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Warum denn ein Daimler, wenn doch ein Golf genügt?

Hartwig Berger (AL) und Wilfried Boysen (Verein „Energie und Arbeit“) stellen eine Alternative zur Bewag-Stromtrasse vor  ■ D O K U M E N T A T I O N

Ein Senat, der ökologische Politik betreiben will, muß den Willen und den Mut haben, sich gegen die Bewag zu wehren. Er muß alles daransetzen, diesen Stromlieferungsvertrag in Berlin nicht Wirklichkeit werden zu lassen. Das war und ist die Position der AL, das ist, so hoffen wir, auch weiter Ziel der Öko-Linken in der SPD. In den Wahlprogrammen von 1988 kamen einmal beide Parteien in der Ablehnung des Bewag -Stromverbundes überein; die Überprüfung „und gegebenenfalls Kündigung“ des Vertrages wurde ein wesentlicher Bestandteil des rot-grünen Koalitionspartners. Wie bekannt, droht derzeit eine umgekehrte Entwicklung.

Wir meinen, daß es einen Ausweg gibt, der einerseits den Stromlieferungsvertrag akzeptiert, andererseits den Größenwahn der Bewag stoppt und eine ökologische Energiepolitik in Berlin noch möglich macht.

Runter mit dem

Höchstspannungswahn

Mit einer Höchstspannungsleistung von 380.000 Volt, die die Bewag bauen will, kann sie Strom bis zur Grenzleistung von zweimal 1.600 Megawatt in Berlin empfangen, fast das Doppelte der Lastspitze im Stromverbrauch. So dimensioniert, ist die Trasse klar auf gezielten Stromzuwachs angelegt. Auch wird die Bewag es nicht bei einer Trasse belassen. Wenn sie mit Höchstspannung in Berlin reingeht, braucht sie zum Netzausgleich weitere Leitungen mit 380 Mille. Schon jetzt plant sie eine Trasse von Tiergarten über Wilmersdorf zum Kraftwerk Reuter im Spreetal. Außerdem macht eine Leistung mit 1.600 Megawatt Leistung die Stromversorgung der Stadt auch extrem anfällig. Um sich gegen den Ausfall der Stromzufuhr abzusichern, wird darum die Bewag über kurz oder lang eine weitere Höchstspannungstrasse von Helmstedt bis Berlin bauen wollen. Vielleicht schmücken dann zur Jahrtausendwende 70Meter hohe Stahlmasten auch den Grunewald...

Die Bewag verweist immer auf den ungewöhnlichen Fall eines Inselnetzes in Berlin, will ihn aber durch einen neuen Sonderfall ersetzen: Berlin wäre die erste und einzige deutsche Stadt, die den Riesenbau einer Höchstspannungsleitung in ihr Stadtgebiet zuläßt. Rot-grün wäre, Altlast hin und her, in diesem Irrsinn bahnbrechend.

Der Senat kann diesen zerstörerischen Größenwahn stoppen, wenn er die zulässige Spannung der Bewag-Leitung auf 110.00 Volt begrenzt. Damit kann die Bewag bei zwei Schaltsystemen maximal zweimal 200 Megawatt Stromleistung beziehen. Das reicht, um den für Berlin so nachteiligen Inselbetrieb aufzuheben, begrenzt aber zugleich die Liefermengen so weit, daß eine wachstumsorientierte Stromwirtschaft verhindert wird.

Stromverbund ja - aber anders

Entsprechend der geringeren Leistung sind auch die Umwelteingriffe der 110.000-Volt-Leitung geringer einzuschätzen. Über ein Abspannwerk (Turnhallengröße) sollte sie vor der Grenze in die Erde geführt werden. Die Baudurchführung der kleinen Lösung gefährdet den Grundwasserspiegel nicht, es erscheint möglich, das Kabel unter die Niederneuendorfer Allee zu legen und so den Wald zu verschonen. Die Streckenführung wird kürzer: schon nach eineinhalb Kilometern können die Erdkabel am Kraftwerk „Oberhavel“ in das bestehende 110.000-Volt-Netz der Bewag eingespeist werden. Das Superding, das der Energiekonzern haben will, müßte dagegen neun Kilometer lang bis zum Kraftwerk „Reuter“ führen.

Und da die Bewag ihre Kosten irgendwann wieder auf die Stromrechnungen der Haushalte abwälzt, ist auch folgender Vergleich interessant: Das Superding der Bewag kostet als Erdleitung 350 Millionen Mark, die kleine Lösung, auch unter der Erde, nur 40 Millionen.

Deutschlandpolitisch ist die Bewag-Trasse nur der Kuhhandel eines Unternehmens, das sich neue Märkte in der DDR erobern will. Eine sinnvolle energiepolitische Zusammenarbeit wird aus einem Stromverbund erst, wenn er als Nahverbund mit der DDR angepeilt ist. Ein kommunaler Netzverbund mit der DDR kann die Verbundleitungen des alten Berlins erneuern. Wenn er mit dem wechselseitigen Aufbau umweltverträglicher Stromerzeugung und gezielter Energieeinsparung zusammengeht, liegt der Nahverbund in der Linie ökologischer Politik. Mit der kleinen Lösung „110.000 Volt“ kann dieser Weg noch gegangen werden, da wir eine Leitung dieser Größe durch das alte Berliner Netz ergänzen können. Mit der Superleitung der Bewag dagegen ist die Option „Nahverbund“ verbaut.

Die 380.000-Volt-Trasse ist unser Alptraum. Die kleine Lösung „110.000 Volt“ ist gewiß nicht unser Traum. Aber sie wäre eine sinnvolle Alternative in einer Lage, wo der Stromlieferungsvertrag - und damit irgendeine Leitung politisch nicht mehr zu verhindern ist.

Ein Bewag-Vorstand auf Fahrrädern wäre uns lieber. Aber muß es ein Daimler sein, wenn ein Golf genügt?

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