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Von Tempeln und Töpfen

■ Schwierigkeiten beim Übersetzen der Gedichte von Jannis Ritsos, III. Teil

Eberhard Rondholz

Wer einmal auf der Insel Kreta gewesen ist, wird sich vielleicht jener riesigen, manchmal übermannshohen Vorratsbehälter aus Ton erinnern, wie sie aus minoischer Zeit im Palast von Knossos zu bewundern sind. Pithoi nannte man sie. Die Neugriechen nennen diese Gefäße pitharia, und es gibt Dörfer auf Kreta, wo man solche pitharia noch heute herstellt, wenngleich immer mehr Imitate aus ziegelrot eingefärbtem Plastik anzutreffen sind. Doch wo man diese Riesenbehälter für Oliven oder Öl noch heute aus Ton fertigt, da geschieht dies noch nach der gleichen Methode wie vor mehreren tausend Jahren. Da der Töpfer Gefäße dieser Größe nicht in einem Stück drehen kann, wird ein pithari in mehreren Etagen angefertigt, werden die Einzelteile dann übereinandergestellt und die Fugen zwischen den einzelnen „Stockwerken“ mit Tonwülsten überdeckt und dieselben anschließend bei drehender Töpferscheibe gerillt - es entstehen die sogenannte zounaria, eine Art Gürtel, mehrere übereinander.

Ich habe diesen Gegenstand so ausführlich beschrieben, weil er in einem Gedicht des griechischen Lyrikers Jannis Ritsos eine Rolle spielt und weil sich hier zugleich Schwierigkeiten beim Übersetzen seiner Gedichte exemplarisch demonstrieren lassen. In dem Gedicht Monemvassiotinnen ist an einer Stelle von einer Eule die Rede, die eingesperrt ist in einem polizounaro pithari, einem pithos mit vielen Gürteln. In einer deutschen Übersetzung dieses Gedichts ist nun aus diesem großen, schönen Tongefäß ein kleines Küchenutensil geworden, mit einer Strippe drumherum: ein „zugeschnürter Topf“. Nun mag man dies für eine Belanglosigkeit halten - Topf oder pithos, auf die Eule kommt's an. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Ritsos, der Dichter, hat den Ausdruck polizounaro pithari gewiß nicht allein der Vokalharmonie und der Alliteration wegen eingeführt, auch nicht des homerischen Anklangs wegen. Nein, es geht auch um ein Bild, es geht um Wörter und Sachen, und die Sache ist eben hier ein sehr schöner, in Griechenland langsam aus dem Gebrauch verschwindender Gebrauchsgegenstand, zugleich ein Stück antike Überlieferung, das verschwindet. All das schwingt hier mit, und die Verwandlung dieses Gegenstands in irgendein beliebiges Gefäß, die Banalisierung des Bildes (die noch dazu auf einem Mißverständnis beruht, denn wie es scheint, hat der Übersetzer hier das Wort Gürtel wohl als ein Instrument zum Zubinden begriffen, das die Eule an der Flucht hindern soll), sie nimmt dem Leser allzuviel weg, der auch das alte Griechenland im Sinn hat, nicht nur die Mythen, sondern auch die Realien, wenn er seinen Ritsos liest.

Die Rede ist von einer kürzlich erschienenen neuen Auswahl von Ritsos-Gedichten, übertragen von Armin Kerker. Und leider weist diese, im Hanser-Verlag unter dem Titel Unter den Augen der Wächter zum 80.Geburtstag des Dichters erschienene Anthologie ähnliche Mängel auf, wie der erste Versuch desselben Übersetzers, den Deutschen Ritsos näherzubringen - ich meine die im Rotbuch-Verlag erschienene ältere Sammlung Steine, Wiederholungen, Gitter.

In ihrer Mehrzahl haben die in der Anthologie der Reihe Edition Akzente des Hanser-Verlags enthaltenen Gedichte schon in deutschen Übertragungen vorgelegen, auf die der Übersetzer zurückgreifen konnte. Hier beschränken sich denn auch seine Fehler im wesentlichen auf die in den Übersetzungen anderer vorgefundenen. So werden etwa in der Übertragung des Langgedichts To kapnismeno tsoukali („Der rußgeschwärzte Topf“), abgedruckt in dem im Verlag Stroemfeld/Roter Stern erschienenen Band Gedichte von Jannis Ritsos, an einer Stelle, wo es dem Dichter darum geht, die Einheit der Arbeiter, der Bauern und der Intelligenz anzusprechen, die spoudastes, die Studenten, mit „Lehrlinge“ übersetzt. Jetzt finden sich diese falschen Lehrlinge auch in Kerkers Hanser-Anthologie wieder. Es finden sich hier auch jene „Berggipfel“ wieder, in die die Übersetzer des 1979 im Hanser-Verlag erschienenen Ritsos -Bandes Milos geschleift die karaoulia, die Wachtposten, in dem Gedichtzyklus Romiossini verwandelt haben. Hier wäre der Blick in das griechische Original hilfreich gewesen.

