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Großer Flüchtlingstreck erwartet

■ Rotes Kreuz bereitet Transport aus Ungarn für 1.500 DDR-BürgerInnen vor / 1.September ist der Stichtag für Unentschlossene / Bonn will auf alle Eventualitäten gefaßt sein / Ungarns Regierung dementiert Möglichkeit einer legalen Ausreiseregelung

Bonn/Budapest (ap/afp/dpa) - Die Bundesregierung rechnet zum Wochenende mit der bislang größten Fluchtwelle von DDR -Bürgern aus Ungarn. Regierungssprecher Klein betonte gestern in Bonn, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Aus österreichischen Regierungskreisen verlautete, das Internationale Rote Kreuz leite bereits einen Transport von 1.500 DDR-Flüchtlingen in die Bundesrepublik in die Wege. Das bayerische Sozialministerium teilte mit, daß der Aufbau zusätzlicher Durchgangslager im Gang sei, die eine Gesamtkapazität von ca. 5.000 Plätzen haben sollen. Das an den Vorbereitungen beteiligte Deutsche Rote Kreuz sprach von „einem der größten Betreuungseinsätze der Nachkriegszeit“.

Um weiteren Spekulationen vorzubeugen, betonte das Sozialministerium, es handele sich lediglich um „Vorsorgemaßnahmen, denen weder konkrete Informationen über Zeitpunkt oder Ausreiseaktionen noch über die Zahl der Ausreisewilligen aus Ungarn zugrunde liegen“.

Am 1. September enden die Schulferien der DDR. Unentschlossene müssen sich bis dahin entscheiden, ob sie in ihre Heimat zurückkehren oder in die Bundesrepublik übersiedeln wollen. In Ungarn halten sich derzeit etwa 150.000 bis 200.000 DDR-Bürger auf, von denen nach Schätzungen des oppositionellen Ungarischen Demokratischen Forums ein Zehntel bei Urlaubsende nicht nach Hause zurückkehren wollen. Während Regierungssprecher Klein alle Zahlenangaben über fluchtwillige DDR-Bürger als reine Spekulation zurückwies, berichtete der ungarische Rundfunk, Tausende am Wochenende aus Rumänien und Bulgarien nach Norden zurückfahrende DDR-Urlauber könnten versuchen, ebenfalls über Ungarn in den Westen zu gelangen. In drei Zeltlagern in Budapest warten derzeit etwa 1.500 Menschen auf eine Ausreisemöglichkeit in die Bundesrepublik. Seit dem Abbau der ungarischen Grenzbefestigungen im Mai sind rund 6.000 DDR-Bürger über die Grenze nach Österreich geflüchtet.

Das ungarische Außenministerium hat unterdessen Presseberichte über eine legale Ausreiseregelung für DDR -Bürger dementiert. Der Ministeriumssprecher Andras Gulyas sagte am Mittwoch in Radio Budapest, daß weder die Öffnung der Grenzen für DDR-Bürger noch die Aufhebung der Visumpflicht zwischen Ungarn und der Bundesrepublik geplant sei. Eine solche Rege Fortsetzung auf Seite 6

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lung hätte zur Folge, daß DDR-Bürger mit bundesdeutschen Pässen - aber ohne Einreisevisum - legal nach Österreich ausreisen könnten.

Während also weiter unklar bleibt, ob die erwarteten Flüchtlinge wie bisher über die grüne Grenze oder - wie die Ungarischen Botschaftsbesetzer - mit Hilfe des Roten Kreuzes in die Bundesrepublik kommen, laufen in Bayern schon die Vorbereitungen für deren Unterbringung: In Passau, Freilassing und Bad Reichenhall wurden vier für Zeltlager geeignete Plätze ausgesucht, darunter ein Parkplatz und ein Bauhof. Vertreter der Landratsämter in Passau und Bad Reichenhall sagten, nach dem 1. September würden wahrscheinlich schubweise Flüchtlinge eintreffen und jeweils etwa zwei Nächte in den Lagern verbringen. Deshalb dürften annähernd 3.000 Plätze ausreichen. Hilfsdienste sollen am Donnerstag mit dem Bau der Zeltstädte beginnen, bis Sonntag oder Montag sollen sie stehen. Die Federführung haben das Bundesinnenministerium und das bayerische Sozialministerium über

nommen.

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