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Immer westwärts mit dem Wartburg

Mit Witz und einer gehörigen Portion Frechheit brachten zwei Männer aus Hagen das Auto eines Republikflüchtlings über die ungarische Grenze / Überraschte, schmunzelnde Kontrolleure / Das Ost-Auto avanciert zum Star der Szene in Hagen  ■  Aus Hagen Hartmut Krause

In Ungarn, an der österreichischen Grenze, stehen sie herum, die Trabis und Wartburgs aus der DDR, die von ihren Besitzern nicht mit auf den Weg nach Westen genommen werden konnten. Drei Hagener schafften nun, worum sich der Adac vergeblich bemüht; sie brachten das Auto eines DDR -Flüchtlings in den Westen.

Montag letzter Woche brachen Klaus-Martin Wölk, Elmar Sittner und Christoph Hümmeler für eine Woche nach Ungarn auf, „weil sie gehört hatten, daß da die Preise echt günstig“ seien, und auch sonst „die Stimmung voll gut“. Da einer von ihnen („typisch!“ sagen die beiden andern) einen abgelaufenen Paß hatte, mußten sie noch nach Wien zur bundesdeutschen Botschaft. Dort sprach sie ein DDR -Flüchtling an. Der gab ihnen die Schlüssel seines Wartburgs, den er hinter der Grenze zurückgelassen hatte, und bat sie, ihm doch seine persönlichen Klamotten aus dem Auto zu holen, da er nichts mehr besäße als das T-Shirt und die Turnhose, die er am Leibe trüge. Mit dem Auto sollten sie machen, was sie wollten, er hätte nur irgendwann gern einmal seine Sachen wiedergesehen.

Die drei Westdeutschen fuhren nach Ungarn, fanden den Wagen, luden die Fracht um und konnten sich natürlich nicht verkneifen, mit dem Dreizylinder-Zweitakt-Exoten erst mal eine Spritztour zu unternehmen. Diese wurde schon nach 300 Metern von einer Zivilstreife gestoppt. Die ungarischen Beamten wünschten den „Wessies“ jedoch nur: „Weiterhin eine gute Fahrt“, als sie bemerkten, daß es sich bei den Männern weder um DDR-Bürger auf dem Weg nach Westen noch um Plünderer handelte.

Von dieser unerwartet lockeren Reaktion der Zivilbeamten ermutigt, brachen die drei erst mal zu einer Wartburg-Tour um den Plattensee auf. Zuerst versuchten sie, das Fahrzeug an verschiedene DDR-Bürger zu verschenken. Natürlich ohne Erfolg, niemand wollte sich mit dem Wagen eines Republik -Flüchtigen heim in den Arbeiter- und Bauernstaat wagen. Das Reserverad, eine Zylinderkopfdichtung sowie andere Ersatz und Einzelteile des Wartburg fanden jedoch dankbare Abnehmer.

Nach einer Woche hatten sie die „Stinkmöhre“ so richtig liebgewonnen und sie beschlossen, den Wagen mit in den Westen zu nehmen. „Was soll uns schon passieren? Im Ernstfall lassen wir den Grenzern die Karre eben einfach vor dem Schlagbaum stehen!“

Am letzten Sonntag reihten sie sich in die Schlange am Grenzübergang ein. „Alle wurden durchgewunken, aber als wir dann kamen, ging sofort die Schranke runter und wir wurden umstellt!“ Konsterniert bemerkten die Beamten, daß es sich bei den Insassen nicht etwa um DDR-Flüchtlinge handelte, die einen Amok-Durchbruch im Sinn hatten, sondern um Westler, die behaupteten, die rechtmäßigen Besitzer des Fahrzeuges zu sein. Natürlich wurde der Wagen komplett gefilzt und die Fahrer dem diensthabenden Offizier vorgeführt. Dem Offizier legten die drei eine selbstgeschriebene Erklärung vor, daß sie das Fahrzeug für ein paar „C60„-Kassetten, einen Radiorekorder und 2.000 Forint erstanden hätten.

Der Ungar erkundigte sich schmunzelnd, wo es denn so günstig Autos zu kaufen gäbe, und meldete selbst Interesse an solch einem günstigen Angebot an, dann ließ er die Westdeutschen passieren.

Auch der bayerische Grenzschützer wußte wenig mit den West -Bürgern im Ost-Auto anzufangen. „Erst fragte er nach allen möglichen Bescheinigungen und dann meinte er, warum wir den Wagen denn nicht ordnungsgemäß umgemeldet hätten, und ich sag‘ zu ihm, ja wo denn, etwa beim Straßenverkehrsamt in Budapest, oder was?“ Der Bayer drohte den dreien dann noch, daß das aber das letzte Mal sei, daß sie mit so einem Gefährt über seine Grenze kämen, und wenn jeder auf solche Ideen käme...

Die Spur des DDR-Flüchtlings haben die drei inzwischen gefunden, und irgendwann in den nächsten Tagen werden sie ihm seinen Wagen wohl zurückbringen, wenn sie mit der knatternden Ölschleuder ihre seit Montag andauernde Tour durch die Hagener Szene beendet haben.

Leider nur fanden inzwischen so viele Neugierige Gefallen an dem Ost-Auto, daß es nach diversen Ausprobiertouren streikte. Die Gänge klemmen, der Wartburg will - symbolische Geste? - nur noch rückwärts fahren und steht nun in der Werkstatt.

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