piwik no script img

„Die meisten Schäfchen sind Wölfe“

■ Bodo Hombach, Landesgeschäftsführer der SPD in Nordrhein-Westfalen, über die künftige Wahlkampfstrategie gegenüber den „Republikanern“ / REP-Wähler dumpfer Vorurteile bezichtigt / Dennoch Muffe vor den Rechten: Ausländerwahlrecht sei zu „gefährliches Mobilisierungsthema“

taz: Unmittelbar nach der Europawahl haben Sie in einer Wahlanalyse geschrieben: „Rechte in NRW gestoppt“. Das war ja wohl eine große Fehleinschätzung.

Bodo Hombach: Im Verhältnis zu den Risiken, dem angeblichen REP-Nährstoff - dem Umstrukturierungsprozeß und den damit verbundenen sozialen Folgen sowie dem höheren Ausländer- und Aussiedleranteil in NRW -, können wir diese Aussage auch heute noch vertreten, wenn wir das NRW Ergebnis mit den anderen Bundesländern vergleichen.

REPs - Abspaltung

der Union, nicht der SPD

Die REPs haben in NRW zwar schlechter abgeschnitten als in anderen Bundesländern, aber sie haben, glaubt man der Forsa -Analyse, 40 Prozent ihrer Stimmen von der SPD geholt.

Seit Berlin bestreitet keiner, daß frühere SPD-Wähler die REPs gewählt haben, aber niemand kann darüber quantitativ exakte Aussagen machen. Offenbar werden Parteien neuerdings nicht daran gemessen, was sie selbst auf die Beine stellen und an der Anzahl ihrer Wähler, sondern an Wählerwanderungsbilanzen. Das ist ein Irrweg. Wir bekommen gleichzeitig Zulauf von CDU-Wählern, die die Anpassungsbewegungen ihrer Partei nach rechts ankotzt...

Sie verlieren selbst nach rechts.

Es gibt sicher Leute, die, obgleich ihre Interessen objektiv von der SPD vertreten werden, irrigerweise glauben, man könne gegen Fehlentwicklungen in dieser Gesellschaft wirkungsvoll protestieren, indem man die REPs wählt. Wenn jetzt aber so getan wird, als seien die REPs quasi eine Abspaltung von der SPD, dann stellt man die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf. Die CDU macht dies, weil sie von ihrer schwerwiegenden Bindungs- und Integrationskrise ablenken will, denn die REPs sind zunächst mal eine Abspaltung von der Rechten, und sie werden nur aus dieser Perspektive bekämpft werden können. Zur Erklärung, warum die Union die Bindungskraft verloren hat, ist das Todesdatum von F.J. Strauß ebenso von Belang wie der gescheiterte Versuch von Heiner Geißler, der CDU wie unter Laborbedingungen sozialdemokratisches Gedankengut anzuschminken.

Nur ein Teil der REP-Wähler ist integrierbar

Sie geben ebenfalls erheblich an die REPs ab. Vor der Europawahl hieß es bei der SPD, wir haben die „große Chance“, die Republikaner zu stoppen. Daraus ist nichts geworden, obgleich die REPs im Wahlkampf kaum in Erscheinung getreten sind. Sie haben doch die Gefahr verdrängt.

Dieser Vorwurf ist falsch. In unserem Wahlhandbuch steht, daß wir wissen, daß etwa ein Drittel des republikanischen Wählerpotentials aus dem Bereich bisheriger SPD -Sympathisanten stammt. Es geht darum all, jene Wähler zurückzugewinnen, die von unserer Programmatik her reintegrierbar sind. Das sind zunächst einmal all die, die im Umstrukturierungsprozeß zu kurz gekommen und nun vom sozialen Abstieg bedroht sind, die sozial Deklassierten. Hinzu kommen die kulturell Deklassierten, also jene, denen es nicht an materiellen Gütern mangelt, sondern denen bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen nicht hinreichend vermittelt wurden. Um die können und müssen wir uns kümmern. Ein Teil der REP-Substanz läßt sich nicht reintegrieren. Dazu gehört die Mehrheit der Funktionäre, die insbesondere in NRW alte bekannte Kameraden aus rechtsradikalen Parteien sind. Denen haben wir nichts zu bieten, sondern die müssen wir hart bekämpfen. Dabei dürfen wir Leuten, die Fremdenhaß, Ausgrenzung und Diskriminierung propagieren, nicht erlauben, sich als Märtyrer, als Opfer eines Gesellschaftsprozesses darzustellen.

