Shell droht Klage wegen Mersey-Öl

50 km breiter Ölteppich bedroht Tausende Vögel / Umweltschützer lehnen Anwendung von Chemikalien ab / Shell übernimmt sämtliche Kosten / Tourismusindustrie auf Jahre geschädigt  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Die „National Rivers Authority“, die in England für die Sauberkeit der Flüsse zuständige britische Behörde, hat dem Ölmulti Shell ein Ultimatum gestellt. Falls Shell innerhalb von 14 Tagen keinen „zufriedenstellenden Bericht“ über den 50 Kilometer breiten Ölteppich auf dem Fluß Mersey im Westen Englands abliefert, müsse der Konzern mit einer Anklage rechnen. Am Wochenende waren 150 Tonnen Rohöl aus einer defekten Pipeline in den Mersey ausgelaufen.

Das 35 Zentimeter dicke Rohr verbindet den Shell-Öltank bei Tranmere mit der 18 Kilometer entfernten Raffinerie in Stanlow. Shell-Ingenieure haben das 30 Jahre alte Rohr inzwischen repariert, doch die Umweltschäden gehen in die Millionen. Mindestens 1.000 Vögel sind von dem Ölteppich bedroht. Viele sind bereits tot an Land gespült worden, andere werden verhungern, weil ihr natürlicher Lebensraum zerstört worden ist.

200 Arbeiter der Bezirksverwaltung versuchen seit Sonntag, das Öl mit Eimern wegzuschaffen. Vogelschützer lehnen den Einsatz von Chemikalien zur Bindung des Öls ab, weil dafür so große Mengen nötig wären, daß der dadurch verursachte Schaden womöglich größer wäre als durch das Öl ohnehin schon. Die Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ bezeichnete den Ölteppich als Katastrophe. Es bestehe die Gefahr, daß der Fluß biologisch sterbe und kein Futter mehr für Wat- und Wandervögel liefern könne. Greenpeace forderte Shell auf, „den Dreck wegzuräumen“. Außerdem solle generell auch den übrigen Verschmutzern des Mersey das Handwerk gelegt werden. Bob Reid, Vorsitzender der britischen Shell AG, versprach, daß sein Konzern sämtliche Kosten der Säuberung des Mersey und der Strände übernehmen werde. Er versuchte jedoch, das Ausmaß der Ölpest herunterzuspielen, indem er „den kleinen Unfall“ mit der weitaus größeren Exxon -Katastrophe in Alaska verglich.

Für die Bewohner der Kleinstadt Wirral an der Mündung des Mersey klingt dieses Versprechen hohl. Ihre Stadtverwaltung hat in den letzten Jahren über 100.000 Mark ausgegeben, um die Strände Wirrals attraktiver zu machen. Selbst wenn das Öl wider Erwarten schnell beseitigt werden sollte, werden sich Touristen über Jahre hinaus nicht blicken lassen. Dave Carter, der Vorsitzende der Handelsvereinigung, sagte: „Meine erste Reaktion ist absoluter Horror. Das könnte das Ende der Tourismus-Industrie für uns bedeuten.“