: „Freie Güter“ sollen unfrei werden
Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung legt Studie im Auftrag der Grünen über „Lösungsansätze für ein ganzheitliches System von Umweltsteuern“ vor / Wie bekomme ich fiskalische und ökologische Zielsetzungen unter einen Hut? ■ Aus Bonn Ulli Kulke
Keine wissenschaftlichen Wahrheiten, wohl aber politische Mehrheiten gebe es bei der Fixierung von Steuersätzen - auf diesen eher pragmatisch ausgerichteten Grundsatz gründet sich das Gutachten des Berliner „Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung“ (IÖW) mit dem Titel „Lösungsansätze für ein ganzheitliches System von Umweltsteuern und Sonderabgaben in der BRD“, das gestern in Bonn vorgelegt wurde. Die rund hundert Seiten umfassende Studie war im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen erstellt worden und soll den Parlamentariern fortan als „Arbeitsgrundlage“ für politische Forderungen, Gesetzesinitiativen und programmatische Papiere dienen. Sie beinhaltet einerseits quantifizierte Vorschläge für Abgaben und Steuern, die auf umweltschädigende Emissionen, umweltgefährdende Industriegrundstoffe und Produkte, Energieproduktion sowie den Flächenverbrauch erhoben werden sollen. Hauptsächlicher Anspruch des Gutachtens ist jedoch ein „ganzheitlicher Vorschlag“ mit dem Bemühen, die umweltpolitischen und fiskalischen Aspekte von Abgaben und Steuern integriert anzugehen: Wirken sich Steuern und Abgaben, mit denen umweltschädigende Produkte und Produktionsweisen zurückgedrängt werden sollen, positiv oder negativ auf die staatlichen Einnahmen aus - insbesondere dann, wenn dadurch die angepeilten ökologischen Fortschritte erzielt werden? Und obwohl die Autoren des IÖW eingestehen, daß ihre Ansätze durchaus an bereits vorliegende einzelne Arbeiten und Forderungen politischer Parteien anknüpfen, vermissen sie diese „integrierte“ Herangehensweise in der bisherigen Diskussion völlig. Was außerdem noch zum Ganzheitlichen gehört: daß Umweltabgaben - etwa auf den Energieverbrauch „verteilungspolitisch negative Konsequenzen“ haben können.
Die Schlüsselpassage des ganzheitlichen Ansatzes im IÖW -Gutachten: „Öko-Steuern können nicht die Verwendung ökologisch schädlicher Produkte oder umweltgefährdender Emissionen einschränken, so daß deren Produktion vom wirtschaftlichen Wachstum abgekoppelt wird, gleichzeitig aber den allgemeinen Staatshaushalt finanzieren, dessen Bedarf mehr oder weniger entsprechend dem wirtschaftlichen Wachstum zunimmt. Entweder die Steuer ist unter umweltpolitischen Gesichtspunkten erfolgreich, dann ist sie aber als kontinuierlich fließende Aufkommensquelle eher problematisch. Oder sie ist fiskalpolitisch ein Erfolg, dann unterstellt dies aber, daß sie umweltpolitisch versagt.“ Mit anderen Worten: Schraube ich die Mineralölsteuer so hoch, daß niemand mehr Auto fährt, sind die betreffenden Steuereinnahmen gleich Null. Deshalb - so die Autoren - sei eine richtige Kombination von ordnungsrechtlichen Maßnahmen und Abgabenlösungen wirkungsvoller.
In jedem Falle gehe es allerdings darum, den Verbrauch von bisher vermeintlich „freien Gütern“ wie Luft und sauberem Wasser in die Kalkulation der einzelnen Produktionsbetriebe einfließen zu lassen, oder - wie es die Wissenschaftler ausdrücken - „externe Kosten“ zu „internalisieren“. Unter externen Kosten werden in der Wirtschaftswissenschaft solche Kosten verstanden, die das einzelne Unternehmen zwar selbst verursacht, die aber die Allgemeinheit zu tragen hat. Das IÖW weist allerdings darauf hin, daß man sich auch nichts vormachen dürfe - viele externe Kosten ließen sich einfach nicht genau beziffern. Die zukünftigen Kosten des Treibhauseffektes lassen sich heute eben nicht genauer benennen. Hier sind dann Politiker gefragt, die umweltpolitische und volkswirtschaftliche Zielvorstellungen vorgeben müssen - streng nach der Erkenntnis, daß es keine wissenschaftlichen Wahrheiten, wohl aber Mehrheiten gibt.
Obwohl die IÖW-Studie dankenswerter Weise vor allem systematische Arbeit leistet und auch die bereits bestehenden Ansätze zum ökologischen Abgabe- und Steuersystem vorstellt, sind darin auch konkrete Vorschläge in Mark und Pfennig enthalten. So fordert sie beispielsweise als Emissonsabgabe auf den Ausstoß von Schwefeldioxyd pro Tonne 1.500 Mark ab 1990 und weitere stufenweise Erhöhungen bis zu 4.500 Mark 1995: „Ziel ist, erstens eine optimale Nutzung der bereits vorhandenen oder noch in Betrieb zu nehmenden Abgasreinigungstechnologien zu fördern, zweitens den Einsatz schwefelarmer Brennstoffe zu unterstützen“.
In ähnlicher Weise werden konkrete Vorschläge aufgeführt, nach denen die Emission von Stäuben, die Einleitung von Dreck ins Wasser, der Anfall von Abfall, Produktion und Verbrauch von Einwegverpackungen bis hin zur Nutzung von Grund und Boden die Betroffenen teurer zu stehen kommen sollen. Und wer von denen darob noch gelassen bleibt, den weisen die Ökowirtschaftler vorsorglich darauf hin, daß das Ganze als „dynamischer Ansatz“ konzipiert sei - ausgerichtet jeweils nach der Durchsetzbarkeit. Weitere stufenweise Anhebungen nicht ausgeschlossen.
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