: Fiktive Realität
■ V O R L A U F
(Bericht von einem verlassenen Planeten, 22.20 Uhr 3sat) Was würden Außerirdische wohl denken, wenn sie uns Erdlinge bei unseren wahnwitzigen Verhaltensweisen beobachten könnten? Peter Krieg, der engagierte Dokumentarfilmer, hat diese Sichtweise in seinem 1984 entstandenen Film durchgespielt: Die Forscher eines fiktiven Planeten haben die Aufgabe, intelligentes Leben auf anderen Planeten aufzuspüren und stoßen dabei auf einen bewohnten Himmelskörper, dessen Bürger tatkräftig dabei sind, ihre eigene Umwelt zu zerstören. Obwohl er „jede Ähnlichkeit mit lebenden Planeten“ als rein zufällig ausgibt, sind die Bezüge zum Planeten Erde und ganz konkret zur Bundesrepublik Deutschland gezielt und unübersehbar. Kriegs pessimistisches Abblild unserer Zivilisation, die an ihrer eigenen Technisierung, an Kriegen und Wohlstandsmüll zugrunde zu gehen droht, wirkt heute angesichts gerodeter Regenwälder, sterbender Robben und roter Algenteppiche im Meer realistischer denn je.
Kurz nach seiner Fertigstellung erhielt die angriffslustige Dokumentation noch eine ganz andere Brisanz. Im Expose für den Film entwarf Krieg ein Szenario, das auf kuriose Weise Realität wurde: Eine „Zensurbehörde für kulturelle Sicherheit“ lehnt nämlich die Veröffentlichung des Materials mit der Begründung ab, Teile des Films legten den Schluß nahe, „es handele sich nicht um die Erde, andere Teile ließen jedoch keine Zweifel offen, daß es sich doch um einen Bericht über unseren Planeten handelt“. Tatsächlich hatte das Innenministerium unter Friedrich Zimmermann dem Filmemacher Krieg die letzte Rate der zuerkannten Filmförderung mit der verqueren Begründung verweigert, es handele sich trotz der durchweg fiktiven Sehweise nicht um einen Spielfilm, sondern um eine Dokumentation, die eine so hohe Förderungssumme (eine Viertelmillion) nicht verdiene. Zimmermann, der dafür bekannt ist, persönliche Geschmackskriterien gerne zum Maßstab der ohnehin umstrittenen Filmförderungspraxis seines Ministeriums zu machen, hatte hier nach Herbert Achternbusch ein neues Opfer für seinen „Kulturkampf“ gefunden. Nichtsdestotrotz erhielt Peter Kriegs Film von der Filmbewertungsstelle das Prädikat „besonders wertvoll“. Heute abend können die verkabelten Fernsehzuschauer sich noch einmal im ZDF-Kulturkanal von dem realen Wert des Werkes überzeugen.
utho
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen