: Das Kronberg-Syndrom
■ Braun-Maniacs sammeln alles, was Braun ist
Hans-Hermann Kotte
Der Schein trügt. Braun-Geräte sind nüchtern, schlicht, funktional. Aber ein einziger Anblick kann genügen, um einen netten Nachbarn zum rastlosen Fetischisten werden zu lassen, der auf der Suche der Hardware mit dem berühmten Logo die Trödelmärkte durchstöbert, Kleinanzeigenblätter zerliest und skrupellos nichts ahnenden Omas einen Entsafter oder das Radio abjagt. Rund 2.000 Braun-Maniacs durchkämmen die Republik nach Rasierern und Receivern: Braun, Braun, Braun ist alles, was sie wollen. Besonders die Musikgerätschaften aus den 50er und 60er Jahren, mit denen die Braunsche Geschmacksrevolution begann, haben es den Sammlern angetan.
Als das ganze Land noch im „Gelsenkirchner Barock“ darnieder lag, wurden in der Taunus-Gemeinde Kronberg bereits Phonokombinationen produziert, die quasi zeitgleich mit ihrer Markteinführung in die Design-Sammlung des New Yorker „Museum of Modern Art“ wanderten. So sehr waren sie ihrer Zeit voraus, daß sie bei schlichteren Gemütern auch heute noch eher Assoziationen mit medizinischen Apparaten auslösen, denn an klassische Ikonen des modernen Designs. Die Braun-Maniacs hingegen haben die Haushaltshelfer mit den genial-simplen Typenbezeichnungen T 52 (Kofferradio) oder HT 1 (Toaster) zu Objekten erklärt. Mit dem nötigen Freiraum umgeben, lassen sie die Wohnung zur Halle der Anbetung werden. Was ist ein Bild von Klapheck gegen eine gut ausgeleuchte Küchenmaschine (KM 3)
Die Versorgung der süchtigen Gemeinde mit Nachschub organisiert unter anderem der Hamburger Graphik-Designer Jo Klatt, seit zehn Jahren Sammler und heute Eigner von mehr als 200 Objekten, vom Eiskratzer über Fernseher bis zum Blitzlicht. Einen Großteil seines Sammelguts mußte er inzwischen in ein klimatisiertes Depot auslagern. Klatt gibt die hyperästhetische Sammlerpostille Braun + Design heraus, die alle vier Monate der „Braun-Philosophie“ in Wort und hochauflösendem s/w-Bildmaterial huldigt. Natürlich zweisprachig in Deutsch und Englisch. Die meistgelesenste Rubrik der Zeitschrift (verkaufte Auflage 1.000, 750 Abos in der BRD und Übersee): der Kleinanzeigenteil. Suche Tischlüfter, HL 70, weiß/grau, biete Tonbandgerät, TG 502/4, in schwarzem Kräusellack. Außerdem ist Klatt, Mastermind unter den Braun-Hortern, auch Mitveranstalter der jährlichen „Tauschbörse“. Dann strömen Hunderte der überwiegend männlichen Enthusiasten zusammen, um sich gemeinsam zu begeistern und die aggressive Preispolitik kommerzieller Braun-Antiquare auszuhebeln. Am liebsten würden die Maniacs dort auch jedesmal ihrem Guru, dem Braun-Chefdesigner Dieter Rams, lauschen, doch der ist nicht immer zum Vortrag bereit.
Rams hatte zusammen mit den Designern Wagenfeld und Gugelot Mitte der 50er das klare Äußere der Braun-Produkte erfunden, die sich zuvor nur technisch vom Volksempfänger und seinen Verwandten unterschieden hatten. Braun stellte Bauhausprinzipien vor die Marktorientierung und sich selbst gegen den damaligen (und heutigen) Zeitgeist.
Doch was bringt Sammler wie Klatt dazu, für der Welt erste Audio-Kompaktanlage, die SK 4 (im Volksmund „Schneewittchensarg“), mehr als 1.200 Mark zu zahlen? Warum fahnden manche solange, bis sie alle 15 Varianten eines Feuerzeugs zusammenhaben? Woher die Bereitschaft, für ein handtellergroßes Radio einen halben Tausender hinzublättern? Der Hamburger kann das, was ihn angesichts eines Braun -Heizlüfters oder -Tonbands im Innersten bewegt, kaum in Worte fassen. „Das ist am ehesten eine Empfindung wie Musik; Proportionen, die Einklang verströmen.“ Damit möchte sich Klatt „umgeben bis zum geht nicht mehr“. Der besondere Kick an den optisch abgespeckten Reliquien sei „der Reizpunkt kurz vor der Leere, der Langeweile“. Der Mehrheit der Sammler und ihren strengen ästhetischen Maßstäben genügen nur technisch intakte Stabmixer, Haarschneider, Rasierer, Taschenlampen, Ventilatoren, Tonbänder und Plattenspieler. Schließlich hat das Innenleben ja auch die Form bestimmt.
