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Die Bekehrung der Opfer

Claude Lanzmann über die Affäre des Karmeliterklosters in Auschwitz  ■ D O K U M E N T A T I O N

Claude Lanzmann, Regisseur des Films „Shoah“, äußert sich erstmals zum Skandal des Karmeliterklosters auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz I. In einem zwischen der katholischen Kirche Polens, dem Vatikan und Vertretern der jüdischen Gemeinde geschlossenen Abkommen hatte sich die katholische Kirche verpflichtet, das Kloster bis zum Juli 1989 zu verlassen. Keine Religion sollte auf dem Ort der Shoah eine ständige Vertretung haben. Die Nonnen blieben, und der Primas Glemp sowie der Krakauer Bischof Macharski verlangen jetzt eine Neuverhandlung des Abkommens.

Werden die Karmeliterinnen Auschwitz verlassen?

Claude Lanzmann: Nein, ich glaube nicht. Die Juden haben den Kampf um das Kloster verloren, und selbst wenn sich meine Prognose als falsch erweisen sollte, selbst wenn die Karmeliterinnen sich zurückziehen, haben die Juden verloren: die bösartigen Juden werden die guten, unschuldigen Nonnen vertrieben haben. In Zukunft wird es aller Welt klar sein, daß die Juden gegenüber der Kirche kein Gewicht haben und die vermeintliche Macht des Judentums ein Mythos ist. Die Juden werden mit dieser Niederlage leben müssen. Man hätte diesen Streit nicht auf diese Weise auslösen sollen: Man schlägt keine Schlachten, die nur zu verlieren sind.

Hätten die Juden den Konflikt gar nicht erst führen sollen?

Doch natürlich. Damit kein Zweifel aufkommt: Die Errichtung eines Klosters in Auschwitz ist ein absoluter Skandal. Aber es ist nur ein Symbol. Das wahre Problem ist der polnische Antisemitismus, die Art und Weise, wie die Vernichtung der Juden von den Polen wahrgenommen wurde, nicht allein während sie stattfand, sondern auch danach. Durch den doppelten Einfluß der Priester und der Kommunisten, durch diese objektive Komplizenschaft wird das Wort Jude in Auschwitz seit vierzig Jahren kaum ausgesprochen, kaum geschrieben. Alles wird unter die Kategorie „Opfer des Faschismus“ oder „Martyrium des polnischen Volkes“ subsumiert.

Das wäre für Sie ein zusätzlicher Grund gewesen, gegen das Kloster anzugehen?

In meinem Film Shoah habe ich alles getan, um zu zeigen, daß die Vernichtung der Juden etwas vollkommen einzigartiges und spezifisches war. Der Tod durch Gas war den Juden, und nur den Juden, zugedacht. Mit einer Ausnahme 1944: den einigen zehntausend Zigeunern des Krematoriums V in Auschwitz. Es gab keine Polen, die vergast wurden. Das hat es nicht gegeben - außer natürlich, wenn sie Juden waren. Das Gas war für die Juden. In Shoah ist der polnische Antisemitismus offensichtlich. Er wirkt überall, genau wie heute. Ich verstehe nur schlecht, daß einige meiner jüdischen Freunde (die ich sehr schätze), die diesen Film gesehen haben und die tiefen Wurzeln des polnischen Antisemitismus kennen, ihre Zeit vertan haben, mit der polnischen Kirche und den polnischen Kardinälen zu verhandeln. Die Juden glauben an das Wort der Kardinäle; aber messen die Kardinäle ihrerseits einer Unterschrift Bedeutung zu, die unter einem Vertrag steht, der mit Juden geschlossen wurde?

Sie kritisieren prinzipiell die Verhandlungen?

Es hätte nicht verhandelt werden sollen; es hätte protestiert werden sollen. Nach Genf zu gehen und Abkommen zu schließen, war ein Fehler. Heute stehen die jüdischen Verhandler vor aller Welt als genasführte da. Sie haben keinerlei Möglichkeit, den Auszug der Karmeliterinnen durchzusetzen. In einer Kirche, die nicht monolithisch ist, finden sich Leute wie der Kardinal Decourtray (Erzbischof von Lyon, der für den Vatikan an den Genfer Verhandlungen beteiligt war, d. Red.), die das Abkommen realisieren wollen, und wiederum andere, die alles daransetzen, daß es nicht respektiert wird. Kardinal Glemp gehört dazu.

Warum liegt denen so sehr an der Anwesenheit der Karmeliterinnen?

