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Quecksilber - eine Altlast ist in aller Munde

Amalgamfüllungen laut Untersuchung „ärztlicher Kunstfehler“ / Landeszahnärztekammer klagt auf Unterlassung: quecksilberhaltige Plomben risikolos  ■  Christine Engel

Derzeit stürmen vermutlich Tausende von Patienten die Zahnarztpraxen, um sich ihre Amalgamfüllungen herausreißen zu lassen. Anlaß für den Andrang: Die jüngst veröffentlichten Untersuchungsergebnisse des Münchner Arztes und Toxikologen Dr.Max Daunderer. Sie berichten von exorbitanten Vergiftungen durch das im Amalgam bis zu 60 Prozent enthaltene Quecksilber. Daunderer hält es für erwiesen, daß sich dieser Stoff insbesondere im Gehirn anreichert, was zu migräneartigen Kopfschmerzen führen könne. Er bezeichnete die Behandlung von Patienten mit Amalgam als „ärztlichen Kunstfehler“.

Seitdem sprudeln die Dementis. Die Bayerische Landeszahnärztekammer strengte gegen Daunderers Behauptung eine Unterlassungsklage an. Unterstützung kam aus der Bundeszahnärztekammer, die sich in einer Pressemeldung „gegen eine weitere Verunsicherung der Patienten durch falsche Informationen“ wendet. Sie hält diese Füllungsmethode für „nach wie vor gesundheitlich unbedenklich und sicher“.

Die Arzneimittelkommission der Zahnärzte nimmt in der neuesten Ausgabe der 'Zahnärztlichen Mitteilungen‘ Stellung. Es wird kritisiert, daß Daunderer völlig ungenügende Angaben zu seiner Untersuchungsmethode mache, sodaß ein Vergleich mit anderen Untersuchungen schlecht möglich sei. Zudem wird bemängelt, daß Daunderer die Quecksilberausscheidungen seiner Versuchspersonen gemessen habe, ohne zu unterscheiden, ob diese durch Amalgamfüllungen, durch berufliche oder private Quecksilberexposition oder durch die Ernährung bedingt waren. Daunderer hat bei seinen Patienten teilweise Quecksilberwerte von 2.565 Mikrogramm pro Liter Urin gefunden. 50 Mikrogramm gelten als „noch normal“. Aus den ungewöhnlich hohen Werten schließt die Kommission auf schlampige Untersuchungsmethoden: „Da die von Herrn Dr.Daunderer erzielten Ergebnisse unter Verwendung zuverlässiger Analysemethoden nicht reproduzierbar sind, halten wir den von ihm erbrachten 'Beweis der toxischen Wirkung von Amalgam‘ für nicht stichhaltig.“ Eine Untersuchung des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Erlangen soll demnächst den Gegenbeweis antreten.

Daunderers Vorschlag, alternativ Kunststoffüllungen zu verwenden, wird von der Bundeszahnärztekammer „als eine Zumutung an die Patienten und als Quelle neuer Zahnschädigungen“ zurückgewiesen, denn Kunststoffüllungen müßten wegen ihrer geringen Belastbarkeit häufig ausgewechselt werden.

Tatsache ist, daß das hochgradig giftige Quecksilber von amalgamgefüllten Zähnen sukzessive freigesetzt wird und sich über einen längeren Zeitraum hinweg im Körper anreichert. Mehrere Untersuchungen belegen eine Erhöhung von Quecksilberwerten im Körper in Abhängigkeit von der Anzahl der Füllungen gegenüber der amalgamfreien Vergleichsgruppe. Es gilt als außerordentlich langlebiges Gift im Organismus. Doch wo es sich bevorzugt ablagert und welche Mengen als gesundheitlich unbedenklich gelten, darüber sind sich die Experten uneinig.

Die Quecksilberwerte hängen nicht allein von der Anzahl der Zahnfüllungen ab, und hier wiederum von der qualitativen Zusammensetzung und Verarbeitung des Materials, sondern auch von den Eßgewohnheiten und der Quecksilberbelastung am Arbeitsplatz. Angesichts dieses Belastungspotpourris ist die Angst, die 23.Plombe könnte der Tropfen sein, der das Faß zum Überlaufen bringt, vielleicht so unberechtigt nicht.

Daß der Verdacht der Gesundheitsschädigung durch Amalgam bislang die Weltmarktstellung unter den Füllmitteln nicht tangiert hat, liegt nicht allein an der umstrittenen Beweislage. 75 Prozent aller Zahnfüllungen bestehen weltweit aus Amalgam, da es billiger und zugleich beständiger ist als die Füllstoffalternativen Gold und Kunststoff. Bisher zahlt die Krankenkasse den Austausch von Zahnfüllungen nur dann, wenn eine krasse Quecksilberallergie nachgewiesen werden kann, die sich etwa in Hauterkrankungen und Magen -Darmstörungen zeigt.

In der Vergangenheit wurden Amalgamfüllungen schon häufig als Ursache verschiedenster Krankheitsbilder ausgemacht. Es sind wissenschaftliche Außenseiter, die es wagen, die Diagnose „Amalgamvergiftung“ zu stellen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die den Zahnfüllungen zugeschrieben wurden, reichen von der Paradontose (Zahnbetterkrankung) über Allerweltssymptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Depressionen bis zur Erblindung. Eine Schwedin gar erlangte angeblich nach Beseitigung ihrer Amalgamfüllungen das Augenlicht wieder.

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