: Prima Leben unterm Stiefel
Montagexperten kommen zu Wort: Stan Libuda d.J. ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
Mit zunehmender Sorge beobachtet die Kommission zur Förderung progressiver Delinquenz (KmmzrFrdprgDln) die sich in dramatischem Maße zuspitzende Hooliganfeindlichkeit in weiten Kreisen der westdeutschen und insbesondere der Berliner Bevölkerung. Gerade die Ereignisse der letzten Woche haben die schon seit langem aggressiv geführte Diskussion noch zusätzlich angeheizt: Sowohl die Stockholmer Boatparty einiger englischer Fußballfreunde wie auch das Fantreffen der Schalker Gelsenszene mit ihren Berliner Amtskollegen wurde von interessierten Kreisen zum Anlaß genommen, mit bisher in dieser Schärfe nicht vorstellbaren Haßtiraden eine bevölkerungspolitische Minderheit noch weiter in das gesellschaftspolitische Abseits zu drängen. Auch die KmmzrFrdprgDln bedauert zutiefst die Exzesse einiger Außenseiter und möchte in keinster Weise in den Verdacht geraten, den tragischen Übergriff auf einen Zivilbeamten zu entschuldigen oder verharmlosen zu wollen. Doch will die Kommission zugleich davor warnen, aufgrund des Verhaltens einiger schwarzer Schafe eine ganze Bevölkerungsgruppe zu kriminalisieren. Die Marginalisierung bestimmter Minoritäten kann sich als ernste Gefahr für unsere noch junge Demokratie erweisen - ganz abgesehen von den tiefen Gräben, die Familien entzweien und Freundschaften zerbrechen lassen. Deshalb ruft die KmmzrFrdprgDln alle progressiven und demokratischen Kräfte auf, sich der wachsenden Hooliganfeindlichkeit entgegenzustellen und hat Vorschläge für ein „Aktionsprogramm Hooliganverständigung (AktprgHlgVrs) ausgearbeitet. Im folgenden sind die für die Berliner Hooliganverständigung relevanten Paragraphen aufgeführt.
§6 Die besondere geopolitische, militärstrategische und kulturethnische Situation Berlins erfordert ein spezielles Hilfsprogramm, da die geringe Anzahl unter Hooliganaspekte interessanter Begegnungen zunehmend zu Frustrationserscheinungen und zu einem Abbau der Hooliganszene führt. Intensivkurse, Fahrtkostenerstattungen und großzügige tarifäre Regelungen (verlängerter Wochenendurlaub, Krankengeldzuschuß etc.) können schon in kurzer Zeit zu einem beträchtlichen Ausbau der Hooligankapazitäten beitragen. In strukturschwachen Gebieten (Nicht-Ruhrgebiet) müssen unverzüglich die Förderprogramm eines noch einzurichtenden Hilfsfonds wirksam werden. Das Nähere regelt §19b/III.
§6a Die verkehrstechnische Lage Berlins behindert in besonderem Maße die Fantreffen. Die kürzlich verabschiedeten Erleichterungen der Deutschen Bundesbahn (Berlin-Ticket) sind nicht ausreichend. Die Schaffung von Hooligan -Mitfahrzentralen (und Hooligan-Mitwohnzentralen) ist in dieser Hinsicht von vorrangiger Bedeutung. Auch läßt die Getränkedisposition der Deutschen Bundesbahn zu wünschen übrig.
§7 Die Transportmöglichkeiten vom Olympiastadion zur Gedächtniskirche bedürfen einer strukturellen Reform. Ansonsten ist das pünktliche Eintreffen der verschiedenen Fangruppen nicht gewährleistet, was sich in der Endbilanz der Fantreffen widerspiegelt. Zudem könnten über regelmäßige Anfangszeiten die Dispositionen sowohl der Deutschen Roten Kreuzes wie auch der Berliner Touristikbranche erleichtert werden. Die noch obligatorischen Wartezeiten für die Zuschauer aus Westdeutschland führen außerdem in zunehmendem Maße zu einem negativen Berlin-Image.
§8 In der spielfreien Zeit sind nationale und internationale Turniere zu fördern. Kriterien für die Einladungen zu diesen Turnieren sind noch zu entwickeln, doch erscheint der gemittelte Verletzungskoeffizient eine brauchbare Größe. Solange keine zuverlässigen Hooligantabellen existieren, ist das Deutsche Rote Kreuz gefragt.
§8a Im Sinne einer gerechten statistischen Erfassungen sind Verletzungen vor dem jeweiligen Fantreffen dem DRK zu melden. Verstöße werden mit Punktabzug geahndet.
§9 Über die Rolle der Polizei bei den Fantreffen konnte in der Kommission noch keine Einigung erzielt werden. Obwohl 88 es unbestreitbar ist, daß polizeiliche Abstinenz den Fantreffen viel von ihren Reizen nehmen würde, plädieren einige Kommissionsmitglieder für eine reine Beobachterrolle. Positiv wäre hier zu bewerten, daß über simulierte Verhaftungen (und eventuell sogar Verurteilungen) der gemittelte Verletzungskoeffizient (siehe §8) mit dem Delinquenzkoeffizienten verrechnet werden könnte. Andererseits verspräche gerade die Berliner Polizei sehenswerte Einsätze. Ein gesondert zu führende Polizei -Hooligan-Tabelle könnte so auch über einen erhöhten Konkurrenzdruck die etwas laschen westdeutschen Einsatzstäbe zu besseren Leistungen motivieren. Ob die verschiedenen Einsatzstäbe aber eigene Fußballmannschaften aufstellen dürfen, ist noch strittig.
In der Hoffnung einer schnellen Umsetzung des AktprgHlgVrs geht eine Kopie dieses Schreibens an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, das Deutsche Rote Kreuz und den Weltsicherheitsrat der UNO.
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