: Kampf um Schlüsseltechnologie
■ HDTV: Entwicklung zum hochauflösenden TV - mehr als nur Fernsehen / Die fusionierten Konzerne Europas kämpfen um die Weltherrschaft
Teil29: Von Jürgen Bischoff
Weit mehr als die Mediensoftware - Filme, Shows und Fernsehspiele - wird die Hardware in den nächsten Jahren einen entscheidenden Impuls für die europäische Wirtschaft bringen. Hier ist die Frage der Verkabelung und anderer leitergebundenen Technologien eher zweitrangig gegenüber einer neuen Technologie, die scheinbar zunächst nur unsere Glotze revolutioniert: HDTV heißt die Zauberabkürzung und sie steht für „High Definition Television“ oder auf deutsch: „hochauflösendes Fernsehen“.
Der technologische Hintergrund ist erst mal simpel: immer größer werden unsere Fernsehbildschirme. Aber damit stoßen sie so langsam an ihre Grenzen. Standard in der Bundesrepublik und den meisten europäischen Staaten ist ein Fernsehbild, daß sich aus 625 horizontalen Zeilen zusammensetzt und 50mal in der Sekunde (entsprechend dem Phasenwechsel bei Wechselstrom in Europa) jeweils aus einem Halbbild zusammengesetzt wird. Beide technischen Voraussetzungen haben ihre Nachteile: die 50 Halbbilder nimmt der Mensch noch als Flimmern wahr und das ermüdet das Auge. Die 625 Zeilen werden umso mehr als Zeilen und nicht mehr als ein Gesamtbild aufgenommen, je größer der Bildschirm wird. Inzwischen werden schon Fernseher mit 80 Zentimeter Durchmesser angeboten.
Schon seit längerer Zeit arbeiten europäische Wissenschaftler daran, die jeweiligen Farbfernsehsysteme zu verbessern. Das aus Deutschland stammende Farbfernsehsystem PAL hat vor allem Probleme damit, karierte Muster präzise wiederzugeben. Ein graues Karo verursacht auf einem Farbbildschirm in Regenbogenfarben schillernde rotierende Muster. Die Ursache hierfür ist die Verquickung von Farb und Kontrastsignal, eine Lösung, die bei den Möglichkeiten von 1967 zu Zeiten der Einführung des Farbfernsehens in der Bundesrepublik noch als der letzte Stand der Technik galt.
Inzwischen ist man weiter. MAC heißt der neue Fernsehstandard, der solche Kinderkrankheiten des Farbfernsehens beseitigen soll und der zusätzlich die Möglichkeit bietet, ein europäisches Fernsehen zu empfangen. Das heißt: das französische SECAM-Farbfernsehsystem in Frankreich und dem Ostblock und das deutsche PAL-System für die anderen europäischen Staaten werden abgelöst von einem einheitlichen Standard, der gleichzeitig kompatibel ist, das heißt der gleichzeitig auch noch auf Fernsehempfängern der alten Generation empfangbar ist, wenn auch in der althergebrachten schlechteren Qualität.
Mühsam haben sich die europäischen Fernsehanstalten auf diesen neuen Standard geeinigt, der außerdem noch folgenden Vorteil bringt: möglich ist ein Stereoton in der Qualität der digitalen Compact-Disc und das auch noch in mehreren Sprachen gleichzeitig.
Testfall für das MAC-System sollte die Olympiade in Barcelona werden. Wieso „sollte“? Weil längst schon die Fortentwicklung des Fernsehens diskutiert wird, nunmehr HDTV. Allen voran stürmen die Japaner. Dort hat die öffentliche Rundfunktanstalt NHK zusammen mit Sony schon seit Anfang der 70er Jahre an einem hochauflösenden Fernsehsystem gebastelt. Das Ergebnis nennt sich MUSE und soll schon im nächsten Jahr in Japan generell eingeführt werden. MUSE verspricht bessere Bilder in Kinoqualität und Breitwandformat, der lästige Querstreifen bei klassischen Hollywood-Schinken entfällt.
Während die Japaner seit Beginn der 70er Jahre unter Koordination von Industrie und öffentlichem Fernsehen NHK an der Entwicklung von HDTV gearbeitet haben, war diese Technik für Europa, aber auch für die USA lange kein Thema.
Erst 1980 begann am Institut für Nachrichtentechnik der Universität Dortmund, Professor Broder-Wendland sich mit neuen Fernsehtechnologien zu befassen. Es dauerte allerdings sechs Jahre, bis das wissenschaftliche Steckenpferd eines Dortmunder Forschers von der europäischen elektronischen Industrie und den Brüsseler Strategen der EG als eine zentrale Schlüsseltechnologie mit einem weltweiten Marktvolumen von 500Milliarden Mark erkannt wurde.
1986 rief die EG im Rahmen ihrer Technologie-Initiative EUREKA ein Forschungsprogramm HDTV ins Leben, dessen Projektvolumen mehr als 500Millionen Mark beträgt.