Doch hilft auch das nicht immer. Wenn einer die griechischen Wörter palmos und palami, Pulsschlag und Handfläche verwechselt, dann kann es eben passieren, daß (ein unfreiwillig surrealistisches Bild) in dem Zyklus Die Viertel der Welt die „Handflächen des Weltalls“ gezählt werden, nicht sein Pulsschlag, wie es bei Ritsos ursprünglich hieß. Auch andere unfreiwillige Surrealismen können entstehen, wenn der Übersetzer auf das bewährte Hilfsmittel einer zuverlässigen Interlinearübersetzung verzichtet, dann aber, auf sich selbst gestellt, die Passivform des griechischen Verbums nicht vom Aktiv zu unterscheiden in der Lage ist: Wer sich bei der Lektüre des Gedichts Monemvassiotinnen darüber wundert, wenn es von den ehrwürdigen Greisinnen heißt, „ihre Haare regneten auf den Strand“, so sei er versichert, von Haarausfall ist bei Ritsos hier nicht die Rede - die Haare der alten Frauen werden feucht am Meeresgestade, hat er gesagt.

Eine wichtige Voraussetzung für die richtige Übertragung der Gedichte von Jannis Ritsos sind Grundkenntnisse antiker Geschichte und Mythologie. So ist in dem Gedicht stichia tavtotitos („Personalien“ vom Übersetzer ungenau mit Ausweispapiere übertitelt) von der hipogeia Kore, der unterirdischen Kore die Rede. Wenn der Übersetzer dies mit einem leicht schlüpfrigen „Souterrainmädchen“ eindeutscht, dann scheint ihm wohl entgangen zu sein, daß es sich bei der von dem Dichter nicht zufällig mit einem großen K geschriebenen Kore nicht schlicht um das neugriechische Wort kori für Tochter (gelegentlich auch im Sinne von Mädchen gebraucht) handelt, sondern um den Beinamen der von Pluton in die Unterwelt entführten Demeter -Tochter Persephone. Es ist eben unumgänglich, bei der Übersetzung neugriechischer Gedichte auch auf Anspielungen aufs alte Griechenland zu achten, das antike Erbe ist für den griechischen Dichter nun einmal vertrautes Gelände und sollte es auch für den Übersetzer sein.

Verkürzt der Übersetzer in der Regel Ritsos‘ Gedichte um ihre antiken Bezüge, so stellt er mitunter aber auch solche Bezüge her, wo es sie gar nicht gibt. So leitet sich zwar das neugriechische Wort iroo vom altgriechischen Heroon ab, was zum Beispiel ein Heidentempel sein konnte, heute aber heißt es nichts anderes als Ehrenmal, und jenes bescheidene Denkmal für die gefallenen Widerstandskämpfer des 2.Weltkriegs, von dem Ritsos in dem Gedicht Die Viertel der Welt spricht und das aus einem schlichten Holzkreuz auf einem Sockel aus gekälkten Steinen besteht, ist nicht schon deshalb ein „Tempel“, wie Kerker übersetzt, weil es in Griechenland steht.