Der Berliner Sammler Michael Unger bezeichnet sich als „eher harmlosen Fall“: „Mit der Variantensammelei hab ich gar nicht erst angefangen, von wegen Lautsprecher links oder rechts - Seitenwand in Nußbaum oder Teak.“ Doch nach der Einstiegsdroge „Schneewittchensarg“ hatte er innerhalb eines Jahres einhundert Geräte beisammen. Heute sind es schon so viele, „daß Phonotruhen und Fernseher keinen Platz mehr finden“. Unger hat sich inzwischen von Hi-Fi-Geräten auf das Sammeln von längst nicht mehr produzierten „Nizo„ -Super-8-Kameras spezialisiert. Er beklagt die Goldrauschmentalität unter den Berliner Sammlern: „Keiner gönnt keinem mehr was.“ Hyper-Braunologen würden sich heutzutage sogar um Kundenkataloge, Verpackungs- und Dekomaterial und um Plastiktüten reißen. Unger: „Die Fanatischen kennen jedes noch so kleine Produkt, die ganze Firmengeschichte. Die könnten lässig bei Thoelke oder Gottschalk auftreten.“
Der Run auf Braun verdirbt inzwischen die Preise, und seit in den Hauptstädten der Braun-Besessenen Hamburg, Berlin und München die Yuppies (Spezialität: Armbanduhren und Feuerzeuge) eingestiegen sind, gibt es kaum noch „Schnäppchen“. Die Flohmärkte sind leer, Händler drängen auf den Markt.
Sogar bloße Braun-„User“, also Menschen, die sich Braun -Geräte aus praktischen Erwägungen in den Haushalt holen, leiden unter dem „Kronberg-Syndrom“. So schwärmt der Berliner Student Till Streu, bei dem von der Munddusche bis zur Zitruspresse alles Braun ist: „Beim Kauf und Anblick dieser Geräte feiern der Ästhet, der Pragmatiker und der Snob in mir rauschende Feste.“ Der Hamburger Sven Gebert lobt die Handhabbarkeit: „Man braucht keine Bedienungsanleitung. Das Braun-Gerät erklärt sich selbst.“
So richtig in Mode kam die Braun-Anbetung in den späten Siebzigern, als die Postmoderne bis in die tiefste Provinz vorgedrungen war, begleitet von einer Renaissance des Bauhaus-Designs. Man entdeckte die ungeheure Modernität, die die Braunmaschinen bereits aufwiesen, lange bevor das Wort „Design“ in den gemeinen deutschen Wortschatz aufgenommen wurde: Schwarz, weiß oder grau als Farben, neue Materialien wie Alu und Plexi und das, was man heute Ergonomie nennt.
So ähnlich sieht Braun heute noch aus. Doch das 1921 gegründete Familienunternehmen, das Ende der Sechziger die Aktienmehrheit an den amerikanischen Rasierer-Multi „Gilette“ verkaufte, macht zunehmend Zugeständnisse an den Markt. Das meinen zumindest viele Braun-Maniacs. Förmlich entsetzt waren die Sammler, als Braun 1980 den Hi-Fi-Bereich an die Firma a/d/s abgab. Die schönen, aber sehr teuren Geräte brachten zuwenig Umsatz, Hauptgeschäft von Braun sind sowieso die Rasierer, gefolgt von Haushaltswerkzeugen, Haartrockengeräten (der Name „Fön“ gehört der AEG), Taschenrechnern und Uhren. Inzwischen macht Braun auch wieder in Phono, die Gemeinde atmet auf. Das Braun-Logo auf den flachen schwarzen Hi-Fi-Bausteinen ist gerettet.
Einen Aufschrei unter den sammelnden Super-Ästheten provozieren einige Produkteinführungen neuerer Zeit. Zum Beispiel der neue Toaster HT 55, die Kaffemaschine KF 32 und zwei poppige Wanduhren. „Greueltat“, hieß es, „des Braun -Zeichens nicht würdig“ oder „Pseudo-KRUPS“.
Sammler Michael Unger hat für die Zukunft wenig Hoffnung: „Das wird immer schlimmer.“ Von den knalligen neuen Werbespots will er gar nicht erst reden. Er glaubt aber, daß „zumindest der Hi-Fi-Bereich puristisch bleiben wird“. Ober -sammler Klatt sieht die „höhere Wertigkeit des Braun -Designs in Gefahr“. Er arbeitet seit einem Jahr an einer Art Werkverzeichnis, das alle Braun-Geräte, die jemals gefertigt wurden (rund 1.100) in Wort und Bild festhalten soll. Wegen der fundamentalistischen Ansichten der Maniacs ist das Verhältnis zur Firma nicht immer entspannt. Während Klatt betont, daß die Maniacs mit ihrer Leidenschaft auch „Imagewerbung für Braun betreiben“ und sich von den Kronbergern mehr Unterstützung für die Sammel-Bewegung wünscht, reagieren die auch schon mal gereizt, wenn die Sammler gebetsmühlenhaft fordern, „die Vergangenheit nicht aufzugeben“. Insgeheim, sagt Klatt selbstkritisch, könne er die Verstimmungen der Kronberger ja verstehen. „Schließlich haben wir Sammler ja die Reihenfolge „form-follows-function“ auf den Kopf gestellt. Für uns zählt nicht mehr das Benutzen, sondern nur noch das Besehen.“
Wie revolutionär das Braun-Design ist und war, zeigt die Ausstellung „Design als Programm: zum Beispiel Braun Hi-Fi“ im Internationalen Design Zentrum Berlin. Sie zeigt die Braun-Geräte der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre im jeweils zeittypischen Ambiente, mit Videos aus allen Braun -Jahrzehnten und Produktbeispielen anderer Hersteller. Als Katalog erscheint Nr. 22 der Zeitschrift 'Instant‘ (10 Mark).
Bis 18. September täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr im Internationalen Design Zentrum, Kurfürstendamm 66, 1000 Berlin 15.
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