Lärm, Schrott und eine Skulptur für den Frieden

■ Kreuzbergs Bürgermeister König ist über die Mutoid-Waste-Künstler am Görlitzer Bahnhof empört / Kultur oder Schrott?

„Ob das Künstler sind oder nicht, mögen Berufene entscheiden! Kultur haben sie nicht!“ Diese aufschlußreiche Erläuterung seines persönlichen Kulturbegriffs versandte Kreuzbergs Bürgermeister König (SPD) gestern morgen per Telefax an alle Medien der Stadt. Anlaß der kulturellen Erklärung des sonst mit ganz anderen Dingen beschäftigten Bürgermeisters waren die Aktivitäten der britischen Schrottkünstler „Mutoid Waste Company“ auf dem Görlitzer Bahnhof. Drei Wochen lang hatte die Schrott-Truppe auf dem Parkgelände Berliner Müll zu Kunstwerken verschweißt. Letzte Woche wollte die Gruppe weiterziehen. Weil ihr letztes Werk, eine Schrottplastik für Ost-Berlin, noch nicht ganz fertig ist, hatten sie beim Bezirksamt eine Woche Verlängerung beantragt und bewilligt bekommen. Fünf Künstler blieben, um das Ost-Kunstwerk zu vollenden, das am 1.September im Beisein von Gorbatschow, Bush, Honecker und Kohl (vor zwei Wochen schriftlich eingeladen) durch einen Mauerdurchbruch in den Osten gebracht werden soll. Eine große, symbolische Aktion zum 50.Jahrestag des Kriegsbeginns vor 50 Jahren doch Bezirksbürgermeister König hat andere Sorgen.

Beschwerden von Anwohnern, daß „nachts ein Stromgenerator heult, Autos hin- und hergefahren werden und psychisch gestörte Hunde harmlose Spaziergänger belästigen“, klagt König in seinem Rundschreiben. Die Gruppe solle doch entweder „ihre Umgebung in Ruhe lassen oder verschwinden“, präzisierte der Bürgermeister seine Wünsche.

Allerdings - vor Ort gewesen zu sein scheint er nicht, denn sonst hätte der Bürgermeister sehen können, daß die mittlerweile auf fünf Leute geschrumpfte Künstlertruppe sich in die hinterste Ecke des Parks Richtung Kanal zurückgezogen hat, wo sie gar keine Anwohner belästigen kann. Krach machen dort vor allem die Bagger und Generatoren des Gartenbauamtes und der Baufirmen, die an den Parkanlagen weiterbauen. „Wir schweißen nur ein paar Stunden täglich“, versicherte Robin, Auto-Mech von der Schrott-Truppe. Nachts sei der Generator aus. Den Unmut der Anwohner führt er auf die letzten Wochen zurück, als abends viele Besucher zu den Kunst-Aktionen der Gruppe kamen. „Klar, das ist, als ob wir im Hyde-Park arbeiten“, meint Schrott-Künstlerin Lucy verständnisvoll. Normalerweise ziehen sich die Künstler für ihre Aktionen auf große Schrottplätze der Städte oder in Industriegebiete zurück, wo es keine Anwohner gibt, die gestört werden könnten.

Einen Vorwurf weist Robin allerdings mit Entschiedenheit zurück: Hunde haben die Künstler keine dabei. Bei den „psychisch gestörten“ Tieren, die Kreuzbergs Bürgermeister ausmachte, muß es sich also um die ganz normalen Kreuzberger Vierbeiner handeln. Und die werden sich über den Besuch der Künstler sicher gefreut haben, denn nun haben sie außer den frisch gepflanzten Bäumchen auch zwei große bunte Schrott -Skulpturen zum Beinheben. Falls die dritte, zur Zeit noch in Arbeit befindliche Skulptur am 1.September doch nicht von Honecker entgegengenommen wird, soll auch dieses Kunstwerk den Westberliner erhalten bleiben.

Vielleicht überdenkt der Bürgermeister seine ungnädige Haltung, wenn er die drei knallbunten Schrottskulpturen erst mal sieht. Wie heißt es doch in Königs Erklärung? „Kunst soll stören - geistig, aber nicht nerven!“

taz