Hoher „Täteranteil“ unter Wählern der Republikaner

Sie argumentieren so, als gäbe es die böse REP-Führung, der man die verführten Schäfchen nur wieder abjagen müsse.

Die meisten Schäfchen sind Wölfe. Mich beschleicht ein großes Unbehagen, wenn bei der Analyse des Phänomens Republikaner deren Wähler fast durchgängig als Opfer bezeichnet werden.

Genau das haben Sie doch auch getan.

Ich habe zunächst einige soziale Ursachen benannt, aber ich vergesse nicht den Täteranteil der republikanischen Wähler. Sie richten nämlich eine Menge Schaden an. Sie gefährden den sozialen Frieden nach innen. Sie schaffen Ressentiments, gefährden Toleranz und Integrationskraft und schaden unserem Ansehen im Ausland. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, warum gerade sogenannte „kleine Leute“ in einem bemerkenswerten Umfang bei Rechtsextremen Antworten suchen.

Weil sie vielleicht niemand mehr beachtet. Gerade der Europawahlkampf der SPD scheint mir diese Abkehr zu symbolisieren. Da waren nur gut gestylte Schickimickis zu sehen, keine Alten, keine Kranken, keine Malocher. Da präsentierte sich eine SPD über fast die gleichen Symbole und Köpfe, mit denen die Zigarettenmarke HB in einer zur selben Zeit laufenden Kampagne um Käufer warb.

Wenn Sie die eigenen Akzente der NRW-SPD - und nur daran können wir gemessen werden - beim Europawahlkampf genau bewerten, werden Sie feststellen, daß wir mit unseren bescheidenen Möglichkeiten alles unternommen haben, um ein solches Bild nicht entstehen zu lassen. Es gibt unabhängig von Ihrem Beispiel tatsächlich das Phänomen, daß ausgerechnet gutbetuchte Postmoderne einer Generation materialistischer Menschen, die Sorgen um ihr Auskommen haben, zurufen: Seid bescheiden und verzichtet auf Wachstum? Daß eine solche Haltung mit Entfremdung und Aggression beantwortet wird, liegt nahe. Dennoch bleibt richtig, daß die REPs denen, die aus sozialer Bedrängnis bei ihnen Zuflucht suchen, in Wirklichkeit keine Lösungen anbieten, sondern sie betrügen. Nichts von dem, was die Wähler erwarten, werden sie von den Rechten bekommen.

So folgenlos war das Votum für die REPs nicht. Im Gegenteil, nie zuvor sind so viele Programme und Maßnahmen für die „Marginalisierten“ diskutiert worden wie seit den Wahlerfolgen der REPs. Die Wahl war also unter diesem Gesichtspunkt erfolgreicher als die üblichen Proteste.

Daß die Politik auf Anstöße und gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, ist ein ganz normaler Prozeß. Dennoch bleibt richtig: Wer auf die REPs setzt, wird von ihnen verraten werden. Ein Blick ins Programm genügt, um die feindliche Einstellung der Republikaner gegenüber staatlichen Sozialleistungen jeder Art bis hin zur Arbeitsmarktpolitik zu beweisen. Selbst die Arbeitslosenhilfe ginge verloren.

Ausländerwahlrecht aus Angst vor REPs verschoben

Ein wesentlicher Grund für die REP-Wahl dürfte deren ausländerfeindliches Programm sein. Wie wollen Sie darauf reagieren? Ihr Düsseldorfer Fraktionsvorsitzender Friedhelm Farthmann hat ja inzwischen angedeutet, daß die SPD die Verwirklichung des Kommunalwahlrechtes für Ausländer auf die nächste Legislaturperiode vertagen will. Die Mehrheit der SPD-Wähler ist laut Umfragen gegen das Ausländerwahlrecht, und das scheint mir der eigentliche Grund für den Farthmann -Vorstoß zu sein.

