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„Das einzige, was läuft, ist das Wasser“

Wolkenbruchartiger Auftakt des 5.Weltcups der Leichtathleten in Barcelona / Katalanische Patrioten und implodierende Monitore / Fidel Castros Kinderchen setzen die Akzente  ■  Aus Barcelona Nikolas Marten

Bunte Wimpel flattern an jedem rostigen Laternenmast der Stadt; Plakate pflastern die Wände der abgelegensten Hinterhöfe. Privatfunk, Fernsehen und Lokalpresse füllen Sendezeit und Seiten seit Wochen unkritisch mit Vorberichten über das Leichtathletik-Weltcup-Finale in Barcelona. Doch die freudig vorgefeierte Premiere des Olympiastadions, seit Wochen als wettbewerbsreif gepriesen, fällt nicht nur wegen des nach unten ausschlagenden Barometers buchstäblich ins Wasser. Ein Betreuer der DDR-Equipe formuliert sarkastisch und zutreffend: „Das einzige, was hier läuft, ist das Wasser.“

Als am Freitag um 18 Uhr die Eröffnungszeremonie beginnen soll, eilen hektisch Hundertschaften der Guardia Civil durch die naßgeregneten Katakomben des Stadionovals, während die Augen der Fünfzigtausend den Himmel nach königlichem Rotorengeknatter abtasten. Der hohlwangige Zeremonienmeister Juan Carlos I. verspätet sich nach guter hispanischer Gewohnheit um eine halbe Stunde. Als der Monarch nebst fürstlichem Anhang endlich in seiner Loge Hof hält, beginnt es zu schütten. Da ein Ministerium im letzten Augenblick die zugesagten Millionen für das Premierenfest verweigerte, bleibt es ein paar Schulklassen, von Sponsoren hübsch in Baumwolle verpackt, vorbehalten, mit Ringelreihen um farbige überdimensionierte Autoreifen, die Olympisches verheißen sollen, improvisierte Langeweile zu verbreiten.

IOC-Chef Samaranch und andere nette Offizielle wursteln sich durch die kastellanisch-katalanische Sprachenvielfalt, was eh keiner zur Kenntnis nimmt. Denn trotz eines übertriebenen martialischen Polizeiaufgebots - auf fünfzehn Besucher ein Knüppel-MP-Träger - war es mehreren tausend katalanischen Autonomie-Manifestanten gelungen, Trillerpfeifen, Fahnen und riesige Transparente ins Stadioninnere zu schmuggeln. Die glänzende Akustik des 1929 zur Weltausstellung eröffneten Bauwerks beweist sich bei dem lauten Aktions-Happening ein ums andere Mal. Auf halber Stadionlänge wird von den „grupos independendistas“ kamerafreundlich „Freedom for Catalunya“ proklamiert. Als Thronträger Don Juan es wagt, zu einem Gruß sein bourbonisches Mäulchen zu öffnen, erschallt ein Urpfiff von den versammelten katalanischen Lippen - deutlich jenseits der Schmerzgrenze.

Neben mir schaut Heide Rosendahl, ehemalige Olympiasiegerin und inzwischen in Sachen Blockbalkenpresse auf Weltreisen, fassungslos ins Rund. Und wirklich, man glaubt sich mehr auf der Abschlußkundgebung einer Großdemo denn bei einem Sportfest. Doch noch während der spanische TV-Kommentator die restlos verhedderte olympische Flagge beschwört, können die 300 Millionen TV-Glotzer in 96 Ländern mit dem Startschuß zur ersten Entscheidung das Ende der Tristesse feiern.

Nach 400 Metern und zwölf Hürden bei starkem Gegenregen freut sich Sieger David Patrick (USA) an seinen guten 48,74 Sekunden. Nur eine Stunde später ist es seine Frau Sandra, die über die gleiche Distanz neun Siegpunkte für das US-Team gewinnt. Klitschnass erklärt sie: „Ich dachte, David wird mich killen, wenn ich nicht auch gewinne.“

Auf der Pressetribüne hat inzwischen der Exodus begonnen. Der Wind dreht und offenbart, wozu ein Dach nicht gedacht ist - als Regentrichter. Binnen Minuten implodieren gut zwei Dutzend Monitore, und die Medienschar drängelt sich um die wenigen Bildschirme in ihrer Beton-Lounge. Einzig mit Plastiktüten ausgerüstete (der Schirmsponsor ist noch nicht gefunden) TV-Kommentatoren plappern weiter in die triefenden Mikrofone.

