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AKW Brunsbüttel dicht

■ Reaktorminister Töpfer schickt rätselhaftes Telex an Schleswig-Holsteins Energieminister: sofort abschalten/Erkenntnisse Monate alt - TÜV: kein Problem

Freitag abend setzte sich Bundesreaktorminister Klaus Töpfer an die Spitze der Ausstiegsbewegung. Nach Feierabend schickte er ein Telex gen Kiel, er halte es für angebracht, das Atomkraftwerk Brunsbüttel vorübergehend stillzulegen. Denn „nach derzeitigem Erkenntnisstand ist das Schließen von Durchdringunsarmaturen nicht gewährleistet.“ Es geht dabei um Radialschieber, die den Abschluß des Sicherheitsbehälters im Falle eines Leitungsbruchs außerhalb dieses Containments sicherstellen sollten. Es bestehe deshalb Zweifel, so Töpfer, ob der Bruch einer solchen Leitung ausreichend sicher beherrscht werden könne. „Es sei denn,“ fuhr Töpfer fort, um Jansen, der angetreten war, den Ausstieg durchzuführen, gleich noch einen drüberzuziehen, „dem schleswig-holsteinischen Energieministerium liegen Erkenntnisse vor, die Zweifel an der Sicherheit ausschließen.“

Jansen hatte seine Sachen am Freitag abend schon gepackt, rief aber sofort, Töpfers Telex noch in der Hand, beim TÜV an, der schon im März ein Gutachen über die Radialschieber angefertigt hatte, in dem er zu dem Ergebnis gekommen war, der Betrieb von Brunsbüttel müsse nicht eingeschränkt werden. Anlaß zu diesem Gutachten gaben damals Erkenntnisse aus Ohu I, wo solche Funktionsstörungen festgestellt worden waren. Nach wie vor hatte der TÜV am Freitag abend keine Bedenken, Brunsbüttel weiter laufen zu lassen. Trotzdem wählte Jansen als nächstes die Nummer des Betreibers von Brunsbüttel, der HEW und ließ die Schieber schließen. Damit fährt der Reaktor nur noch mit dreißig Prozent Leistung.

Warum Töpfer seine Spätvorstellung am Freitag abend inszenierte, liegt noch im Dunkel. Nach der Darstellung des Kieler Energieministeriums beruht Töpfers Aufforderung nicht auf aktuellen Erkenntnissen. „Die Mängel in der Schiebevorrichtung sind uns schon lange bekannt“, betont Günther Jansens persönlicher Referent, Andreas Fleck, am Samstag. Minister Jansen selbst hält Form und Zeitpunkt der Mitteilung für ungewöhnlich. „Üblicherweise werden Rückschlüsse aus technischen Mängeln in Kernkraftwerken in kürzester Frist verfaßt - und nicht erst Monate später.“ Töpfers Telex enthalte keine aussagekräftigen technischen Einzelheiten, die eine Neubewertung bereits bestehender Erkenntnisse ermöglicht hätten. Am gleichen abend riefen die Hamburgischen Electrizitätswerke HEW bei Jansen zurück und meldete Vollzug. Der Reaktor läuft jetzt ohne Pumpen mit „Naturumlaufkühlung“. Der Siedewasserreaktor geht zumindest vor Mittwoch nicht mehr ans Netz. Bis dahin hat der TÜV eine schriftliche Stellungnahme zugesagt.

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