US-Branche liegt darnieder
Ein Papier des Bundesforschungsministeriums beschreibt unverblümt die Forschungs- und wirtschaftspolitische Strategie eines lautlosen Handelskrieges zwischen Japan, Europa und irgendwo auch noch den USA: „Erfolg oder Mißerfolg hier entscheiden über das Schicksal des ganzen Industriezweiges“, nämlich dem der europäischen Unterhaltungselektronikindustrie.
Die amerikanische U-Elektronik liegt längst darnieder, verschwunden unter massivem japanischen Druck. In den USA existiert nur noch ein großer Hersteller von Fernsehgeräten mit eigener Entwicklungsabteilung. Der Rest ist fest in der Hand der Japaner. Allerdings haben sich auch die französische Thomson-Brandt und Philips noch rechtzeitig am amerikanischen Markt eingekauft.
Letztere beiden Konzerne sind auch in Europa mit ihrer Politik der Einverleibung der schwächeren Konkurrenz (in Deutschland zum Beispiel Nordmende und Grundig) als einzige übrig geblieben, die sich derzeit noch genügend große und leistungsfähige Forschungs- und Entwicklungsabteilungen leisten können, um den Japanern mit neuen Produkten Paroli zu bieten. (ist das Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? - d.S.)
Aber inzwischen geht es ans Eingemachte. Das hat die EG sehr richtig erkannt, als sie die europäische HDTV -Entwicklung zu fördern begann: Auch in Europa nehmen die Marktanteile der Japaner im Bereich der US-Elektronik unaufhaltsam zu. Die Umsätze mit „brauner Ware“ - so der Fachjargon für U-Elektronik im Gegensatz zu der meist weiß emaillierten Haushaltstechnik in der Küche, der „weißen Ware“ - stiegen alleine in der Bundesrepublik in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich um jeweils mehr als eine Milliarde Mark von vierzehn auf 17,5Millionen Mark. In gleichem Maße kontinuierlich sank allerdings die Beschäftigung in der europäischen U-Elektronik: Auswirkung der günstigen Produktionskosten in Fernost, die insgesamt die Preise drückten.
Vor diesem Hintergrund wird erklärlich, wenn das Bundesforschungsministerium an HDTV das Überleben der europäischen U-Elektronik knüpft.
Die Drei von Eureka
Das weltweite Marktvolumen von 500Milliarden Mark setzt sich zusammen aus den drei Bereichen Aufzeichnungs-, Übertragungs- und Wiedergabetechnik für das Fernsehsystem der Zukunft. Fein säuberlich nach ihren Interessen in diesen Bereichen haben sich drei europäische Konzerne die Führerschaft im Eureka-Konsortium aufgeteilt: Bosch mit seiner jahrelangen Erfahrung im TV-Studio hauptsächlich bei der Aufzeichnungstechnik, Thomson-Brandt als großer Hersteller von Rüstungselektronik in der Übertragungstechnik, vor allem bei den für HDTV notwendigen Satelliten, und Philips in erster Linie bei den Endgeräten. Ursprünglich eingeplant unter den Konsortialführern war auch noch die englische Firma Ferguson, die aber mittlerweile unter dem Dach von Thomson gelandet ist.
Diese drei von Brüssel aus favorisierten Konsortialführer haben sich verbündet mit etwa 30 Forschungszulieferern aus Industrie, Forschungsinstituten und Rundfunk- und Fernsehanstalten nicht nur im Bereich der EG, sondern auch aus Österreich, der Schweiz, Schweden und Finnland. In der BRD sind beispielsweise die Tochter der finnischen Nokia -Graetz, ebenso beteiligt, wie SEL, die ITT-Tochter Intermetall oder Grundig und Fuba. Im Konzert der großen Drei spielen sie längst nur noch die zweite Geige und werden dementsprechend auch als „B-Teilnehmer“ geführt. Sie bekommen Unteraufträge für die Entwicklung einzelner Spezialkomponenten, wie etwa Nokia-Graetz für die Entwicklung eines „Apriori-Motion-Detector“, eines Chips, der berechnet, ob auf einem bestimmten Planquadrat des Bildschirms die Bewegung pro Hundertstelsekunde relevant genug ist, um sie abzubilden, oder ob sie vernachlässigbar ist.
Die Fäden der Forschungen laufen in Stuttgart, Paris und erst recht in Eindhoven zusammen. Dort werden die Einzelkomponenten in ein System integriert. Am Donnerstag den 10.August stand sie erstmals in Eindhoven, die komplette HDTV-Technologiekette: von der Kamera über den Aufzeichnungsrekorder, die Satellitenrelais bis zum Empfänger. Auf der Internationalen Funkausstellung soll sie auf einen gemeinsamen Eureka-Stand der Öffentlichkeit präsentiert werden. Immerhin, eines muß man dem Eureka-HDTV -Projekt lassen: in nur drei Jahren hat die europäische Industrie in konzertierter Aktion einen technologischen Vorsprung der Japaner von fünfzehn Jahren fast eingeholt. (Warum werden solche „konzertierten Aktionen“ für technischen Schnick-Schnack durchgeführt, aber nicht für dringend nötige Umweltschutzmaßnahmen? - d.S.)
