: Ein Kind auf der Straße
Ben Johnson, anaboles Steroid aus Kanada, verliert nachträglich seinen 100-Meter-Weltrekord von Rom ■ PRESS-SCHLAG
Goldmedaillen gewann er gleich pfundweise, aber ein Weltrekord war dem besten Leichtathleten des letzten Jahrzehnts, Carl Lewis, bislang nie vergönnt. Im Weitsprung fehlten ein paar Zentimeter, über 200 Meter waren es ein paar Hundertstel zu viel, und über 100 Meter lief einer schneller: Ben Johnson aus Kanada. Der aber wurde in Seoul des Dopings überführt, gab vor einem Untersuchungsausschuß in Toronto zu, sich seit 1981 bis zu den Haarwurzeln mit anabolen Steroiden vollgepumpt zu haben und verhalf dem verhaßten Kontrahenten vieler Laufduelle, dessen Wortgewandtheit und Eleganz er ohnehin immer nur auf der Tartanbahn etwas entgegenzusetzen hatte, nun doch noch zu seinem Rekord.
In Barcelona beschloß der Internationale Leichtathletik -Verband (IAAF) in gewohnt chaotischer Manier seine umstrittene „Lex Johnson“: Alle Athleten, die zugeben, ihre Leistungen durch die Verwendung von unerlaubten Mitteln erzielt zu haben, verlieren rückwirkend für sechs Jahre ihre Titel und Rekorde. Damit ist Ben Johnson seinen Weltmeistertitel von Rom 1987 über 100 Meter und den zugehörigen Weltrekord von 9,83 Sekunden los. Neuer Weltmeister ist Carl Lewis, der mit seinen 9,92 von Seoul außerdem neuer Weltrekordhalter wird.
„Der Beschluß ist klar“, behauptete IAAF-Council-Mitglied Kirsch, eine Meinung, die nicht unbedingt alle Delegierten teilten. Der tendenziell selbstherrliche IAAF-Präsident Primo Nebiolo hatte die von ihm favorisierte Entscheidung zuerst überraschend per Akklamation fällen lassen. Nachdem alle eifrig geklatscht hatten, erklärte er die Sache für erledigt, aber vielen Delegierten war gar nicht so recht klar, warum sie eigentlich geklatscht hatten. Als es ihnen aufging, protestierten sie heftig. Am Nachmittag ließ sich Nebiolo dann herab, eine zweite Abstimmung durchzuführen, was am Ergebnis aber nichts änderte. 107 der 137 anwesenden Mitgliedsländer bestätigten die neue Verordnung.
Streit gab es vor allem über die rückwirkende Gültigkeit der Regel. Vertreter des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) verwiesen auf deutsches Recht, demzufolge niemand für eine Delikt bestraft werden könne, für das es zum Zeitpunkt der Tat kein Gesetz gegeben habe. DLV-Sportwart Manfred Steinbach lamentierte gar geistverlassen und voller Mitgefühl für den armen Sünder, hier werde „ein Mann enteignet“. Andere, vor allem die Länder der Dritten Welt, argumentierten eindeutig fundierter. Sie machten geltend, daß es sich wohl kaum um eine Strafe handle, wenn Leistungen, die eingestandenermaßen mit irregulären Hilfsmitteln erzielt worden seien, nicht gewertet würden. „Wir müssen der Welt deutlich machen, daß die Leichtathletik scharf gegen Doping vorgeht und daß unsere Medaillen sauber sind“, sagte der Kubaner Alberto Juantorena, in dessen heimischer Vitrine selbst zwei Goldmedaillen (1976 über 400 und 800 Meter) verstauben. Die DDR schwieg still, was Steinbach mit untrüglichem Gespür für das Böse in der Welt als „Schuldbekenntnis“ empfand.
Der Nutznießer des ganzen Brimboriums hatte schon vor einigen Wochen beim Berliner ISTAF seiner Genugtuung über die geplante Regelung Ausdruck verliehen. „Ich bin dafür, Ben den Rekord wegzunehmen“, sprach Carl Lewis, „nicht weil ich ihn dann bekomme, nicht, um ihn zu bestrafen, sondern weil wir dadurch ein Zeichen setzen.“ Um den Ruf des Sports wieder zu verbessern, sei es unerläßlich, daß die Leute wissen, daß der schnellste Mensch der Welt „so sauber ist wie ein Kind auf der Straße“. Und ein treuherziger Blick in die Runde ließ nicht den geringsten Zweifel daran, wer für ihn die Idealbesetzung dieser Rolle des blütenreinen Musterathleten ist.
Matti
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