioneller Machtansprüche, die mit dem Prinzip privater Kapitalakkumulation einhergehen. Wer die grundlegenden Strukturkonflikte kapitalistischer Gesellschaften ausblenden will, wird auch die ökologischen Probleme nur symbolisch bearbeiten können.
Kurt Hübner
Joschka Fischer: Der Umbau der Industriegesellschaft. Plädoyer wider die herrschende Umweltlüge. Eichborn Verlag, Juni 1989, Frankfurt
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