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„Keine Existenzberechtigung für eine kapitalistische DDR“

Otto Reinhold stellte in Radio DDR Überlegungen an über den „Kampf der beiden Systeme und die Gesellschaftskonzeption der SED“  ■ D O K U M E N T A T I O N

Heute haben sich die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD wesentlich geändert. Der neuen Realität mußte selbst die Springer-Presse in gewisser Weise Rechnung tragen und die Gänsefüßchen vom Namen unseres Landes weglassen. Aber die Gegensätzlichkeit der beiden Gesellschaftssysteme ist geblieben, auch wenn sie in neuen Formen ausgetragen wird. Die Thesen vom Offenhalten der deutschen Frage, vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 und vieles andere zeigen, daß die Vertreter solcher Thesen nach wie vor hoffen, die DDR liquidieren zu können und die alten Machtbereiche wieder erobern zu können.

Zugleich ist es notwendig, im Interesse beider deutscher Staaten auf politischem, ökonomischem, kulturellem, humanitärem Gebiet und in anderen Bereichen eng zusammenzuarbeiten. Wie für kein anderes sozialistisches Land in Europa ist daher die dialektische Verbindung von Zusammenarbeit und Auseinandersetzung unabdingbar ein Wesensmerkmal der Gesellschaftskonzeption. Die Kernfrage ist dabei in besonderem Maße, was man die sozialistische Identität der DDR nennen könnte. In dieser Frage gibt es ganz offensichtlich einen prinzipiellen Unterschied zwischen der DDR und anderen sozialistischen Ländern. Sie alle haben bereits vor ihrer sozialistischen Umgestaltung als Staaten mit kapitalistischer oder halbfeudaler Ordnung bestanden. Ihre Staatlichkeit war daher nicht in erster Linie von der gesellschaftlichen Ordnung abhängig.

Anders die DDR. Sie ist nur als antifaschistischer, als sozialistischer Staat, als sozialistische Alternative zur BRD denkbar. Welche Existenzberechtigung sollte eine kapitalistische DDR neben einer kapitalistischen Bundesrepublik haben? Natürlich keine. Nur wenn wir diese Tatsache immer vor Augen haben, wird klar erkennbar, wie wichtig für uns eine Gesellschaftsstrategie ist, die kompromißlos auf die Festigung der sozialistischen Ordnung gerichtet ist. Für ein leichtfertiges Spiel mit dem Sozialismus, mit der sozialistischen Staatsmacht ist da kein Platz.

Diese Tatsache, daß die DDR nur als antifaschistischer und sozialistischer Staat existieren kann, bestimmt heute sehr wesentlich die westlichen Angriffe auf die DDR. Zwei Tendenzen sind sichtbar: Einerseits ist es die Hoffnung, sind es die vielfältigen Anstrengungen, die tiefgehenden Wandlungsprozesse in der Welt des Sozialismus zu nutzen, um die sozialistische Gesellschaft in irgendeine Form bürgerlicher Ordnung zu drängen. Wieso sollten auch die imperialistischen Gegner der sozialistischen Ordnung plötzlich ihr Interesse für einen besseren und international attraktiveren Sozialismus entdecken? Wie sich in einigen Ländern zeigt, sind ihre Hoffnungen nicht völlig auf Sand gebaut.

Wenn es in diesem Zusammenhang gelänge, so ihr Denkansatz, in der DDR eine Entwicklung zu bewirken, die weg vom Sozialismus und hin zu irgendeiner Form bürgerlicher Ordnung führen würde, würden sich damit fast automatisch neue Möglichkeiten ergeben, die DDR zu annektieren, sie heim ins Reich zu führen. Die Hoffnung auf gesellschaftliche Änderung nach bürgerlichem Rezept und die neuen illusionären Rufe nach einem einheitlichen Deutschland sind untrennbar miteinander verbunden.

Das ist aber andererseits zugleich der Grund dafür, daß sie so wütend darauf reagieren, daß die DDR, daß die Gesellschaftspolitik der SED den Träumen nach einer bürgerlichen DDR keinerlei Spielraum gibt. Westliche Politiker und Staaten, die mit Recht davon ausgehen, daß die Existenz der beiden deutschen Staaten ein grundlegendes Element für Frieden und Sicherheit in Europa ist, an dem nicht gerüttelt werden darf, müßten daher, wenn sie konsequent sind, ein fundamentales Interesse daran haben, daß sich die sozialistische Gesellschaft in unserem Lande erfolgreich entwickelt.

