Kolumbien-betr.: Tagesthema auf Seite 2 und 3, taz vom 31.8.89

betr.: Tagesthema auf Seite 2 und 3, taz vom 31.8.89

In letzter Zeit erfahren wir aus den Medien viel über die Situation in Kolumbien. Es entsteht der Eindruck, daß die demokratische Regierung Barco sich den Angriffen einer skrupellosen und quasi allmächtigen Kokainmafia ausgesetzt sieht. Diese Einschätzung ist aber ungenau. Sie ist zudem gefährlich für alle jene, die gegenwärtig in Kolumbien mit dem Leben bedroht sind und auf den Schutz der internationalen Solidarität hoffen.

Gefährdet sind dabei keineswegs nur die RichterInnen, denen augenblicklich so viel Aufmerksamkeit zuteil wird: So gut wie alle Personen, die für gewerkschaftliche, politische, soziale und bürgerliche Rechte der kolumbianischen Bevölkerung eintreten, müssen um ihr Leben fürchten. Die Berichterstattung der letzten Tage hat wenig dazu beigetragen, über die Situation jener Menschen aufzuklären. Die vielfach - u.a. von amnesty international dokumentierte Beteiligung des Staates an Repression, Mord und dem Verschwindenlassen von Menschen wird nahezu völlig außer acht gelassen. Die Verantwortung staatlicher Stellen verdeutlicht die Zeugenaussage eines ehemaligen Polizisten auf erschütternde Weise (taz vom 31.8.89).

Der Konflikt in Kolumbien, dies wird klar, ist kein Kampf zwischen demokratischer Regierung und verbrecherischer Mafia. Er ist ein Kampf zwischen rivalisierenden Fraktionen einer Elite, in die der Kokainhandel längst auf vielfältige Art und Weise Eingang gefunden hat. Sicherheitskräfte und Todesschwadronen, PolitikerInnen, Industrielle, GroßgrundbesitzerInnen und DrogenhändlerInnen bilden ein komplexes Netz persönlicher Beziehungen und Abhängigkeiten. Aufgrund ihrer ungeheuren Finanzkraft ist die Kokainmafia ein wichtiger Bestandteil dieses Netzes. Ihr faschistisch-reaktionäres Denken entspricht dem von Teilen des Militärs und der GroßgrundbesitzerInnen. Ziel dieser Fraktion ist die Zerschlagung jeder - auch und vor allem der legalen - Opposition und die Verhinderung von Reformen. Sie befindet sich damit im Gegensatz zu einer zweiten Fraktion der Eliten, der die Regierung Barco zumindest teilweise zuzurechnen ist. Dieser Gruppe geht es um die Aufrechterhaltung der demokratischen Fassade Kolumbiens. Um einen tiefgreifenden Wandel zu verhindern, ist sie in bestimmten Situationen zu begrenzten Zugeständnissen bereit.

Die Ermordung des liberalen (aber nicht linken) Präsidentschaftskandidaten Galan ist ein Ausdruck des Konflikts innerhalb der kolumbianischen Führungsschicht. Betroffen sind aber besonders jene, die zuvor schon um ihr Leben und das ihrer Familien bangen mußten. Niemand weiß bislang, wieviele GewerkschafterInnen, BauernführerInnen und aktive Gemeindemitglieder unter den 14.000 Verhafteten der letzten Tage sind. Daß sich die Verhaftungswelle aber keineswegs nur gegen die Mafia richtet, ist bereits klar. Der Staat nutzt die Situation, um gegen unliebsame KritikerInnen vorzugehen. Über die großen Schlagzeilen der Agenturberichte dürfen wir deswegen das Schicksal der kolumbianischen Bevölkerung nicht aus den Augen verlieren.

Christian v.Haldenwang für die Kolumbiengruppe e.V. Tübingen/Nürtingen