: Sozialismus-betr.: "Marxismus und Demokratie", taz vom 3.8.89
betr.: „Marxismus und Demokratie“, taz vom 3.8.89
Mit großem Interesse habe ich das mir leider erst vor kurzem auf Umwegen zugestellte Interview mit dem Sozialphilosophen Svelozar Stojanovic gelesen. Leider ist eine öffentliche Auseinandersetzung über die im abgedruckten Gespräch aufgeworfenen Probleme derzeit in der DDR noch nicht möglich, zumal die entsprechenden Texte - inklusive Ihrer, aber auch anderer wichtiger Tageszeitungen - gar nicht zugänglich sind. Das ändert nichts an der real existierenden Problematik.
Nicht erst angesichts des jetzigen Ausreisestroms gewinnt die Frage zunehmend an Dringlichkeit, was den Sozialismus so er denn einer ist - für viele so unattraktiv erscheinen läßt. Als grundsätzlich falsch kann das „Projekt Sozialismus“ sicher nicht gelten, was die bisherigen Errungenschaften unter anderem auf dem Gebiet der sozialen Sicherung hinreichend beweisen. Aber es bedürfte in der DDR unbedingt eines erheblichen Erneuerungsschubs wie in der UdSSR unter Gorbatschow oder in Polen und Ungarn.
Den Marxismus als eine zentrale geistige Grundlage des Sozialismus halte ich nach wie vor für aktuell. Es kommt aber darauf an, wie die Grundlagentexte interpretiert werden. Um die Stagnation der gegenwärtigen Perioden in der DDR zu überwinden, bedürfte es grundlegender Wirtschaftsreformen, eines höheren Lebensstandards der Bevölkerung und der Garantie von Freiheitsrechten, da gerade in einer sozialistischen Gesellschaft „Demokratie“ als qualitativer Begriff kein Fremdwort sein darf.
Dr.Martin Seydewitz, Dresden
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