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Ökotopia liegt in Cascadien

Über Ursprung und Perspektiven des US-amerikanischen Umweltschutzes  ■  Von Reed Stillwater

„Pacific Cascadia“ steht auf dem Button, der Karen Harmony als Teilnehmerin am Kongreß der Grünen ausweist. Pacific Cascadia ist die von den Grünen gewählte Bezeichnung für den Nordwesten des amerikanischen Kontinents. Das so bezeichnete Territorium erstreckt sich von Nordkalifornien bis nach Südalaska und schließt die Bundesstaaten Washington und Oregon und die kanadische Provinz British Columbien ein. Am Kongreß nehmen konsequenterweise auch Grüne aus British Columbien teil, die aber ihre eigene grüne Partei haben. Andere Konferenzteilnehmer kommen aus „Eastern Seabord“, „Potomac Valley“, „Prairy“.

Mit der Region Pacific Cascadia hat es eine besondere Bewandtnis: Hierher ziehen seit Jahren Leute wie Karen und Tom Harmony, und das nicht erst, seitdem der amerikanische Autor Ernest Callenbach sie zum Schauplatz seiner ökologischen Utopie wählte, der er den Titel Ökotopia gab. Nach Ökotopia kommen sie, weil es hier grün ist, und damit ist nicht nur die Farbe der dichten und ursprünglichen Wälder gemeint, die das Küstengebirge decken, grün sind hier auch Tradition, Mentalität und das politische Klima: In dem dünn besiedelten Gebiet gibt es außer in einigen Zentren kaum Industrie, Oregon war der erste Staat, der ein Recyclinggesetz für Flaschen und Getränkedosen hatte; in diesem Bundesstaat macht - wie in diesem Sommer - die Umwelt und vor allem ihre Bedrohung mehr Schlagzeilen als die große Politik.

Der genius loci

Ihren Namen hat diese Region von den Cascade Mountains, einem Teil jenes Gebirgszuges, der durch den Westwärtsdrift des amerikanischen Kontinents entstand, als er über die pazifische Platte schrammte und dabei Gesteinsmassen wie Bugwellen vor sich herschob: Coastal Range, Cascade Range, Sierra Nevada, Rocky Mountains. Lava quoll an den tektonischen Bruchstellen auf, und einen Eindruck von der Gewalt der einsetzenden vulkanischen Tätigkeit vermittelte noch Anfang dieses Jahrzehnts der Ausbruch des Mount-St. -Hellen-Vulkanes. Die vorderste Front der hintereinandergestaffelten Gebirgszüge hält seit Jahrmillionen den vom Pazifik hereinwehenden feuchten Winden und wasserbeladenen Wolken stand, die sich an seinen Abhängen brechen und abregnen. Dort entstanden einzigartige nicht-tropische Regenwälder. Hier stehen die größten und ältesten Bäume der Erde, viele Stämme 2.000 Jahre alt, Urwälder im wahrsten Sinne des Wortes. Sie bilden ehrfurchteinflößende Stille, Räume, in die das Licht nur gedämpft dringt. Den Küstenindianern galten sie als Wohnstatt der Geister und Ort der Mysterien, und als der „weiße Mann“ sie im 18.Jahrhundert entdeckte, fand er für sie den Ausdruck Kathedralwälder. Biomasse und Artenreichtum der nordwestlichen Regenwälder ist der tropischer Regenwälder vergleichbar. Durch sie streifen 200 Wildtierarten, von denen einige anderswo ausgestorben sind, hier leben Berglöwe, Bär und Elch und in den Blattkronen allein leben 1.500 Arten Wirbellose. Doch der „weiße Mann“ sah in diesen Wäldern entweder nutzloses Ödland, das sich der Besiedlung und Urbarmachung widersetzte, oder Rohstofflieferant für den Bau von Häusern für die sich ausbreitenden Siedlungen entlang der Westküste. Heute sind diese Regenwälder von Abholzung bedroht.

Die Bedrohung dieser Wälder bildete den Hintergrund, vor dem der Kongreß der Grünen stattfand.

Kahlschlag in Ökotopia

Entlang der großen Überlandstraßen, der berühmten, malerischen Highway 101, die entlang der zerklüfteten Küste verläuft, und dem schnellen Highway 5, sieht die Welt noch in Ordnung aus. Überall üppiges Grün. Nur die vielen riesigen, mit Baumungetümen beladenen Holzlaster und ihre Aufkleber lassen ahnen, daß es hier einen Konflikt um die Bäume gibt: „Earth First - kiss my ass“ oder „Sierra Club kiss my ax“.

Die Ostabhänge, durch die nur für Holztransporte bestimmte Pisten führen, sind weitgehend abgeholzt und der Erosion preisgegeben. In den größeren Städten, vor allem in den Hafenstädten, türmen sich unabsehbar die Baumstämme. Nur noch ein Prozent des einst den ganzen Nordwesten bedeckenden Urwaldes ist erhalten geblieben. Von diesem Rest stehen zehn Prozent in Oregon. Und nun soll auch daran die Axt gelegt werden, denn die Wirtschaft hat Konjunktur, und Holz ist knapp geworden. „The Last Stand“ - der letzte (Be-)Stand lautet die Überschrift einer Aktivistenzeitung, die vom „Survival Center“ an der Universität von Oregon herausgegeben wird, darunter sieht man das Foto einer Menschenkette auf einem Waldweg vor einem Holzlaster: der letzte (Wider-)Stand.

