Grollander an Stuhr verkauft

■ Deal Bremen-Stuhr: Flughafenerweiterung gegen Verkehrsberuhigung

Auf der Schlachtbank kommunaler Diplomatie sind die AnwohnerInnen der Nordenländer Straße in Grolland vom Bremer Senat geopfert worden. In einem Vertrag vom März 1986 verpflichtete sich die Stadt Bremen, verkehrliche Veränderungen auf dieser Straße nur mit Einverständnis der Gemeinde Stuhr vorzunehmen. Im Klartext: Für diesen Teil Bremens gilt seitdem, daß Einschränkungen des LKW-Verkehrs, Tempo 30 - Regelungen oder ähnliche Verkehrsberuhigungsmaßnahmen nicht zur Anwendung kommen. Denn Stuhr hat ein deutliches Interesse, daß diese Einfallstraße nicht verkehrsberuhigt wird. Als Gegenleistung für diesen verkehrspolitischen Knebelvertrag zog die Umlandgemeinde ihre Einwendungen gegen die Flughafenerweiterung zurück. Dieser Deal kam gestern vor dem Verwaltungsgericht Bremen zutage, als die Klage der Norderländer Straße - AnwohnerInnen gegen die Stadtge

meinde Bremen wegen Verkehrsberuhigung verhandelt wurde.

Auf dem Stadtplan macht die Kladdinger Straße den Eindruck eines Feld-und Wiesenweges. Grolland-Unkundige würden kaum vermuten, daß auf dieser Route täglich mehr als 12.000 Kraftfahrzeuge zwischen Stuhr und Bremen verkehren. Der Schleichweg westlich der Ochtum, dessen Verlängerung auf bremischem Territorium die Nordenländer Straße ist, hat sich beim Durchgangsverkehr, der sonst auf die B 75 oder die Kirchhuchtunger Landstraße angewiesen wäre, längst eingebürgert. Leidtragende sind die AnwohnerInnen, denen das gestiegene Verkehrsaufkommen rund um die Uhr die Ruhe raubt. Zu „Spitzen„-Zeiten donnert alle zwei Minuten ein 7,5 Tonnen -LKW durch das reine Wohngebiet.

Der Grenzübergang zwischen den Ländern Bremen und Niedersachsen beschäftigt schon seit Jahren die hohe Politik. Im Juni

1982 garantierte der damalige Bürgermeister Koschnick dem Noch-Ministerpräsidenten Albrecht eine tägliche Verkehrs -Frequenz von 7.000 Kraftfahrzeugen. Später intervenierte der niedersächsische MdB Peter Würtz (SPD) beim Bremer Senat gegen bevorstehende Verkehrsberuhigungsmaßnahmen an der Norderländer Straße. Ob seine Einmischung ausschlaggebend war, blieb ungeklärt. Die Pläne allerdings, die vom Stadt -und Polizeiamt vorgelegt wurden, verschwanden auf Anweisung von oben wieder in der Schublade.

Das Verwaltungsgericht unter Vorsitz von Richter Kliese hatte gestern zu entscheiden, ob der Senator für Inneres bei seinem Widerspruchsbescheid gegen die AnwohnerInnen seinen „Ermessensspielraum“ rechtmäßig genutzt hat. Argumentiert hatte die Behörde damit, daß die Norderländer Straße keine „reine Wohnerschließungsstraße“ sei, Tempo 30 den Verkehr nicht verringere und außerdem die polizeiliche Überwachung restriktiver Regeln nicht zu gewährleisten sei. Erhebliche Zweifel an diesen Begründungen machten die Richter deutlich. Sie zitierten aus amtlichen Schreiben (Senatsdirektor Bau: „Bremen aber hat diese Straßen nur für den Anliegerverkehr geplant.“) und ließen anklingen, daß der Innensenator den Charakter der Straße wohl falsch einschätze.

Auch die von der Innenbehörde angeführten Vergleichsstraßen hielt Richter Kliese für „fragwürdig“. Als Kern der Verhandlung aber entpuppte sich besagter „Vertrag“. Zu prüfen ist bei der Fortsetzung, so die Richter, ob sich der Innensenator bei seiner Entscheidung an diesen Vertrag gebunden gefühlt hat. An einen Vertrag, der mit einem nicht -zuständigen Partner geschlossen wurde und deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach rechtlich unzulässig ist.

Andreas Hoetzel