Ich glaube, im Grunde geht es um eine Frage der Bekehrung. Was bedeutet das, ein Karmeliterkloster in Auschwitz? Daß die toten Juden konvertiert werden - die kollektive Erlösung. Die Kirche macht ihre Arbeit: Sie versucht zu bekehren, wie sie es immer schon getan hat, und wenn es nötig ist, dann bekehrt sie auch die Toten. Die Juden wollen weder bekehren noch sich bekehren lassen. Weil sie die lebenden Juden nicht bekehren kann, bekehrt die katholische Kirche die toten. Die Tatsache, daß der Papst Pole ist, spielt auch eine Rolle. Wahrscheinlich übertreibe ich sehr, aber Rom liegt heute nicht mehr in Rom. Rom ist dorthin umgezogen, auf polnischen Boden. Johannes Paul II. kann ruhig in Rom sein, der Vatikan ist in Auschwitz. Die Karmeliterinnen haben sich im Stammlager Auschwitz I eingerichtet; die Franziskaner besetzten in Birkenau das ehemalige Gebäude der Kommandantur - und von denen spricht niemand.

Was Sie sagen, ist schrecklich, weil Monseigneur Lustiger (der Erzbischof von Paris, d. Red.), selbst ein konvertierter Jude, eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen gespielt hat.

Der Papst wußte ganz genau, was er tat, als er Jean-Marie Lustiger zum Bischof von Paris und später zum Kardinal ernannte. Der Zusammenhang zwischen dessen Konversion Lustigers und der Ernennung ist unübersehbar.

Aber Monseigneur Lustiger selbst ist an der Nase herumgeführt worden durch Verhandlungen, an die er geglaubt hat?

Natürlich, aber alle nichtpolnischen Unterhändler wollten vergessen, daß Auschwitz in Polen liegt, daß es den Polen gehört, ihr Land ist und ihr Eigentum. Sie leben dort, und die ganze Erziehung durch Kirche und Kommunismus hat unglaubliche Spuren hinterlassen. Die Polen sind aufrichtig empört über die jüdischen Forderungen zu Auschwitz, sie finden sie maßlos übertrieben. Sie verstehen den Abscheu nicht, den die Juden gegenüber einem Karmeliterkloster in Auschwitz und all den Kreuzen dort empfinden. Sie verstehen es um so weniger, als der Papst kürzlich von der „Treulosigkeit der Juden“ gesprochen hat. Und das haben die Polen sehr wohl vernommen. Kurz darauf hat Johannes Paul II. natürlich einen anderen Diskurs gehalten und den Antisemitismus verurteilt. Er wechselt das Register, das ist normal. Der Papst ist ein großer Politiker. Und ein großer Politiker hat immer mehrere Eisen im Feuer. Was den Genfer Vertrag in diesem Zusammenhang betrifft: Können sich die Polen durch einen Vertrag gebunden fühlen, der mit „Untreuen“ abgeschlossen wurde? Da stoßen wir an die tiefen Gründe des christlichen Antisemitismus.

Während der Dreharbeiten von Shoah war ich wie gelähmt von der Stärke des polnischen Antisemitismus an den Orten selbst, wo die Juden gestorben waren. Die Polen müssen in ihrem Haß fortfahren, weil sie mit dem Wissen leben müssen, in ihren kleinen Dörfern bei völligem Bewußtsein den Abtransport der Hälfte ihrer Mitbürger in den Tod mitangesehen zu haben; weil sie ertragen müssen, danach die leeren Häuser der Juden besetzt zu haben. Deswegen ist der antisemitische Haß noch immer so lebendig, im Gegensatz zu dem, was Kardinal Glemp beteuert.

In einem Interview, das er kürzlich 'France Soir‘ gegeben hat, hat Monseigneur Glemp, ich zitiere: „eine Beziehung zwischen den Ereignissen um das Kloster und denen in Palästina“ hergestellt.

Das ist entscheidend. Der polnische Antisemitismus sagt: „Die Juden haben für den Tod Christi gesühnt.“ Das Volk des Gottesmords. Mördervolk. Warum spricht Glemp plötzlich von Israel? Weil sich in seinen Augen das mörderische Wesen der Juden in Israel wieder enthüllt. Seine Botschaft ist eindeutig: Die Juden waren die Mörder vor 2.000 Jahren, als sie Christus töteten, und heute töten sie die palästinensischen Kinder. Der tiefe Sinn dieser Erklärung des Primas von Polen ist, daß die Juden vierzig Jahre lang dank des Holocaust als Opfer durchgehen konnten. Heute deutet Glemp an, daß das ewige Wesen dieser Opfer der Mord ist. Das möchte Glemp sagen, und das ist tiefer Revisionismus.

(aus: L'Evenement du jeudi, Paris)

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