Dabei verspricht keineswegs nur die Ersatzbeschaffung für die TV-Empfänger in den Haushalten der ersten Welt das Geschäft. Strategisch soll HDTV einen gewaltigen Anreiz für den Einsatz von Chips im Bereich der Vier-Megabit bringen, deren weltweit erste Produktion gerade bei IBM in Stuttgart und noch nicht in Japan begonnen hat. Diese Chips werden benötigt für ungeheuer aufwendige Rechenoperationen der zukünftigen HDTV-Bilder, die aus mehr als 700.000 Bildpunkten und das 50mal in der Sekunde zusammengesetzt sind - zum Vergleich: Heute etwa 90.000 Bildpunkte 50mal in der Sekunde. Diese Bilder müssen zwischengespeichert werden, und das geht erst mit den neuen Chips.
Und auch noch ein weiterer Industriezweig wird nach Plänen der EG eine stürmische, durch HDTV induzierte Entwicklung nehmen: die Flüssigkristallchemie, bei der vor allem bundesdeutsche Konzerne wie Hoechst und Merck in Darmstadt führend sind. Hintergrund: die großen Bildschirme können in absehbarer Zeit nicht mehr aus Kathodenstrahlröhren bestehen, denn das Glas wird zu schwer. Schon jetzt gibt es von Grundig einen Bildschirm von 95 Zentimeter Durchmesser, der stolze 150 Kilogramm wiegt. Die Zukunft gehört daher Projektionssystemen oder flachen Bildschirmen in LCD -Technologie, wie sie jetzt schon in den japanischen Taschenfernsehern eingebaut sind.
Erst recht geht es um einen weltweiten Produktionsstandard für die Filmindustrie. HDTV bietet die Chance zur digitalen Bildaufzeichnung mit allen Manipulationsmöglichkeiten bei einem Qualitätsstandard, der dem des 35-Millimeter-Films entspricht. Weltweit ist damit zu rechnen, daß die Filmstudios demnächst das Zelluloid vergessen werden und auf diese neue Technologie umsteigen. Schon gibt es in Hollywood die eine oder andere Firma, die nur noch mit HDTV-Kameras dreht und für die anschließende Vermarktung den fertigen Streifen auf herkömmlichen Film umkopiert.
Zwietracht unter den Sendern
Gedreht wird mit Kameras aus japanischer Produktion und zumindest hier haben die japanischen Entwickler derzeit auf jeden Fall noch die Nase vorn. Sony ist der Hauptkonkurrent und hat mit dem technischen Vorsprung, der zur Zeit beim Aufzeichnungsstandard noch etwa fünf Jahre beträgt, ordentlich Zwietracht gesät unter den europäischen Fernsehanstalten, die sich ungern jetzt schon auf den europäischen Produktionsstandard festlegen wollen. Für die Rundfunkanstalten und die europäische Filmindustrie stellt sich in erster Linie die Frage nach dem Hardwarestandard, für den sie dann die Software produzieren können. Sie warten ab, welche HDTV-Norm die UNC-Unterorganisation CCIR im nächsten Jahr für verbindlich erklären wird: die japanische oder die europäische. Aufwendig internationale Film- und Fernsehkoproduktionen werden sich in Zukunft nur gewinnbringend absetzen lassen, wenn sie im weltweit anerkannten HDTV-Standard produziert sind.
Und da die Amerikaner derzeit auf Distanz gegangen sind zum japanischen HDTV-System und ihrerseits versuchen, einen dritten Standard zu entwicklen, beginnt die Schlacht heiß zu werden. Bundespostminister Schwarz-Schilling versuchte im Juni in Washington Schönwetter zu machen für Eureka, um die Amerikaner auf die europäische Seite zu ziehen.
Die Schlacht um HDTV ist ein eindrucksvolles Beispiel, die staatlichen Maßnahmen nicht mehr nur flankierend sind, wenn es darum geht, auf technologischem Gebiet die internationale Vorherrschaft für den heimatlichen Konzern-Platzhirsch zu gewinnen. Ein Indiz am Rande: das, was deutsche Föderalisten und kritische Beobachter einer europäischen Medienpolitik kaum noch für möglich gehalten hatten, das Scheitern einer EG-Richtlinie für den europäischen Rundfunk, fand Ende Juni doch noch statt. Die ausschlaggebenden Stimmen kamen aus Holland. Die Niederländer argumentierten vor allem gegen eine Mindestquote für europäische Film- und Fernsehproduktionen. Man könne es sich schließlich nicht mit den amerikanischen Filmlieferanten verderben, wenn man sie andererseits im Kampf für das Überleben der europäischen U -Elektronikindustrie gegen die japanische Vormacht benötige.
His Master's Voice from Eindhoven.
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