: Mit der Spielzeugknarre auf Sinnsuche
■ Der 28jährige Andreas L. suchte sein Glück erst in der DDR, dann in der BRD und schließlich in einer Filiale der Volksbank. Er fand überall Knast
„Überfall, Geld her! Los, los.“ Mit dieser drohenden Forderung stürmte der 28jährige Gießereifacharbeiter Andreas L. am 2. Februar 89 in den Schalterraum einer Filiale der Bremer Volksbank in der Neustadt. Mit einer Spielzeugpistole bewaffnet, erbeutete L. knapp 16.000 Mark, ohne allerdings viel mit dem plötzlichen Reichtum anfangen zu können: Schon eine halbe Stunde nach seinem Überfall wurde er von der Polizei in einer Kneipe gefaßt, nicht weit von der überfallenen Bank entfernt.
Schon zum zweiten Mal in seinem Leben mußte L. sich in der letzten Woche wegen „räuberischer Erpressung“ vor einem Gericht verantworten. Auf die Idee, in einer Bank „schnelles Geld ohne eigenes Konto“ zu machen, war Andreas L. zum ersten Mal vor fast genau zwei Jahren gekommen. Am 22.12.86 hatte er - ebenfalls mit vorgehaltener Spielzeugpistole und übergestülpter Pudelmütze - eine Bank in Wunstorf bei Hannover überfallen. Die erbeuteten 10.000 Mark verpraßte er: Alkohol, Haschisch, Spielautomaten, Discos. Wenige Tage später stellte sich Andreas freiwillig der Polizei. Zwei Jahre und neun Monate Knast, lautete damals das Urteil. Zwei Jahre saß L. ab, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Aber schon sechs Wochen nach seiner Haftentlassung hieß es dann wieder: „Überfall, Geld her“, diesmal abzusitzen im Bremer Knast.
Ein cooler Profi, der routiniert krumme Dinger abzieht, sitzt trotzdem nicht auf der Anklagebank der zweiten großen Straf
kammer in Bremen. L. wirkt ruhig, fast schüchtern und nachdenklich. Mit leiser Stimme fängt er an zu erzählen von den Überfällen und wie es dazu kam und vor allem von seinem verpfuschten Leben. 6 Jahre hat L. hinter Gittertüren verbracht, die meisten davon, ohne eine Bank überfallen zu haben.
Bis 1985 lebte L. in der DDR, und fiel dort schon in seiner Kindheit wegen „eskalierender Aufsässigkeit gegenüber Lehrern“ auf. Er schwänzte den politischen Unterricht und verweigerte sich der paramilitärischen FDJ-Ausbildung. Statt dessen verbrannte Andreas die DDR-Staatsflagge und seine Uniform. 1980 kam er zum ersten Mal, für knapp ein Jahr, in den DDR-Knast. Weitere Gefängnis-Gastspiele folgten: Wegen Staatsverleumdung oder ähnlicher Delikte.
In den wenigen Monaten seiner Freiheit stellte L. einen Ausreiseantrag in die BRD. Erfolglos. Stattdessen verlor er seinen Arbeitsplatz. Als letzten Ausweg sah L. jetzt nur noch die Flucht nach vorn - über die Grenze, wurde dabei erwischt und mußte wieder für 18 Monate hinter Gitter. Eine Zeit, die ihm sehr zugesetzt habe. Seine Ehe ging in die
Brüche und wurde geschieden. Erst am 14.1.85 wurde L. freigekauft und in die BRD abgeschoben.
Aus dem Traum von der großen Freiheit wurde auch dort nichts. „In der ersten Zeit war ich immer alleine und hab‘ keine Freunde gefunden. Das war sehr schlimm für mich“, erklärte L. Hoffnung schöpfte er erst, als auch seine geschiedene Frau die DDR verließ und in die Bundesrepublik ausreiste. L. nahm sofort Kontakt zu ihr auf, gab Job und Wohnung auf und zog zu ihr nach Wunstorf: „Ich war glücklich, daß ich wieder jemanden hatte.“
Das neue Glück währte ein Vierteljahr, die neue, alte Beziehung ging erneut in die Brüche: „Ich mußte wieder von vorne anfangen.“ L. zog nach Delmenhorst, fand einen neuen Job und eine neue Freundin. Auch diese Beziehung scheiterte. L. kehrte zum dritten Mal zu seiner Ex-Frau zurück, wieder nur für kurze Zeit. Hinzu kam: Er glaubte, Krebs zu haben. Das war kurz vor Weihnachten 86 und kurz vor dem ersten Banküberfall.
„Mir war nun alles egal. Ich dachte, ich müßte sterben und wollte mir vorher noch ein paar schöne Tage machen.“ Statt ein
paar schöner Tage hatte L. zwei Jahre Knast davon. Nach seiner Haftentlassung zog er zurück nach Delmenhorst - mit 650 Mark Entlassungsgeld in der Tasche, das schnell für Kleidung, Miete und Essen draufging. Wieder kriegte er nicht den „Dreh“.
Um „alles vergessen zu können“, fing er an zu trinken, haschen, koksen, machte Schulden, wurde von seinen Gläubigern bedroht und verprügelt. Sechs Wochen nach seiner Haftentlassung sah L. nur noch einen Ausweg: Banküberfall. Richter und Schöffen
entschieden gestern: Vier Jahre und drei Monate Knast, wegen räuberischer Erpressung unter Anrechnung der Reststrafe, unter Berücksichtigung der Tatumstände und einer „neurotischen“ Persönlichkeitsstörung.
Nicola Roggendorf
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