Go West und das Ende

der amerikanischen Wildnis

„Sierra Club“, „Earth First“ und „Greens“ sind je sehr unterschiedliche Organisationen. Der Sierra Club gehört zu Amerikas ältesten und einflußreichsten Umweltschutzorganisationen. Er geht auf John Muir, Amerikas ersten Umweltaktivisten, zurück. Am anderen Ende des Spektrums stehen Organisationen wie Earth First. Sie entstanden aus Verzweiflung darüber, daß trotz der Erfolge der traditionellen Clubs die Umwelt letztlich immer weiter vor dem Fortschritt zurückweicht. Bedient sich der Sierra Club der klassischen Mittel amerikanischer Politik, des Lobbyismus und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch teure Anzeigenkampagnen, so wurzeln Organisationen wie Earth First in der Tradition amerikanischer Widerstandsbewegungen wie dem „Civil Rights Movement“, die auch ihre Widerstandsformen bestimmen. „Earth First„ -Aktivisten waren es, die sich den Holzlastern in Oregon in den Weg stellten.

Die amerikanische Umweltschutzbewegung und Organisationen wie der Sierra Club entstanden als der Westwärtsdrang Amerikas sein Westend erreicht hatte und der Pionier nicht weiter wußte. Amerika hat Gottes Auftrag „Mach dir die Erde untertan!“ mit der Devise „Go West“ verbunden und ihn dabei wie kein anderes Volk befolgt: In nur 200 Jahren wurde vollbracht, wofür Europa Jahrtausende brauchte: Die Wildnis war in Kulturland verwandelt. Amerikas endlose Wälder waren dabei abgeholzt und die Prärie umbrochen worden, die Täler hatten sich mit dem Wasser der Talsperren gefüllt, und nur der Aktivitäten solcher Organisationen wie dem Sierra Club ist es zu danken, daß nicht auch der Grand Canyon geflutet wurde. Doch dann gewahrte Amerika, daß der Pionier, Amerikas archetypische Gestalt, die der Nation ihren Charakter und ihre Identität gab, im Kampf des einzelnen mit der Wildnis entstanden, mit dieser auch unwiederbringlich verschwinden würde. Mit Amerikas Wildnis hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit seinem Westen. Wenn der Westen erreicht, die Wildnis zerstört ist, ist Amerika am Ende.

Amerikas Drang, das Land auszubeuten, ist nicht gebrochen, und der Westen gilt auch noch nicht als vollends erobert, bevor nicht auch die letzten natürlichen Reichtümer dem Fortschritt dienstbar gemacht wurden. Und so existieren Raubbau und der Kampf um Erhaltung nebeneinander wie zwei Seelen in Amerikas Brust.

Nur wenige Tage nach dem Europawahlerfolg europäischer Grüner beginnt der Kongreß der Greens. Mit dabei sind auch Grüne aus Kanada, Venezuela, Japan, Australien, der Sowjetunion und natürlich der Bundesrepublik Deutschland. Zu gleicher Zeit trat in Salem, der Hauptstadt des Bundesstaates Oregon, der sogenannte Holzgipfel zusammen: Vier Umweltschutzgruppen, unter ihnen der Sierra Club, hatten sich zu einer Koalition zur Rettung der Regenwälder des Nordwestens zusammengetan und trafen sich wie zu einer Tarifverhandlung mit Vertretern der Holzindustrie. Während in der Universitätsstadt Eugene die Greens unter den wohlmeinenden Ratschlägen besonders der deutschen und kanadischen Grünen sich mit der Frage auseinandersetzten, ob sie eine reguläre Partei gründen und sich an örtlichen und nationalen Wahlen, ja sogar 1996 an den Präsidentschaftswahlen beteiligen sollten, mühten sich in der Hauptstadt Salem unter der Schirmherrschaft des Gouverneurs und der Congress-Abgeordneten aus Oregon Umweltschützer und Industrie um einen Kompromiß über das Ausmaß der Regenwaldfläche, die unangetastet bleiben sollte.

Partei sein oder nicht

Amerikas Grüne scheinen gleichweit entfernt zu sein von den traditionellen amerikanischen Environmentalist -Organisationen und den europäischen grünen Parteien.

Besonders die Vertreter aus Kanada, deren grüne Partei eher der europäischen Parteitradition verpflichtet ist, und der Bundesrepublik befürworten die Gründung einer regulären Partei, die sich auch an Wahlen beteiligt. Die kanadische Vertreterin Adriene Carr machte geltend, daß die Teilnahme von Grünen an den Wahlen in Kanada zwar am Wahlergebnis gemessen nicht sehr erfolgreich war, daß ihr Wahlkampf aber eine „erzieherische Wirkung“ auf andere Kandidaten und Politiker gehabt habe und diese zwingt, sich mit ökologischen Fragen auseinanderzusetzen. Wilhelm Knabe von den Grünen im Bundestag bestätigt und erinnert darüber hinaus die Amerikaner an ihre Rolle als Weltmacht, an ihre internationale Verantwortung: Man stelle sich die internationale Bedeutung einer starken grünen amerikanischen Partei vor.

