: Aufstieg und Fall von coop: Vom Consumverein zum Handelsriesen
■ Traditionsreiche Vergangenheit, abenteuerliche Expansion und zu schlechter Letzt eine Krisensitzung nach der anderen / Eine Chronologie der Ereignisse
Frankfurt (dpa/taz) - Der angeschlagene Handelsriese coop hat eine traditionsreiche Vergangenheit. Die Ursprünge reichen über 120 Jahre zurück. Im Jahr 1864 gründet der Stuttgarter Bankier Eduard Pfeiffer den „Consum- und Ersparnisverein“ und legt damit die Keimzelle für die Einkaufsgenossenschaften der Arbeiterbewegung. Ziel ist billiger Ein- und Verkauf für die unteren Einkommensschichten. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts etabliert sich die neue Handelsform mit dem Engagement der Gewerkschaften unter dem Markenzeichen „Consum“.
Nach 1945: Die „Konsumläden“ erhalten massive Konkurrenz von den aufstrebenden Selbstbedienungsketten amerikanischer Prägung und verlieren große Teile der Stammkundschaft.
1974: Die um das Überleben kämpfenden Konsumgenossenschaften schließen sich zusammen, wobei 100 unter das Dach der neugegründeten coop AG schlüpfen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als größter Aktionär schickt aus der Düsseldorfer Zentrale die rechte Hand von DGB-Chef Oskar Vetter, den 34jährigen Bernd Otto, in den Vorstand des neuen Unternehmens.
1979: Otto (39) rückt zum Chef der coop auf. Der machtbewußte Manager strafft einerseits die stark zergliederten Konsumgesellschaften und geht andererseits auf aggressiven Expansionskurs. Mit raschen Erfolgen kann er die Gewerkschaftsvertreter sowohl auf der Kapital- als auch auf der Arbeitnehmerbank beeindrucken. Dabei rückt er ideologisch vom Konzept der Gemeinwirtschaft ab und scheut nach dem Motto „von Marx zum Markt“ auch keinen Konflikt mit den Betriebsräten.
1985: Der DGB steigt aus und verkauft Ende des Jahres seine Beteiligung von 39 Prozent. Damit werden die Besitzverhältnisse für Außenstehende kaum noch durchschaubar. Die Kapitalmehrheit hält formal ein Geflecht von Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaften.
1986 bis 1988: Der Expansionskurs von „Alleinherrscher“ Otto führt zu einer Welle von Firmenkäufen. Nacheinander schluckt coop die Spielwaren Richter, die Schuhfilialisten Hush Puppies und Mayer Schuh Süd, SB-Warenhäuser und Baumärkte, zwölf Plaza-Märkte, Schlemmermeyer. Der große Sprung nach vorn in die Spitze des deutschen Einzelhandels war die Übernahme der Werhahn-Unternehmen Schade und Füllgrabe, Bolle und Schätzlein mit einem Gesamtumsatz von zwei Milliarden DM. Wegen Geldmangels wählt Otto dabei eine Pachtkonstruktion.
1987: Auf der Suche nach Kapital für seine ehrgeizigen Expansionspläne will sich Otto auch die Börse als Geldquelle erschließen. Aber die DG Bank, die Deutsche Bank und die Commerzbank winken als Konsortialführer für das unterkapitalisierte Unternehmen ab. Im Herbst 1987 bringt schließlich die deutsche Tochter des Schweizerischen Bankvereins (SBV) gemeinsam mit der Dresdner Bank 30,9 Millionen des Grundkapitals von 450 Millionen DM an die Börse. Der Verkaufskurs von 160 DM überschreitet in wenigen Monaten die Schwelle von 500 DM.
Okt. '88: Ein 'Spiegel'-Bericht über die undurchsichtigen Verhältnisse bei coop bringt den Stein ins Rollen: Zentraler Vorwurf ist die persönliche Bereicherung von Konzernchef Otto samt seinen Vorständen durch Verschachtelung und Vermögensverschiebungen im Unternehmen. Über Briefkastenfirmen und eine Holding sind wichtige coop-Teile ins Ausland verlagert.
Okt./Nov. '88: Gläubigerbanken, Staatsanwaltschaft und Aufsichtsrat von coop reagieren. Die führenden Gläubigerbanken geben dem in Geldnöten steckenden Unternehmen zunächst eine Überbrückungshilfe. Der Aufsichtsrat gelobt mehr Transparenz und Kontrolle und will die Auslandsbeteiligungen zurückholen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt, ob coop-Manager bei der Börseneinführung die Lage des Unternehmens richtig dargestellt haben.
21. 11. 88: Konzernchef Otto erklärt seinen Rücktritt.
22. 11. 88: Vier ausländische Banken - der Schweizerische Bankverein, die niederländische Amro Bank, die amerikanische Security Pacific National Bank und die schwedische Svenska Handelsbanken - wollen 72 Prozent des Kapitals übernehmen. Sie legen - gemeinsam mit der DG Bank und der BfG - für die 143 Gläubigerbanken der coop ein erstes Sanierungskonzept vor. Parallel wird die Börsennotierung zunächst ausgesetzt.