100 Meter Aquaplaning

Derweil müssen die in dieser Saison bisher so starken Renner vom afrikanischen Kontinent der Witterung mit unerwarteten Niederlagen über 800 und 10.000 Meter Tribut zollen. Herausragend am ersten Abend jedoch die Leistung des britischen Sprinters Linford Christie, der den US-Youngster und Weltjahresbesten Leroy Burrell in einer Aquaplaningschlacht mit 10,10 Sekunden niederringt.

Am Samstag endlich mediterranes Ambiente. Postkartenschön zeichnet sich unter dem „heiligen“ Berg Montjuic, auf dem das Gros der olympischen Anlagen errichtet wird, die Silhouette der im Smog schnaufenden Metropole ab. Wieder ist das Stadion gut gefüllt, obwohl die Blätter vom Tage seitenweise über das „Chaos“, „Desaster“ und die „Reinfälle“ lamentieren. Allen organisatorischen Mängeln und einem hilflos patriotischen Publikum zum Trotz, das penetrant nur den eigenen Aktiven Beifall zollt, werden fünf Jahresweltbestleistungen erzielt.

So verbessert Cornelia Oschkenat (DDR) über 100-m-Hürden ihre eigene Marke um vier Hundertstel auf 12,60 Sekunden. Kurz darauf liegen gleich die ersten vier 800-m-Läuferinnen unter der alten Bestmarke. In sensationellen 1:54,44 Minuten verweist die Kubanerin Ana Fidelia Quirot die favorisierten Sigrun Wodars und Doina Melinte auf die Plätze. Voller Pathos widmet sie später ihren Fast-Weltrekord dem „Chef und Vater der kubanischen Revolution, Fidel Castro, Vater von uns allen“.

Castrofideles Kuba

Auch sonst setzen die für das Amerika-Team startenden Zuckerrohr-Insulaner die Akzente des zweiten Tages. In 44,58 über die volle Stadionrunde läßt Roberto Hernandez die höher eingeschätzte Konkurrenz hinter sich, während Edgar Itt, bundesdeutsche Funktionärshoffnung in Sachen Medaillen, in 45,69 nur 7. wird. Doch besonders die Hochspringerin Silvia Costa, die nach über zwei Stunden Wettbewerb 2,04 Meter zwischen sich und den Tartanboden gebracht hat, erweckt die vor ihren Bildröhren dahindämmernde Presse: hektisch werden Standleitungen belebt, letzte Zeilen für Sonntagsblätter erfeilscht. Dreimal scheitert die castrofidele Hüpferin nur knapp an der neuen Weltrekordhöhe von 2,10 Meter.

Zuvor stellten die für Europa startenden westdeutschen Recken nur mit Heinz Weiß, in einen hübschen Latex-Einteiler namensgleicher Kolorierung gehüllt, einen Sieger. Sein Hammer landet nach 77,68 Metern Flug. Dafür können weder Olympiasieger Rolf Danneberg, mit 65,30 im Diskuswurf nur Dritter, noch die Fürther 4-kg-Kugelwuchterin Claudia Losch (20,10 Meter/3.) überzeugen. Unerschöpflich dagegen das Reservoir an US-Sprintern. Ein Quartett der Namenlosen verblüfft über 4x100 Meter mit der Zeit von 38,29 Sekunden der viertbesten in der ewigen Bestenliste; und das trotz verpatztem letzten Wechsel.

Während die Eingangstore den Stadioninhalt ausspeien, erregt sich der schon 33jährige Großbrite Sebastian Coe, Weltrekordler über 800 Meter, immer noch über einen Schubs von Weltmeister Abdi Bile aus Somalia, der ihm im 1.500 -Meter-Finish die Siegchancen raubte.

Weltcup-Stand nach dem zweiten Tag:

Männer: 1. USA 96 Punkte; 2. Europa 96; 3. DDR 85; 4. Afrika 78; 5. Großbritannien 77; 6. Amerika 59; 7. Oceanien 48; 8. Spanien 45; 9. Asien 44

Frauen: 1. DDR 86; 2. UdSSR 71; 3. Amerika 67; 4. Europa 66; 5. USA 57,5; 6. Asien 44,5; 7. Afrika 43; 8. Spanien 32; 9. Ozeanien 26

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