Mag sein, daß der Übersetzer die durch seine eigenen übersetzerischen Fehlleistungen erzeugten grotesken bis abstrusen Bilder für vom Dichter beabsichtigt gehalten hat, für „surrealistisch“. Nun gibt es in der Tat bei Ritsos gelegentlich Verse in surrealistischer Manier, auch setzt er manchmal das Groteske und den Anachronismus als Mittel der Verfremdung ein. Aber es bedeutet ja auch Surrealismus in keinem Fall Beliebigkeit der Bilder, er dispensiert nicht von der Sorgfalt im Umgang mit dem Wortschatz des Originals. Zum anderen ist Ritsos im großen und ganzen durchaus kein Surrealist. Zumeist werden in seinen Gedichten Geschichten erzählt, wird Geschichte vergegenwärtigt, und hier kommt es darauf an, besonders genau zu sein. Der Übersetzer muß wissen, worum es geht, bevor er sich daran macht, anderen näherzubringen, was sie im Original nicht lesen können. Und der absolut wurschtige Umgang, den dieser Übersetzer mit dem Original pflegt, geht nun wirklich etwas zu weit. Wenn er etwa das Wort vammeno, gefärbt, mit „deckenartig“ übersetzt; wenn ein Revier zum „Bataillon“ wird, weil der Übersetzer die Wörter tmima und tagma verwechselt; wenn eine lampada, eine Altarkerze, auf deutsch zur „Lampe“ wird, weil's so ähnlich klingt; wenn er die Sonne an die Zeit nagelt, während Ritsos sie am Raum befestigt sehen will; wenn er Fensterscheiben einschlägt, wo Ritsos nur dagegen klopft; wenn er in einem Gedicht für Konstantin Kavafis dessen von Ritsos durchaus nicht zufällig erwähnte Heimatstadt Alexandria einfach wegläßt; wenn Ritsos in den Vierteln der Welt die bengalischen Feuer des blühenden Granatapfelbaums im österlichen Garten entzündet und der Übersetzer (die griechischen Wörter rodia undrodon verwechselnd) aus den Granatapfelbäumen Rosen macht und damit (an die Bedeutung des Granatapfelbaums in der antiken Mythologie wie an seine Rolle in der modernen mediteranen Lyrik, zum Beispiel bei Frederic Mistral und Paul Valery und nicht zuletzt bei Odysseas Elytis, sei hier erinnert) mehr zerstört als nur ein schönes Bild - vor allem aber dieses: Wer einmal einen blühenden Granatapfelbaum gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist; wenn er, als letztes Beispiel aus einer noch viel, viel längeren Reihe, das Wort oreo, schön, mit „monströs“ übersetzt.

Derlei Monströsitäten hat der Übersetzer nach seinem so schlimm gescheiterten ersten Versuch, Ritsos zu übersetzen, damit erklärt, er habe sich in Kamerun befunden, als er ihn unternahm. Wo er diesmal war, hat er noch nicht bekannt gemacht, jedenfalls aber scheint er ein brauchbares Lexikon nicht mitgeführt zu haben. Und er glaubt wohl auch, darauf verzichten zu können, denn, so hat er unlängst kundgetan, ein falsch übersetztes Wort zerstöre noch nicht unbedingt ein gutes Gedicht. Und hat dann den Gegenbeweis gleich vieldutzendfach angetreten. Die Verwandlung von der SS erschossener Geiseln in eine nichtssagende Jahreszahl (in dem Gedicht Und davon berichtend aus dem Zyklus Wiederholungen) war da nur ein besonders schmerzliches Beispiel.

Übersetzerische Fehlleistungen wie die geschilderten können weitreichende Folgen haben. Die meisten Leser merken ja nichts von der Verfälschung des Originals, und es werden derartige Übersetzungen in der Regel für die richtigen gehalten, und nicht nur das - sie können gar zu regelrechten Topoi avancieren: In einer Rezension des Ritsos -Bändchens in der 'Süddeutschen Zeitung‘ heißt es an einer Stelle, der Dichter habe in der hitzeflimmernden Öde der Straflager auf den Inseln Makronissos, Jaros und Leros den „Kode des Steins“ zu entziffern gelernt. Diesen „Kode des Steins“ hat die Rezensentin in der Übersetzung des Gedichts Legenden aus dem Zyklus Monemvassia vorgefunden. Dort ist die Rede von der wechselvollen Geschichte der südpeloponnesischen Festung, unter anderem von den Umständen ihrer Befreiung aus türkischer Hand im Jahre 1821, sowie von der schriftlichen und mündlichen Überlieferung dieser Geschichte, von drei Chroniken und drei kodikes. Mit kodikes aber sind hier nicht etwa irgendwelche Geheimschriften gemeint, wie der Übersetzer irrtümlich vermutet, sondern Kodizes, Handschriften, verschiedene überlieferte Varianten ein und desselben Textes, hier: drei Varianten der mittelalterlichen Chronik Über die Gründung von Monemvassia, die in einer Turiner Handschrift (Codex Taurinensis) sowie zwei Handschriften vom Berg Athos überliefert ist. Der in dem Gedicht angeführte kodikas tis petras, der Kodex des Steins, ist hingegen eine von Ritsos erdachte „ungeschriebene Handschrift“, wobei der Stein jenen Felsen symbolisiert, auf dem die Heimatstadt des Dichters, Monemvassia, erbaut ist. Aber was soll's, irgendwann werden wir vielleicht, diesen Fakten zum Trotz, den Topos vom „Kode des Steins“, den Ritsos im Konzentrationslager entziffert, in einer Literaturgeschichte als Leitmotiv wiederfinden.

Jannis Ritsos, Unter den Augen der Wächter, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Armin Kerker, Hanser -Verlag, 145 Seiten, 26 DM

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