24. 11. 88: Der Aufsichtsrat beurlaubt Otto mit sofortiger Wirkung und schaltet die Prüfungsgesellschaft Treuverkehr ein.
25. 11. 88: Die 143 Gläubigerbanken der coop segnen das erste Sanierungskonzept ab.
17. 12. 88: Neben Otto werden auch seine Vorstandskollegen Werner Casper und Dieter Hoffmann vom Aufsichtsrat fristlos entlassen.
22. 12. 88: Einstimmige Wahl des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Hans Friderichs zum Aufsichtsratschef.
31. 1. 89: Für einen symbolischen Dollar kauft die coop AG ihre Auslandsbeteiligungen von der Briefkastenfirma Burlington in der Karibik zurück.
15. 2. 89: Erstmals taucht der offizielle Vorwurf der Bilanzfälschung (seit 1985) auf. Staatsanwaltschaft und BKA -Beamte durchsuchen bundesweit coop-Verwaltungen und die Wohnungen von vier ehemaligen Vorstandsmitgliedern.
16. 2. 89: Die coop-Aktie wird erneut an der Börse ausgesetzt. Die Eigentümerbanken widersprechen der Darstellung des Staatsanwalts, daß bereits 1985 in internen Berichten die Schulden sechsmal höher gewesen seien als im offiziellen Geschäftsbericht.
19. 2. 89: Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und NGG-Gewerkschaftschef Günter Döding begeht einen Selbstmordversuch, nachdem ihm vom 'Spiegel‘ die Annahme von Geschenken seitens des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Otto vorgehalten wurde. Otto agiert von Südafrika aus nur über Anwälte.
26. 2. 89: In der dramatischen Sitzung der 143 Gläubigerbanken wird der Konkurs in letzter Minute abgewendet. Die Banken stimmen dem Verzicht von rund einer Milliarde ihrer gesamten Forderungen von 2,5 Milliarden DM zu. Die Industrie AG soll zum Preis von 260 Millionen DM verkauft werden.
28. 2. 89: Coop-Sanierer Friderichs schildert mit seinem Stab erstmals das unübersehbare Geflecht der über 300 Einzelfirmen von coop. Er bestätigt, daß die coop bereits seit 1982 rote Zahlen schreibt. Zur Sanierung sollen zunächst 350 der 2.200 Filialen unter die Lupe genommen werden.
1. 3. 89: Die Banken erklären formell ihren Verzicht und segnen damit endgültig den zweiten Sanierungsplan ab. Die seit dem 16.Februar ausgesetzte Aktiennotierung wird wieder aufgenommen. Der erste Kurs beträgt 210 DM.
17. 3. 89: Im Rahmen von Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes werden Wohnungen und Büroräume von ehemaligen und amtierenden coop -Aufsichtsräten untersucht. Die Verdächtigten weisen wenige Tage später die gegen sie erhobenen Vorwürfe der Bilanzfälschung und der Untreue zurück.
8. 5. 89: Die beiden Prüfungsgesellschaften ATH und GWP wiederrufen ihre Testate für die coop für die Jahre 1986 und 1987. Damit bestätigt sich der Verdacht auf Bilanzfälschung.
18. 5. 89: Während der außerordentlichen Aufsichtsratsitzung in Frankfurt kündigt Friderichs ein Sanierungskonzept nach der Sommerpause an. Die Prüfungsarbeiten für die umfangreichen Auslandsgesellschaften der coop sind immer noch nicht abgeschlossen, der Konzernabschluß 1988 kann nicht im normalen Zeitrahmen erstellt werden. Friderichs schildert vor 400 Aktionären nochmals die komplizierten Hintergründe und gibt einen Sanierungszeitraum von fünf Jahren vor. Die Hauptversammlung wählt neue Aufsichtsratsmitglieder, nachdem Mandate teilweise niedergelegt wurden.
31. 8. 89: Gläubigerbanken sprechen nach einer Sitzung von einer „sanierungsfähigen und sanierungswürdigen“ coop.
8. 9. 89: Nachdem die Wirtschaftsprüfer für 1988 für coop eine Überschuldung festgestellt haben, wird den Gläubigerbanken ein noch größerer Verzicht abverlangt. Im bereits dritten Sanierungsplan sollen sie nun auf 80 Prozent oder 2,23 Milliarden DM verzichten. Die Frist läuft bis zum 11.September, ansonsten ist der Gang zum Konkursrichter erneut unvermeidbar. Die coop-Aktie wird ausgesetzt.
11. 9. 89: Nicht alle Banken haben ihr Einverständnis erklärt. In Krisensitzungen wird geprüft, ob der Forderungsverzicht auch ohne die Verweigerergruppe zur Abwendung der Pleite ausreicht.
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