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Die Freifrau mag von Flucht nichts hören

Als Christin kümmert sich die Vorsitzende des ungarischen Malteser-Hilfsdienstes, Csilla von Boeselager, um ausreisewillige DDR-BürgerInnen in Budapest und mag die Ungarn nicht verärgern / Vor den Pässen gibt's Kartoffelsuppe  ■  Aus Budapest Heide Platen

Um 15 Uhr wird Johannes Freiherr Heeremann von Zuydtwyck in Budapest erwartet. Er kommt als bundesdeutscher Generalsekretär des ungarischen Malteser-Hilfsdienstes. Csilla Freifrau von Boeselager ist ebenda Vorsitzende des Verbandes und erläutert diese deutsch-ungarische Verflechtung. Sie sitzt auf einem Gartenstuhl auf dem gepflegten Rasen der Pfarrei von Zugliget in Pest, die Backsteinkirche, die aussieht wie ein Märchenschloß, im Rücken. Um sie herum spielen Kinder, lagern ausreisewillige DDR-BürgerInnen: „Aber schreiben Sie bloß nicht, daß das hier eine Idylle ist...“

Den ungarischen Malteser-Hilfsdienst hat Freifrau von Boeselager im Dezember 1988 ins Leben gerufen. Er versorgt ungarische Krankenhäuser von der Bundesrepublik aus mit medizinischem Gerät. Der hiesige Staat gestattete ungarischen Katholiken die Gründung einer Schwesternorganisation. Vorsitzender ist der Pfarrer von Zugliget, Imre Kozma.

Hier werden die Deutschen versorgt, erhalten sie einen Schlafplatz in der Kirche, bekommen sie Kartoffelsuppe mit ungarischer Mettwurst und - nach ein paar Stunden Wartezeit

-ihre bundesdeutschen Pässe. In Zehnergruppen werden sie ausgiebig beraten. Gestern waren es 250, heute jedoch „ist es etwas ruhiger“.

Im Kirchhof parken Diplomatenautos. Ein Herr von einer unbekannten Einrichtung, der auch ungenannt bleiben möchte, läßt die Diplomatie im kleinen Kreis fallen. Die DDRler, die auch beim dritten Versuch, die Grenze zu überqueren, zurückgeschickt worden sind, sollten sich von den ungarischen Grenzern nicht so einschüchtern lassen, sinniert er vor sich hin, einfach weitergehen. Auch wenn die drohen, zu schießen, nicht stehenbleiben und sich festnehmen lassen. „Wenn die eine Uniform sehen, klappen die doch schon zusammen“, denkt ein umstehender Bundesbürger laut, der das alles natürlich sehr viel besser könnte, wenn er müßte.

Eine ältere blonde Frau regt sich auf. Die Praxis war anders für sie. Immer wieder Zäune an der Grenze, „von wegen abgebaut“, sie hätten sie alle überwunden, aber dann kam ein elektrischer Stolperdraht, „und die Leuchtkugeln flogen hoch“, die Grenzer kamen mit Hunden und drohten, die Tiere auf die Flüchtigen zu hetzen. Da sind sie besser stehengeblieben, zwölf Stunden waren sie danach eingesperrt.

Die Freifrau mag solche Geschichten nicht. Das könnte die Ungarn verärgern. Überhaupt mag sie die Politik nicht. Sie ist „gläubige Christin“ und will, betont sie beharrlich, „nur helfen“. Ein leicht unchristliches Donnerwetter ergießt sich dann doch über den jungen Mann von der 'Bild'-Zeitung, die hier überall mitmischt: beim Besorgen des Toilettenwagens, bei der Versorgung der DDRler - das Blatt hat ihr allzu spektakulär berichtet.

Angereist war der junge Mann mit einem der helfenden Herren, die zwischen den „Zonis“, die in Freizeitkluft lagern, sofort am betont munteren Gebahren und am eleganten Anzug auszumachen sind. Von schlechter gekleideten Fotografen lassen sich die Flüchtlinge vorsichtshalber die Presseausweise zeigen - sie könnten von der Stasi sein.

Die Malteser sind stolz darauf, daß sie die meisten DDRler inzwischen bei Privatleuten untergebracht haben. Boeselager: „Wir haben die gläubigen Katholiken hier aufgerufen, ihre Geschwister aus der DDR aufzunehmen.“ Die Hilfswelle, anfangs ein wenig verschlafen, sei jetzt „voll angelaufen“, sagt sie. Aus der BRD sind zwei Lastwagen mit Notzelten über die DDR und die Tschechoslowakei unterwegs. Getrennt reisen 20 Jugendliche aus der Erzdiözese Paderborn an. Sie werden zusammen mit Heeremann erwartet und sollen die Zelte aufstellen. Eine Feldküche rollt ebenfalls an. Die Stadt Budapest bot zwei Plätze zum Aufbau der Zelte an, einen auf dem Sportplatz hinter der Kirche, einen auf einem öffentlichen Campingplatz im zehnten Bezirk. „Morgen abend“, ist Csilla von Boeselager sich am Mittwoch nachmittag sicher, „muß niemand mehr im Freien schlafen.“

Die Meldungen in West-Zeitungen über gelungene Fluchtaktionen nehmen sich von dieser Seite der ungarischen Grenze etwas weniger erfolgversprechend aus. Beobachter schätzen mittlerweile, daß höchstens ein Viertel der Grenzgänger durchkommt. Vielleicht noch weniger. Jedenfalls sind die Grenzer nicht bestechlich. Ein junger Mann berichtet, daß der, der ihn festnahm, die angebotenen 200 Mark empört ablehnte. Die Hilfsorganisation ist davon überzeugt, daß die Soldaten die Protokolle, die sie bei den Festnahmen machen, „hinterher zerreißen“: „Das ist uns versichert worden...“ Im Lager herrscht noch immer die Furcht vor, daß Flüchtlinge nach dem dritten Versuch in die DDR abgeschoben werden.

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