Friedhelm Farthmann hat noch niemals vor einer politischen Äußerung Zuflucht bei demoskopischen Daten gesucht. Das, was Friedhelm Farthmann vorgeschlagen hat, was noch nicht Beschlußlage der Partei und Fraktion ist, ist getragen von der Sorge, daß die Einführung des Ausländerwahlrechtes ohne eine breite Aufklärungskampagne und ohne breite Zustimmung bei der Bevölkerung nichts anderes zur Folge haben wird als die sofortige Reaktion mit einem Volksbegehren. Das würde den Rechten ein gefährliches Mobilisierungsthema frei Haus liefern, weil die Sinnhaftigkeit der gesetzgeberischen Maßnahme noch nicht hinreichend erläutert ist. Wer Ausländerintegration und kommunalpolitische Mitwirkungsrechte will, tut der Sache nicht den geringsten Gefallen, wenn er sie gegen Widerstände durchzuprügeln versucht, die möglicherweise das gesamte Projekt zum Scheitern bringen.

Für eine Aufklärungskampagne hatten Sie fünf Jahre Zeit. Sie hätten Ihr Versprechen längst erfüllen können.

Wir haben im September 1987, also vor zwei Jahren, diesen Beschluß gefaßt, wohl wissend um die Risiken. Wir haben uns gerade in den letzten Jahren erheblich angestrengt, in bestimmten Bereichen aufklärerisch tätig zu sein, auch gegen den gesellschaftlichen Meinungstrend.

Die SPD in Nordrhein-Westfalen hat genau das nicht gemacht. Sie hat bei der Atompolitik, bei der Raketendiskussion und den Berufsverboten nie die zunächst minoritären Erneuerungsversuche unterstützt, sondern sie hat sich dann dem Trend angeschlossen, wenn es innerhalb der Partei und innerhalb der Bevölkerung fast nichts mehr zu diskutieren gab.

Wer die Entwicklung in NRW an den Tatsachen mißt, wer sich zum Beispiel die Frage stellt, wie es der Landesregierung gelungen ist, sich von der Atomkraft freizumachen, wird Ihre Behauptungen nur als journalistische Provokationen empfinden können. In NRW gibt es wie in keinem anderen Bundesland ein Klima von Toleranz und Weltoffenheit, zu dem eine starke SPD wesentlich beigetragen hat. Und wir bemühen uns ja gerade, daß es dabei bleibt und die REPs nicht in die Parlamente kommen.

Indem man politische Konzessionen wie bei dem Ausländerwahlrecht schon vorab macht?

Wenn man sich überlegt, vor einer gesetzgeberischen Maßnahme die Zustimmung und Mitwirkung in der Bevölkerung zu erreichen, kann man das doch nicht als Konzession gegenüber den Rechten denunzieren. Kein Mensch hat davon gesprochen, daß die SPD ihre Entscheidung, das kommunale Wahlrecht für Ausländer einzuführen, fallen läßt, sondern jeder, dem daran gelegen ist, daß dies ein Erfolg wird, daß es gesellschaftliche Realität wird und Zustimmung findet, wird dem zustimmen, daß man hier zunächst um die Köpfe der Menschen ringen muß. Es geht nicht um den Verzicht, sondern um die erfolgreiche Durchsetzung dieses Anspruches. Ein Verzicht auf das Ausländerwahlrecht angesichts der REP -Wahlerfolge wäre in der Tat opportunistisch und würde von deren autoritär gesonnenen Wählern auch als solches erkannt. Friedhelm Farthmann hat ausschließlich den Zeitablauf im Sinn. Er will zunächst die Zustimmung gewinnen und dann das Gesetz machen. Da bin ich ganz seiner Meinung. Richtig ist, daß wir unseren Kampf gegen Ausländerdiskriminierung verstärken müssen. Da gibt es in Frankreich einige ausgezeichnete Modelle, die ja auch schon in die Aktion der DGB-Jugend „Mach meinen Kumpel nicht an“ eingeflossen sind. Diese Aktion sollten wir massiv unterstützen und in viel stärkerem Umfang für Integration und ein freundschaftliches Miteinander werben.

Nur „kranke Hirne“ erfreut Schönhubers Vormarsch

Ihre Reaktion in dieser Frage belegt doch erneut, wie ungewöhnlich schnell das Votum für die REPs politische Änderungen zustande gebracht hat. Da müssen sich die REP -Wähler doch bestätigt fühlen.