Unter den amerikanischen Grünen gibt es einen unbestimmten und doch deutlichen Konsens, bei aller Bewunderung für europäische Erfolge einen anderen Weg zu gehen: also weder eine Partei im europäischen Sinne zu bilden, noch sich an Wahlen auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene zu beteiligen, wenigstens nicht, solange nicht auf örtlicher Ebene erste Erfolge erzielt worden sind. Für diese Position gibt es gute Gründe. Die Geschichte dritter Parteien in Amerika ist nicht ermutigend. Das politische System ist unbeweglich und geschlossen, ein ritualisiertes Spiel um Macht, Einfluß und Geld. Anders sieht es auf örtlicher Ebene aus.

Amerikanische Wurzeln

Statt sich in die Tradition der europäischen Parteien zu stellen, berufen sich die amerikanischen Grünen auf eigene, genuin amerikanische Traditionen: grass-roots democracy (Basisdemokratie), direct action (direkte Aktion), civil disobedience (ziviler Ungehorsam).

Basisdemokratie bestimmt ihre Organisationsform und Arbeitsweise: Die Bezeichnung für die Ortsgruppen der amerikanischen Greens ist „Committee of Correspondence“ (CoC). Der Begriff kommt aus der amerikanischen Revolution. Damals entstanden im Widerstand gegen die englische Herrschaft die „town meetings“, die alle Fragen wirtschaftlicher und politischer Art autonom verhandelten und CoC genannte Ausschüsse bildeten. Der Krieg gegen die Engländer war gewonnen, noch bevor er begonnen hatte, weil im ganzen Lande auf örtlicher Ebene parallele Institutionen entstanden waren. Das ist grass-roots democracy. Die Idee dezentraler Entscheidungsfindung ist tief in der Geschichte Amerikas verwurzelt und der Grund für Amerikas oft seltsam hinterwäldlerisch anmutenden Provinzialismus und für das mangelnde Interesse der Amerikaner an überörtlichen und internationalen Fragen.

Der Begriff „civil disobedience“ geht auf Henry David Thoreau zurück, den amerikanischen Naturphilosophen und Theoretiker, auf den sich nicht nur Amerikas erster „environmentalist“ John Muir, sondern auch die Bewegung der sechziger Jahre beruft und von dem sich sagen ließe, daß er für die grüne Bewegung weltweit das ist, was Marx für den Sozialismus ist. Ziviler Ungehorsam ist ein Naturrecht auf Widerstand gegen jede Art von Tyrannei und ein amerikanischer Verfassungsauftrag.

Zum Arsenal der direkten Aktion gehören alle jene phantasievollen Widerstandsformen, die während der sechziger Jahre von Amerika aus in alle Welt gingen: Sit-in, Teach-in, Blockade, Menschenketten, Mahnwachen, Gewaltfreiheit...

Auch von politischer Programmatik haben die amerikanischen Greens andere Vorstellungen als ihre europäischen Mentoren. Die programmatischen Statements muten seltsam unpolitisch an. In ihnen findet sich kein Hinweis auf Amerikas dringendste Probleme, weder auf interne wie internationale Verschuldung, weder auf den niedrigen Stand des Bildungssystems noch auf das Drogenproblem, weder auf die Krise der Landwirtschaft noch auf Armut und Gewalt in den Städten. Das Positionspapier zu „Frieden und Gewaltfreiheit“ erwähnt weder Gorbatschows Abrüstungsinitiativen noch Bushs Unbeweglichkeit, weder das Problem der Kurzstreckenraketen noch SDI, sondern eher sehr grundsätzliche philosophische Ausführungen zum Gewaltcharakter der amerikanischen Gesellschaft und zum Prinzip der Gewaltfreiheit; und das Papier zu „Amerikas Wäldern“ enthält nur auf Betreiben des an dieser Arbeitsgruppe beteiligten deutschen Forstwissenschaftlers Wilhelm Knabe eine Stellungnahme zu der Auseinandersetzung um Oregons Urwälder. Es ist bezeichnend für den Unterschied zwischen deutschem und amerikanischem grünen Politikverständnis, daß auf dem Abschlußplenum eine einzige Resolution verabschiedet wurde: das von Wilhelm Knabe eingebrachte Telegramm an den Holzgipfel in Salem, der das Recht der Welt und der Nachwelt auf Nordwestamerikas Urwälder reklamiert und die Beteiligten auffordert, sie als Erbe der ganzen Menschheit zu erhalten.

Die amerikanische grüne Bewegung ist jünger, unerfahrener, schwächer und zugleich radikaler als europäische grüne Parteien, sie ist grüner, in des Wortes mehrfacher Bedeutung. Vor allem aber ist sie anders, und das ist ihr wichtigstes Charakteristikum. Sie fußt auf anderen Traditionen und agiert in einer anderen politischen und historischen Kultur.

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