: Kondition ersetzt den Psycho-Trick
■ Zehlendorfs Amateure halten sich wacker beim 0:4 gegen den Bundesligisten aus Nürnberg
Berlin (taz) - Die Köpfe der Menschen sind schwer erforschbar, weshalb angehende Fußball-Lehrer in ihrer Ausbildung auch das Fach Psychologie absolvieren müssen. Kondition bolzen, ein bißchen Taktik (heute mit zwei Spitzen!), das kann doch jeder. Was aber unterscheidet die Großen der Branche, die Menotti, Happel, Lattek, von den weniger erfolgreichen? Sie wären nicht so geheimnisumwittert, lägen die Dinge auf der Hand.
Wie die Angst nehmen, den Druck, einer Mimose Kraft einhauchen und die Lahmen gehend machen? Kettenrauchend, grummelnd, glühköpfig, irgendwie müssen sie, jeder auf seine Art, ins (neudeutsch:) mentale Zentrum der Kicker vorgedrungen sein. Und kaum jemand, sie am wenigsten, werden immer gewußt haben, wie alles gekommen ist.
Von Hermann Gerland hingegen läßt sich zumindest sagen, mit welcher Methode er seine Profis am Samstag zu warnen versuchte. Einmal kurz im angestaubten Ordner „Angewandte Psychologie“ nachgeschlagen, dann gut lesbar auf eine Tafel geschrieben: „Kickers Offenbach - Bayer Uerdingen 2:1; Arminia Hannover - FC Homburg 2:1“. Die Ergebnisse vom Abend zuvor, mit denen Amateure wieder einmal den Hochmut bezahlter Spieler bestraft hatten, sollten seinen Burschen jedes Gefühl von Überlegenheit austreiben. Und dann hat der Trainer mündlich noch einen draufgesetzt und gesagt (jawohl, wir kommen nicht drumherum!): „Der Pokal hat seine eigenen Gesetze.“
Vielleicht war es ja so, daß die Abgegriffenheit dieser Formel (von der taz vor zwei Jahren wenigstens in §§-Form gebracht) die ganze Müh‘ mit der Tafel konterkarierte; möglicherweise aber war schon der Tafel-Trick der falsche Hebel, den Köpfen beizukommen. Jedenfalls sah es lange so aus, als sei die etwas kecke Behauptung der Stadionzeitung, der Berliner Oberligist verfüge „über Spielermaterial, das dem gegnerischen als durchaus gleichwertig gegenübersteht“, durchaus berechtigt.
Eine Halbzeit lang kämpften die Zehlendorfer respektlos und hatten die besseren Chancen. Mittelstürmer Podkowik köpfte eine Ecke knapp vorbei (5.), den besseren Versuch (44.) bog Torwart Kowarz gerade noch über die Latte. Ähnlich fliegen mußte der auch beim Freistoß vom 17jährigen Jugendnationalsspieler Christian Ziege (28.), welcher wohl in künftigen Jahren in der örtlichen Presse wie viele zuvor wehmütig als „Ex-Berliner“ auftauchen wird.
Am auffälligsten fegte Peter Stark über den Rasen, der bei Blau-Weiß etwas unfein ausgemustert worden war. Der kleine Zappelphilipp ackerte nutzbringend durchs Mittelfeld und ist zudem stets für Unterhaltung gut: Keiner gestikuliert empörter, werkelt so schön in der Manier eines Nahkämpfers in Freistoß-Mauern wie er. Was die Nürnberger dann schließlich den 5.000 Zuschauern beweisen konnten, war hauptsächlich eine überlegene Kondition.
Die brachte ihnen vier Tore in 45 Minuten, etwas zuviel, wie selbst Hermann Gerland fand. Die Amateure rannten jetzt vorne noch mehr ins Abseits und dann nicht mehr rechtzeitig zurück, was „vom Bundesligisten gnadenlos ausgenutzt wurde“ (Trainer Stefan Sprey). Dem Volksfest-Charakter im noblen Vorort mit seinen alten Landhäusern tat das keinen Abbruch. Die „298. US Army Band“ blies den Marsch, im VIP-Zelt (eigentlich ein Stand vom Wochenmarkt) gab es hausgemachten Kuchen, mit Lew Jaschin war eine leibhaftige Legende für Autogramme gut.
Wenn alles läuft, wie erwartet, können die unterlegenen Amateure und ihr Publikum offenbar schnell Trost an anderen Dingen finden.
-thöm
BERLIN : Stieler - Schulz - Wolfram, Sallinger - Gatti, Stark, Gaedke, Brandenburger, Ziege - Podkowik, Schmedding
NÜRNBERG: Kowarz - Dusend - Philipkowski, Brunner Metschies, Hausmann, Schneider, Wirsching, Türr - Klein, Wagner
TORE: 0:1 (49.) und 0:2 (57.) Wagner, 0:3 Hausmann (68.), 0:4 Türr (85.)
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