: Der Meeresspiegel steigt - über Bremen hinweg?
■ Bonn will Deichbau an Küsten fördern, das zuständige Wasserwirtschaftsamt in Bremen hat noch keine konkreten Pläne
Majestetix, der Häuptling eines kleinen Haufens unbesiegbarer Gallier, fürchtete sich vor nichts in der Welt, außer daß ihm der Himmel auf den Kopf falle. Zweitausend Jahre nach seiner Zeit, im Hinblick auf Klimaveränderung, Ozonabbau und Treibhauseffekt sind solche Befürchtungen aktueller denn je. „Zu den ernstesten Folgen der Erwärmung der Erdatmosphäre aber gehören ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft und den Meeresspiegel. Zum einen dehnt sich das Wasser entsprechend den steigenden Temperaturen der Ozeane aus, und zum anderen schmelzen Teile der Eismassen auf Gletschern und Polarkappen. Die Umweltschutzbehörde (EPA) der USA errechnete daher bis zum Jahr 2010 einen um 1,4 bis 2,2 Meter höheren Meeresspiegel“, berichtet der Worldwatch Institute Report 1988/89.
Von diesen schwarzen Prognosen läßt sich die Senatorin für Umweltschutz und Stadtentwicklung in Bremen nicht bange machen: „Von seiten der Wasserwirtschaftsbehörde sieht man keinen Anlass, jetzt und sofort in punkto Deicherhöhung etwas zu unternehmen. Bremen ist natürlich auch nicht so gefährdet wie die Gebiete direkt an der Küste. Und außerdem haben die eine Sicherheitsgröße, so daß ein Anstieg des Wassers um einen halben Meter zu keinerlei Problemen führen würde“, rechtfertigt Fritz Bliesener, stellvertretender Amtsleiter des WWA, die Hal
tung der Behörde: „Wenn es wirklich zuträfe, daß der Meeresspiegel steigt, müßte man natürlich etwas unternehmen, aber bislang sind mir keine exakten Messungen bekannt.“
Im Bundeslandwirtschaftsministeriumin Bonn werden die Prognosen über den drohenden Meeresspiegelanstieg ernst genommen. Wolfgang von Geldern, Staatssekretär im Ministerium, sicherte den Küstenländern weiterhin finanzielle Unterstützung im Küstenschutz zu (1988 waren es 132 Millionen Mark). Von Geldern hält es auch für notwendig, die Deichanlagen in den nächsten Jahrzehnten erheblich zu verstärken.
In Bremen gibt es zum Thema Deicherhöhung noch keine konkreten Pläne, denn „im Moment sind wir noch mit anderen Projekten beschäftigt, wie der Ochtumverlegung für das Flughafengelände. Wenn wir dies abgeschlossen haben, werden wir uns mal über das Problem Meeresspiegelanstieg Gedanken machen“, so Fritz Bliesener. Beim Senator für Häfen, Schiffahrt und Verkehr kann man sich das offenbar nicht vorstellen. Pressesprecher Uwe Will: „Beim Wasserwirtschaftsamt gibt es bereits Pläne, die Deiche zu erhöhen.“
Ausgereifte Pläne, wie man mit einem möglichen Anstieg des Meeresspiegels in Bremen umzugehen gedenkt, existieren jedoch nicht. Gerold Janssen, Vorsitzender des Deichverbandes rechtes Weserufer, schlägt Alarm: „Was
da auf uns zukommt, ist ganz enorm.“ Er sieht in den Warnungen der Wissenschaftler vor einer „modernen Sintflut“ keine übertriebene Panikmache. „Im Bremer Deich ist ein zwei Kilometer langer Bereich bei der nächsten Sturmflut besonders gefährdet. Vom Hafenkopf bis zur Oslebshauser Schleuse ist der Deich 60 bis 80 Zentimeter niedriger als gewöhnlich. 12 Jahre lang wurde
diese Gefahr mehr oder minder geheimgehalten von den Behörden, aber jetzt wird auch von offizieller Seite nicht mehr bestritten, daß dies eine wirkliche Schwachstelle ist. Im Herbst dieses Jahres soll die schwächste Stelle am Hafenkopf in Angriff genommen werden. Die Deiche sind aber nicht unbegrenzt erhöhbar, sie stehen oft auf sehr weichem Untergrund“, erklärt „Deichgraf“
Gerold Janssen.
Nur keine Panik und das norddeutsche Gemüt bewahrt, lautet unterdessen die Devise des niedersächsischen Umweltministers Dr. Werner Remmers: „Niedersachsens Deiche sind für die nächsten Jahrzehnte den möglichen Folgen der befürchteten Klimaveränderungen gewachsen, so daß zusätzliche bauliche Maßnahmen zur Zeit nicht ge
plant werden.“ Nach dem Motto: kommt Zeit, kommt Rat, kommt vielleicht auch in den nächsten Jahrzehnten das Wasser unter die Behördentische gekrochen.
Auch der leitende Baudirektor des Wasserwirtschaftsamtes Hans-Dieter Bücken behält einen kühlen Kopf. Auf die Frage nach Vorsorgemaßnahmen im Deichbau sagte Bücken im März dieses Jahres in der Zeitschrift „Weser“: „Sie werden jetzt sagen, dann fangen sie doch mit Vorsorgemaßnahmen an, denn irgenwie kommt einmal eine höhere Flut. Aber ohne gesicherte Erkenntnisse kann man ein Deichbauprogramm nicht aufstellen.“ Ob die Deiche tatsächlich erhöht werden müssen, und wenn ja, um 30, 60 oder 100 Zentimeter bleibe ohne Erkenntnisse völlig ungeklärt. Der Eingriff in die gewachsene Struktur der Stadt sei so gewaltig, daß er ohne konkret belegbare Werte wohl weder von den Fachleuten noch von den politisch Verantwortlichen vertreten werden kann. Der Baudirektor hofft darüber hinaus: „Das Abschmelzen des Eises wird ein sehr langsamer, sich über viele Jahre hin erstreckender Vorgang sein, auf den man sich dann gegebenenfalls auch baulich einstellen kann .“
Ein langsamer Vorgang ist die Klimaveränderungen in der Tat, doch dafür schreitet sie unaufhörlich voran. Deichbau und Küstenschutz können nur versuchen, die Folgen dieser Klimakatastrophe für die Küstenländer in den Griff zu bekommen.
M.B.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen