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BIERERNST

■ „Van Anderen“ und „Die Nerven“ im Wasserturm Kreuzberg

Die beiden Bandnamen gaben Anlaß zu allerlei blöden Anspielungen und Witzeleien. „Van den Anderen bin ich ganz schön genervt“, „Mal sehen ob die Nerven was anderes zu bieten haben“ und ähnlich tönte es am Freitag an der Theke. Was ham wer jelacht. Eigentlich gab es keinen Anlaß zum Witzeln, höchstens Galgenhumor wäre angebracht gewesen. Van Anderen (schon dieser Name) weckten üble Erinnerungen an tumbe Kindertage, als wir lila Latzhosen trugen, den Tag mit Teetrinken vertrödelten und 'bots‘ hörten. Ja, fast vergessen, aber das haben Revivals so an sich: fördern aber auch alles zutage. Wenn wenigstens der Schrott endgültig begraben wäre.

Aber wir geben den 70ern noch eine Chance. Jazzrock führt mich in meinen so erfolgreich verdrängten Jugenderinnerungen ein paar Jährchen weiter voran, als jedermann/frau stolz war, 'Weather Report‘ richtig buchstabieren zu können. Wir hatten die Hippiephase ohne größere Schäden und Drogenerfahrungen, sieht man mal von gelegentlichem Teerauchen ab, hinter uns gebracht und stolperten mit stürmischer Blindheit in die nächste Verwirrung: Jazzrock war so schön anspruchsvoll und Gymnasiasten wahrlich angemessener als die 'Bay City Rollers‘. Die meisten hatten Glück, aber ein paar sind auch hängengeblieben. Die Nerven (noch so ein Name) zum Beispiel.

Die Stücke sind ellenlang, extrem wuselig und unübersichtlich und tragen solch komische Namen wie „Windsbraut“. Ist jemandem noch der Name 'Novalis‘ in Erinnerung? Eine besonders in Deutschland beliebte Abartigkeit der als Musik getarnten Fingerknoterei waren solche Bands wie eben 'Novalis‘, die das Meer rauschen, Pferde mit Flügeln über ihre Cover hüpfen ließen und sich in einer direkten Linie von Walter von der Vogelweide abstammend fühlten. Solch ungute Erinnerungen steigen in mir auf, während der Trommler versucht, die Breaks und Rhythmuswechsel unter Kontrolle zu bekommen, Gitarrist und Bassist werfen sich Melodiechen zu, und über allem trötet der Saxophonist im luftleeren Raum. Der Sänger kreischt gelegentlich ins Mikrophon, wenn er nicht rumhoppelt. Diverse technische Angebereien werden vom Publikum durch beifälliges Kopfnicken, Yeah-Rufe und Klatschen gelobt, und der Bassist versucht sich in der guten, alten deutschen Untugend, überfrachtete Texte (man vertont Rilke) mit bierernster Miene auch noch zu erklären.

Allerdings muß ich zugeben, daß in der richtigen Verfassung und ohne ideologische Vorurteile das Ganze eine gewisse Anziehungskraft hat, der auch ich langsam erliege. Wäre da nicht das Schlagzeugsolo gewesen. Das trieb mich in den ersten Stock, wo sich fast mehr Menschen vor einem Fernseher versammelt hatten, um den Woodstock-Film zu sehen, selig zu lächeln und sich Peace-Zeichen zuzuwerfen. Dummerweise begann dort gerade der Trommler von 'Santana‘ seinerseits mit einer nervtötenden Angelegenheit und ich flüchtete wieder nach unten. Dort erwartete mich ein Bass-Solo, in dessen Verlauf ich zu dem Schluß kam, daß Bass-Soli fast noch schlimmer als Drumsoli sein können. Nachdem Die Nerven also ihrem Namen alle Ehre gemacht hatten, blieb bloß noch der frustrierte Weg zurück in die Endsechziger im ersten Stock, wo Jimi Hendrix den Abend wenigstens teilweise rettete, und die Hoffnung, daß Revivals nicht immer so vollständig sein müssen.

Thomas Winkler

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