: Vom Schneeballeffekt in den Tropen
Bisher hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich hierzulande mitten im Winter frische Bohnen aus Burkina Faso kaufte. Seit der Lektüre von Toni Hagens Wege und Irrwege der Entwicklungspolitik hält sich das in Grenzen und richtet sich bestenfalls gegen den aufwendigen, mit Umweltbelastung verbundenen Transport.
Denn, so begründet der Schweizer Entwicklungsexperte das Luxusgeschäft: Das Exportgemüse erzielt einen höheren Preis als auf dem Inlandsmarkt und bringt wichtige Devisen, insgesamt macht es nur wenige Prozent des vermarkteten Gemüses aus. Durch den staatlich geförderten Gemüseanbau konnte seit 1973 die Landflucht in Burkina Faso gestoppt und die Versorgung der Bevölkerung erheblich verbessert werden.
230 Entwicklungshilfe-Projekte in der Dritten Welt wurden für die UNO und die Schweizer Regierung auf ihre Effizienz hin untersucht. Hagens Hauptkritik an den Geldgebern: Sie messen Erfolg nicht am Ergebnis, sondern an der Menge des eingezahlten Geldes, Erfolgskontrollen fehlen, Prestigeobjekte werden an den Bedürfnissen der Empfänger vorbei gefördert, der technische Aufwand ist zu hoch, man macht sich gegenseitig Konkurrenz. Seine Kritik an den Empfängerländern: Korruption, Vernachlässigung der Landwirtschaft, unflexible Staatswirtschaft, ineffiziente Staatsmonopole.
Nun sind solche Argumente, wenn hier auch sehr engagiert und begründet vorgebracht, nicht allzu neu. Was Hagens Buch aber so brauchbar und zu einer wertvollen Argumentationshilfe macht, ist die ausführliche und systematische Darstellung und Bewertung von 128 Entwicklungshilfe-Projekten, vor allem in Madagaskar, Togo, Äthiopien, Nepal und Peru.
Seine Kriterien für ein „sehr erfolgreiches Projekt“: direkte Verbesserungen bei der Zielgruppe (gesteigertes Einkommen, Auslösen eines breitgefächerten Entwicklungsprozesses), ein günstiges Verhältnis von Kosten pro Nutznießer (nicht mehr als 25 Dollar Fremdfinanzierung), Anhalten der Wirkung auch nach Abzug der westlichen Experten und schließlich der Schneeballeffekt ohne Fremdfinanzierung. Große Bedeutung haben der Einsatz von Eigenmitteln der Betroffenen und die Bezahlung von Arbeit mit Geld, nicht mit Nahrungsmitteln.
Beispiele für sehr erfolgreiche Projekte sind die Stadtplanung in Sana (Nordjemen), die ländliche Entwicklung der Region Idiofa in Zaire durch katholische Hilfswerke, die belgische und bundesdeutsche Regierung oder ein Bodenschutzprojekt in Äthiopien.
Schädlich sind Projekte, bei denen die traditionellen Lebensgrundlagen der Bevölkerung zerstört werden, ohne daß ihnen ein Ersatz geboten wird wie der Aufbau von Staatsfarmen in Äthiopien. Dabei sieht Hagen auch die Schattenseiten bei erfolgreichen Projekten, etwa wenn sich durch die Bereitstellung (und anschließendem Kauf) von Ochsenzügen neue kapitalistische Hierarchien aufbauen.
Jürgen Schön
Toni Hagen: Wege und Irrwege der Entwicklungspolitik. Verlag Neue Zürcher Zeitung, 47 DM
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