: Egoistischer Konservativismus-betr.: "'Heim ins Reich' - oder was?", taz vom 29.8.89 und "DDR muß dritten Weg gehen", taz vom 30.8.89
betr.: “'Heim ins Reich‘ - oder was?“, taz vom 29.8.89, und „DDR muß dritten Weg gehen“, taz vom 30.8.89
Ich bin erstaunt und entsetzt, wie radikal Brüggen, zuvor Lohauß und zum Teil auch Momper ihre Masken haben fallen lassen, worunter sich allein fantasieloser, egoistischer Konservativismus verbirgt. (...) Man mißtraut den Deutschen, wie Adenauer. Man oktroiert den Deutschen in der DDR eine Sonthofen-Strategie, wie Franz-Josef Strauß. Man verbietet die freie und basisdemokratische Entscheidung bezüglich pro und contra der deutschen Einheit, wie Stalin. Man will Wohlstand nur für sich, nicht mal wie Erhardt. Die BRD gehört uns, rufen diese Urenkel Adenauers aus AL und teilweise auch aus der SPD.
Irrtum, die BRD gehört allen Deutschen, die zwischen Rhein und Oder samt ihren Nachkommen gleich viel und gleich wenig schuld an Hitler, Auschwitz und dem verlorenen Verbrecherkrieg sind. Denn, ansonsten ist und bleibt die BRD ein großer Wirtschaftsflüchtling aus der deutschen Geschichte.
Adenauer, Ulbricht, Honecker, Filbinger, Globke und Co. verdrängten die Vergangenheit und machten den Kalten Krieg, dessen Ergebnis die Grenzen von '49, Nato und Warschauer Pakt sind. Die AL-Urenkel beten heute den Kalten-Kriegs -Status-Quo von 1949 an und sind damit ungewollt als Gestrige die ungleichen Brüder der Reaktionäre, die völkerrechtswidrig die Grenzen von '37 fordern. Zur Klarheit: Die Grenzen von 1945 um Deutschland sind irreversibel und von uns allen nicht anzutasten.
Wer aber auf Teufel komm raus, autoritär a la Bismarck die reaktionäre DDR erhalten will - Honecker, AL und Momper als weiße Revolutionäre von oben - und wer sich an die Grenzen des Kalten Krieges in Deutschland von 49 rückwärtsgewandt klammert, der überwindet nicht den Kalten Krieg, sondern wird aus blinder Rachgier gegen die Großväter der fünfziger Jahre zu dessen Vollstrecker, zum Vollstrecker Stalins, Ulbrichts und Adenauers.
Offenheit, Mut und dialektisches Denken sind gefragt: Region, Nation und Europa müssen in einer gesamteuropäischen Friedensordnung miteinander vereint werden.
Die Politik der kleinen Schritte mit der SED ist zur Zeit noch wichtig. Aber soll dies zu reiner Machtpolitik degenerieren - Momper und Papa Honecker entscheiden in Leipzig was aus Deutschland werden soll? Die neue SPD und auch die andere Opposition in der DDR sollte nicht auf dem Altar des Kalten Krieges und der alleinseligmachenden SPD -SED-Kooperation geopfert werden. Die Geschichte ist ein offener, dialektischer Prozeß. Reaktionäre von rechts und Erzkonservative von links, laßt sie offen! (...)
Wieland Niekisch, SO 36
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