Das ist ein tatsächlich gefährlicher Punkt. Die REPs als Drohinstrument ständischer Interessen oder als probates Mittel, sich durchzusetzten, darf sich als Eindruck nicht verfestigen. Doch die Politik hat auf Protestverhalten zu reagieren, sie muß die Ohren spitzen und hören, was los ist im Volke. Unsere Anstrengung wird sich auf die Beseitigung von erkannten sozialen Mißständen richten. Ob das ein wirksames Mittel gegen rechts ist, bleibt abzuwarten, aber dennoch ist der Weg richtig, dieses Problem anzupacken.

Mir scheint, daß die klammheimliche Freude, die man in SPD -Kreisen beim Auftauchen der Republikaner zunächst vorfand, nun der Angst gewichen ist. Inzwischen glaubt man auch unter wahltaktischen Gründen nicht mehr daran, von dieser Entwicklung profitieren zu können.

Ein Sozialdemokrat, der sich über das Auftauchen der Republikaner gefreut haben sollte, müßte ein krankes Hirn haben.

Es gab die Studie aus der Bonner SPD-Baracke, die die Sozialdemokraten als Profiteure der neuen Parteigründung sah.

Dieses zynische Papier ist von Hans Jochen Vogel, Oskar Lafontaine, Johannes Rau und anderen schon hinreichend als Gedankenspiel nachgeordneter Leute qualifiziert worden. Mit der Haltung der Sozialdemokratie und insbesondere der NRW -SPD hat dieses oberflächliche Geschreibe überhaupt nichts zu tun. Johannes Rau hat umgehend deutlich gemacht, daß er solche Gedankenspielerei zutiefst ablehnt und sich solchem Kalkül widersetzt.

Wahltaktisch gesehen ist die SPD doch in der absoluten Klemme. Der Lebens- und Politikstil vieler Sozialdemokraten und auch die Zusammenarbeit mit den Grünen - etwa in Berlin

-schreckt traditionelle SPD-Wähler ab. Will die SPD die verlorenen Schafe wiederholen, bröckelt es fast zwangsläufig auf der anderen Seite.

Nein, denn eine der größten Leistungen der SPD besteht eben gerade darin, Bündnisse mit und unter gesellschaftlichen Gruppen herzustellen. Wir müssen den Betriebsrat und die Professoren, den Kampf um geistige Freiheit und soziale Gerechtigkeit zusammenbringen. Ich denke dabei nicht an Koalitionen mit Parteien, sondern an Bündnisse mit Menschen und Gruppen, das heißt

auch mit Wählern.

...will sein Parteibuch auf keinen Fall verwetten

Das sind doch nichts weiter als fromme Wünsche. Diese „Koalition der Wähler“ können sie vielleicht in NRW schaffen, auf Bundesebene geht das definitiv nicht. Es wäre pure Illusion, darauf zu setzen.

Ich rede darüber, daß NRW ein gutes Modell ist...

Auf den Bund absolut nicht übertragbar.

Es ist banal, daß dann, wenn der Kampf um Koalitionen mit den Wählern nicht zum Erfolg führt, Koalitionen mit Parteien angezeigt sind. Nur, ich habe den besonderen Weg der SPD in NRW betont, und der sieht so aus, daß wir versuchen, die unterschiedlichen Interessen in einer Partei zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen. Angesichts der Tatsache, daß wir es möglicherweise mit vier anderen Parteien zu tun bekommen, müssen wir diesen Aspekt noch deutlicher machen. Klare Verhältnisse gibt es nur mit uns. Machtkontrolle funktioniert übrigens nicht durch Koalitionsausschüsse und ihr Gemauschele, sondern durch öffentliches Gegeneinander von Regierung und Opposition.

Würden Sie Ihr Parteibuch darauf verwetten, daß die Republikaner bei der Landtagswahl unter 5Prozent bleiben?

Ich würde einen sehr hohen Einsatz wetten, daß sie es nicht schaffen, aber mein Parteibuch auf keinen Fall. Denn sollte es der Teufel wollen, daß die Republikaner auch in NRW erstarken, wird mir mein Parteibuch wichtiger denn je sein.

Interview: Walter Jakobs

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen