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Gladiatoren und Krücken

■ Live und Fernsehen zugleich beim IStaF / Ein Weltrekord, viel Mittelmaß und noch mehr Hochleistungsstatements / Live dabei und trotzdem vor der Glotze

Es gibt also doch noch Hoffnung, daß die Menschen sich bessern können. Während in längst vergangenen Zeiten das Volk in riesigen Arenen Otternnasen und Jaguarohrläppchen verspeisend sich dabei amüsierte, wie hochtrainierte Sklaven sich gegenseitig zerfleischten, so geraten heutzutage moderne Menschen in höchste Verzückung, wenn ein kleiner, ausgemergelter Mexikaner 25mal ohne Pause in etwas mehr als einer Minute die 400 Meter lange Strecke einer Stadionrunde zurücklegt. So geschehen am Freitag abend beim internationalen Stadionfest der Leichtathleten in der ehemaligen olympischen Arena.

Viele der 33.000 ZuschauerInnen vergaßen glatt, in ihre Wurst zu beißen, oder stellten schnell das Bier weg, als Arturo Barrios sich aufraffte, die letzte Runde des 10.000 -Meter-Laufes in 59 Sekunden zu absolvieren. Wie er sich während des gesamten Rennens gegen die Uhr die Zeit vertrieben hat, verriet er nicht, nur: „Ich muß jetzt meine Frau anrufen.“ Vielleicht wollte er ihr erzählen, daß seine eigenmächtig verkürzte Arbeitszeit mit 10.000 Dollar extra vergütet wurde, für jeden Meter einen.

Ein anderer und anhaltender Höhepunkt des Abends war die große Video-Anzeigetafel. Live dabeisein und trotzdem Fernsehen gucken können, das war wirklich irgendwie echt total und unheimlich sssuper gut, aber auch nötig, denn wer ohne Feldstecher gekommen war, mußte das monströse Fernsehbild zu Hilfe nehmen, um die weiter entfernt ablaufenden leichtathletischen Übungen wahrnehmen zu können, die in rascher Reihenfolge innerhalb von drei Stunden durchgepaukt wurden.

Allerdings gab es bis auf den Weltrekordlauf auch nichts Großartiges mehr zu sehen. Einige der großen Stars enttäuschten bitterlich. So hüpfte Carl Lewis, der um den Weitsprung vorher noch großes Brimborium gemacht hatte, schlappe 8,38 Meter weit. Davon war nicht nur er furchtbar enttäuscht, aber: „Ich habe wieder etwas für mein Buch, das ich gerade schreibe, gesammelt.“ Wie tröstlich; ganz untröstlich war hingegen die Vorstellung des Weltrekordlers im Strabhochsprung, Serej Bubka. Bereits bei der für ihn lächerlichen Anfangshöhe von 5,6 Metern scheiterte er.

Ebenso schlapp zeigten sich diejenigen, die Höhen ohne Hilfskrücke überwinden. Für die blonden Störche Tränhardt, Mögenburg und Sjöberg waren schon 2,30 Meter zuviel. Und Herr Sotomajor aus Cuba blieb auch weit unter der neulich von ihm gemeisterten Fußballtorhöhe. Zum Trost fürs Publikum haben sich aber alle ganz doll geärgert. Lustig und interessant waren auch die Wettbewerbe, in denen Damen und Herren verschieden geformte Gerätschaften aus Metall oder Kunststoff möglichst weit durch die Gegend werfen. Dabei standen die erzielten Meter nicht im Vordergrund, vielmehr das Entzücken über die bei der Arbeit krampfig sich drehenden und stampfenden, gepreßte Schreie ausstoßenden, anabolisch verformten Körper. Bemerkenswert war allerdings, daß beim Hammerwurf ein bundesdeutscher Athlet mit Hilfe eines Produktes aus der UdSSR gewann, ts, ts, ts.

Für viel Spaß und interessante Erkenntnisse über Willensstärke und Analysefähigkeit der TeilnehmerInnen an diesem Abend sorgten auch einige Äußerungen derselben. Auf den Punkt brachte es Dreisprung-Skippy Mike Conley: „Ich habe mit meinem vierten Versuch gewonnen.“ Disziplin bewies Nelli Cooman auf den qualvollen 100 Metern: „Ich bin froh, daß ich das durchgestanden habe.“ Bescheidenheit bewies der Weltrekordler über 110 Meter mit Hindernissen, Roger Kingdom: „Ich fühlte mich ganz anders als ein Weltrekordler.“

So gradlinig, wie sie den Speer wirft, analysierte Brigitte Graune: „Ein Sieg ist ein Sieg.“ Abdi Bile hatte sich während seines Laufes über eine Meile wohl die Zeit mit dem Philosophieren vertrieben und durch seinen Sieg gezeigt, daß auch Schwerdenker schnell sein können: „Jeder Wettlauf ist anders, und an einem Tag können sie gewinnen und an einem anderen verlieren.“

Wer möchte da noch behaupten, daß Boris und Steffi doof sind.

Schmiernik

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