In jeder Phase der historischen Entwicklung kommt es also darauf an, für die Grundfragen der Gesellschaft spezifisch sozialistische Lösungen im Interesse und zum Nutzen der Werktätigen und des ganzen Volkes zu finden. Im Wettbewerb der beiden Systeme kann die DDR nur dann erfolgreich sein, wenn sie in wichtigen Fragen des gesellschaftlichen Lebens, im Interesse der Menschen eine sozialistische Alternative findet. Dabei haben wir es mit vielen neuen Bedingungen zu tun. Dazu gehört die immer engere Wechselbeziehung zwischen innerer und internationaler Entwicklung. Natürlich ergibt sich die Frage, was das konkret für unsere Gesellschaftskonzeption in den neunziger Jahren bedeutet.

Dreierlei scheint mir jetzt schon völlig außer Frage zu stehen: Erstens ist noch ein harter und sicher auch langwieriger Kampf erforderlich, um die Friedenspolitik gegenüber den aggressivsten imperialistischen Kreisen und anderen konservativen Kräften durchzusetzen. Dabei spielt die Politik des Dialogs eine zentrale Rolle. Welchen Erfolg sie bringt, hängt wesentlich von der Autorität der DDR und der sozialistischen Ordnung in unserem Lande ab. Diese Autorität wird aber in hohem Maße von der politischen Stabilität, von der ökonomischen, sozialen und politischen Dynamik des Sozialismus in der DDR bestimmt sein. Besonders unter diesen Gesichtspunkten ist es entscheidend, daß wir für die Bewältigung der gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen und Probleme spezifische sozialistische Lösungen finden, daß sich der Sozialismus in der DDR für die Werktätigen in jeder Hinsicht als die Gesellschaft erweist, in der der Mensch als Mensch leben kann.

Zweitens ist ebenso klar, daß sich im Ringen um Frieden, Abrüstung und Entspannung auf dem Weg zu einem europäischen Haus die Beziehungen zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten in großer Vielfalt und in wachsendem Umfang entwickeln werden. Dabei ist es natürlich wichtig, was die DDR dazu einzubringen vermag, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, im sozialen Bereich wie in der Kultur. In der DDR mußte schon immer die sozialistische Gesellschaft unter weltoffenen Bedingungen gestaltet werden. Diese Weltoffenheit wird in den neunziger Jahren ohne Zweifel eine neue Dimension erreichen. Daraus ergeben sich aber nicht nur Schlußfolgerungen für die Wirtschaft, sondern auch für alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

Drittens schließlich muß davon ausgegangen werden, daß die Auseinandersetzung der beiden Systeme an Schärfe zunehmen wird. Schon jetzt lassen herrschende imperialistische Kreise, Politiker und Ideologen keinen Zweifel an diesen, ihren Zielen. Die Tatsache, daß in einer Reihe sozialistischer Länder der Umgestaltungsprozeß mit großen sozialen, politischen und nationalen Konflikten verbunden ist, daß es noch nicht gelungen ist, eine grundlegende Wende in der Wirtschaft und im sozialen Bereich herbeizuführen, ist offensichtlich eine große Ermunterung dieser Kräfte.

Mit anderen Worten: Die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR erfolgt am Ende unseres Jahrhunderts in einer sich sehr rasch verändernden Welt. Unser Land ist dabei keine Insel, sondern wird einerseits immer stärker von dieser internationalen Entwicklung beeinflußt, wie andererseits unsere innere Entwicklung auf diese Veränderungen Einfluß ausübt. Die Schlüsselfrage der kommenden Jahre ist und bleibt die Entwicklung der Produktivkräfte, die weitere Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die Hebung der ökonomischen Effektivität, der Dynamik unserer Wirtschaft. In erster Linie hängt davon sowohl der Spielraum ab, der uns für die Lösung der inneren Aufgaben in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zur Verfügung steht, als auch die Position, die wir künftig im internationalen Leben einnehmen werden.

Otto Reinhold ist Direktor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Er gehört zu den führenden Parteitheoretikern und wurde im Westen vor allem in Zusammenhang mit dem SPD/SED-Grundsatzpapier bekannt, an dessen Ausarbeitung er führend beteiligt war. Gehandelt wurde er in letzter Zeit auch schon als Nachfolger von Ideologiechef Hager.

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