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Bundesbahn will die Notbremse ziehen

■ Vorstand fürchtet herbstlichen Kollaps durch Personalmangel und Überstunden

Frankfurt (ap) - Wenn der Vorstand der Deutschen Bundesbahn am kommenden Montag in Frankfurt zusammentritt, muß er die Notbremse vor dem drohenden Kollaps des eigenen Unternehmens ziehen. Das Zusammenwirken von Personalmangel, Hochkonjunktur und Reiselust hat, wie Vorstandsmitglied Wilhelm Pällmann in einem internen Maßnahmenkatalog berichtet, zu einer „angespannten Betriebslage“ geführt. In dem Papier, das der Nachrichtenagentur 'ap‘ vorliegt, schreibt Pällmann: „Pünktlichkeit und Beförderungsqualität im Reise- und Güterverkehr waren in den letzten Wochen unbefriedigend. Zahlreiche und massive Kundenbeschwerden sowie drohende Abwanderungen zu anderen Verkehrsträgern bestätigen diese Situation.“

Mit Datum vom 4.August hat Pällmann Vorschläge für Maßnahmen an die untergeordneten Stellen geschickt, mit denen die Bahn „im Herbstverkehr vor dem Kollaps“ bewahrt werden soll. Die betroffenen Abteilungen sollen dazu Vorschläge abgeben, nach denen der Vorstand über die Möglichkeiten entscheidet. „Beschlossen ist noch nichts“, sagte ein Bahnsprecher am Mittwoch zu dem Katalog.

Er umfaßt unter anderem:

-Ein Pilotprojekt „Qualitätssicherung“ soll ausgesetzt werden. So sollen Wagenmeister frei werden, die Züge zusammenstellen sollen, anstatt wie bisher zum Beispiel an den Grenzübergängen darauf zu achten, ob schadhafte Fahrzeuge anderer Eisenbahngesellschaften unkontrolliert auf Bundesbahngebiet rollen und dort möglicherweise Unfälle verursachen. Mitte April dieses Jahres war in Rotenburg/Wümme ein ausländischer Kesselwagen mit explosiven Chemikalien heißgelaufen und entgleist. 1.000 Rotenburger hatten damals evakuiert werden müssen.

-Die behördliche Überwachung von Gefahrguttransporten soll verringert werden, wobei im Papier 70 Stellen genannt werden. Aus Bundesbahnkreisen hieß es aber schon im Vorfeld der Vorstandsberatung, bei der Überwachung handele es sich um gesetzliche Auflagen, die nicht eingeschränkt werden dürften.

-Güterzüge, die nur eine kurze Strecke fahren, sollen möglicherweise vor dem Verlassen des Rangierbahnhofs nicht mehr wagentechnisch untersucht werden.

-Externe Reparaturbetriebe sollen zur Verringerung des hohen Bestandes an schadhaften Fahrzeugen eingesetzt werden.

Auch im Personenverkehr sind Leistungseinschränkungen geplant, die erhebliche Auswirkungen auf die Kunden haben könnten:

-Auf bisher nicht im einzelnen genannten Strecken sollen spät abends, in „Schwachlastzeiten“, Busse statt Züge verkehren.

-Für Sonderzugfahrten, etwa für Betriebsausflüge oder als „Leserreisen“ von Zeitungen soll nicht zusätzlich geworben werden.

-Im Wochenend-, Fest- und Ferienverkehr soll auf zusätzliche Züge verzichtet werden.

Die Personalmisere der Bundesbahn, die zur Zeit bundesweit in ihren Bahnhöfen Stellenangebote anschlägt, zeigt sich unter anderem in der Summe von 6,08 Millionen Überstunden, die die 242.152 Bundesbahner bis zum 1.Juli angehäuft hatten. Knapp zwei Millionen davon brachten Lokführer zusammen - 80,7 Stunden pro Person. Diese Zahlen, die die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) in Frankfurt veröffentlichte, haben unter anderem zur Folge, daß Güterzüge nicht mit Lokomotiven „bespannt“ werden können.

Reisezüge haben häufig Verspätungen, die weit über die Toleranzgrenze von fünf Minuten hinausgehen. In Aschaffenburg, seit Beginn des Sommerfahrplans zum Intercity -Haltepunkt erhoben - dafür wurden Eilzüge für Pendler eingespart -, hält kaum einer der Nobelzüge pünktlich. Nachts verspäten sich die aus den Niederlanden oder Österreich kommenden Züge bis zu einer Stunde. Fernreisezüge fahren zwölf, Eilzüge auch schon mal 33 Minuten nach der Planzeit ab „wegen verspäteter Zugvorbereitung“, die wiederum auf Personalmangel zurückgeht, wie die Gewerkschaft beklagt.

Im Güterverkehr sind die Verspätungen noch dramatischer. Pällmann bedauert in der Vorlage, daß bei anhaltender Hochkonjunktur das „in den vergangenen Jahren typische Sommerloch im Güterverkehr ausgeblieben“ sei.

Das führte nach Informationen der Gewerkschaft dazu, daß im Sondergüterzugverkehr spürbare Qualitätseinbußen hatten hingenommen werden müssen. „Durch Warten auf Bespannung wegen Lokführermangel“ seien empfindliche Beförderungsverzögerungen aufgetreten. So hätten am 22.Juni bundesweit „um die Mittagszeit 100 Güterzüge auf Bespannung mit Lokomotiven“ gewartet. Zwei Wochen später vermerkt der Bericht der Zentralstelle Produktion in Mainz, daß die Bundesbahndirektionen Frankfurt und Karlsruhe „im wöchentlichen Durchschnitt nur 76 bzw. 67 Prozent der geplanten Lokführer-Dienstbereitschaften stellen konnten“.

Weitere Einzelbeispiele: „Am 12. Juli fehlten in Bochum -Langendreer vier Rangierer. Dadurch waren neun Güterzüge insgesamt 549 Minuten verspätet... Am 3./4.August wurden im Hauptgüterbahnhof Frankfurt neun Güterzüge jeweils durchschnittlich 48 Minuten verspätet gefahren.“ Aus der Bundesbahndirektion München wurde berichtet, daß am 4.Juli zehn Güterzüge insgesamt mehr als 58 Stunden Verspätung hatten. Tags darauf wurden in vier Bahnhöfen Güterzugverspätungen zwischen zwei und 31 Stunden pro Zug gemessen. Kommentar Seite 8

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