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PASSAGEN-WERKELEIEN

■ Wiedereröffnung des „Excelsior„-Lichtspielhauses als „Passage„-Kino in Neukölln

In Neukölln zieht der Kulturoptimismus ein. Erst wurde der Körnerpark zum Galeristentreffpunkt, nun eröffnet an zentraler Stelle, gleich hinter McDonald's, auch noch ein Kino. Dazu kommt im nächsten Frühjahr dann noch die Wiederinbetriebnahme des benachbarten „Saalbaus“.

Das ab heute geöffnete, einstmalige „Excelsior“ heißt nun „Passage„-Kino. Es befindet sich in einem vierstöckigen Gebäude zwischen Karl-Marx- und Richardstraße, das 1909 von dem Architekten Hoppe als „Gesellschaftshaus“ konzipiert worden war. Das von Rundsäulen getragene Haus, dessen überbautes Erdgeschoß einen Durchgang zwischen den beiden Straßen freiläßt, knüpfte an die damals in europäischen Großstädten beliebte Passagen-Bauweise an. Konsumieren und Lustwandeln unter Dächern war die Devise. Zwischenzeitlich verkam diese Tradition; seit einigen Jahren wird vehement versucht, sie wiederzubeleben. In diesen Trend fällt auch die Restaurierung des Neuköllner Bauwerks, das seit 1985 unter Denkmalschutz steht und neben dem 1968 geschlossenen Kinosaal mit seinem großzügigen Foyer im Erdgeschoß noch die „Neuköllner Oper“ und das „Vineta Theater“ beherbergt. Ob ein Kinobetrieb dem einstmals als Treffpunkt der Bürger geplanten „Gesellschaftshaus“ seine ursprüngliche Funktion zurückzugeben vermag, darf man in dem Videothekenbezirk allerdings bezweifeln. Jedenfalls wird man demnächst in diesem Theater mit seinen jetzt drei Spielstätten „Batman“ bewundern können, ohne extra zum Kudamm zu fahren.

Der große Saal des 1910 eröffneten „Excelsior“ wurde aufwendig restauriert. Das Kino, das damals 500 Personen Platz bot, faßt nach dem Einbau eines neuen Vorführraumes und eines Schachtelkinos dahinter heute nur noch 300 Zuschauer. Die historische Gebäudesubstanz ist relativ gut erhalten , die letzten zwanzig Jahre befand sich dort ein Möbelladen, der wenig Schaden anrichtete.

Die gesamte Baumaßnahme verschlang 4,5 Millionen Mark. Von Bausenat und Landeskonservator flossen knapp eine Million, der Eigentümer des Hauses butterte 500.000 Mark dazu, und der neue Betreiber des Kinos, die Kloster-Gruppe, investierte 3 Millionen. Worauf die Firma nicht ungern verweist, ginge es ihr doch um das kulturelle Wohl der Bezirke und ihrer wenigen, noch verbliebenen Kinos.

So kaufte sich Kloster in den letzten zehn Jahren ein kleines Kino-Imperium zusammen, das in Berlin bei der Anzahl der Spielstätten immerhin zur Nummer zwei hinter dem Kinomogul Riech mit seinen UFA-Sargpalästen avancierte. Um an die lukrativ einträglichen, meist amerikanischen Großproduktionen zu kommen, brauchte Kloster neben den schon vorhandenen Kinos wie Broadway, York, Odeon, Off und seit einem guten Jahr auch dem Babylon ein großes, attraktives Haus. Denn in dem harten Konkurrenzkampf der Betreiber, um die Erstaufführungsrechte der kommerziellen Filme braucht man möglichst ein Kinocenter mit einem großen Saal mit über 250 Plätzen. Daneben bedarf es kleinerer Kinos wie der „Passage“ 1 und 2 mit 70 beziehungsweise 130 Plätzen, um die Spieldauer, die in den Knebelverträgen der Verleiher oft vor dem Start des Filmes festgelegt wird, künstlich aufzublähen. Ob den Film nur zwanzig Leute in einem Schachtelkino sehen oder zweihundert in einem großen, ist unter diesem Aspekt gleichgültig, Hauptsache der Film läuft und der Personaleinsatz wird minimiert.

Im großen Saal, der sich über das erste und zweite Geschoß erstreckt, darf nun endlich wieder der Eierstuck golden schimmern. Die hölzernen Bogenfenster wurden repariert, so daß der Saal auch für Veranstaltungen mit Tageslicht zu nutzen ist. Den imposantesten Einfluß auf die Raumoptik entwickelt hingegen die in einem großflächigen Kastenmuster gehaltene Decke. In der Mitte schmückt sie ein kreisrunder Kronleuchter mit nackten Glühbirnen. Die Hängekonstruktion erstreckt sich über den zur Leinwand hin elegant geschwungenen Balkon. Dem Saal haftet eine eigenwillige, einnehmende Atmosphäre an, die wie eine Reminiszenz an die goldenen, aber längst vergangenen Zeiten der Filmkunsttheater anmutet.

„Die ganze Ausstattung atmet Vornehmheit und Gediegenheit ... die eigentliche Vorstellung brachte Ereignisse aus allen Ländern, die an Deutlichkeit und Klarheit nichts zu wünschen übrig ließen“, vermerkte die Rixdorfer Zeitung 1910. Allerdings nicht wegen der für Kaiserszeiten offenen Berichterstattung, sondern weil er „das berühmte Flimmern und Flackern“ vermißte. 1918 wurde das Kino geschlossen und diente dem revolutionären Volk als Versammlungssaal. Hier sprachen Willi Münzenberg und Karl Liebknecht zum Neuköllner Proletariat. Glücklicherweise für damalige Kinofans wehrte die Revolte nicht lange, und so konnte das Haus rechtzeitig zum zweiten Berliner Kinoboom 1919 als „Schauburg“ wieder die Tore öffnen. Zu den Stummfilmen lief nun auch ein Grammophon. Auch „freizügigere“ Filme kamen wegen der gelockerten Zensurbestimmungen ins Programm. Es gab sogar Tanz vorm Film, Esther Carena präsentierte ihre „wundervollen Tanzphantasien“ zum Streifen „Die von der Liebe leben“.

Heute nachmittag findet in dem Gebäudekomplex ein Tag der offenen Tür und ein Hoffest statt. Es werden Kurzfilme, Trailer und Getränke „zu Dumpingpreisen“ verabreicht. Sicherlich eine erfolgversprechende Strategie, der Kulturwüste in diesem Viertel nicht nur mit Filmen, sondern auch mit billigem Bier zu Leibe zu rücken.

Andreas Becker

Tag der offenen Tür von 12 bis 17 Uhr in der „Passage“, Karl -Marx-Straße 131. Ab 18 Uhr der neue „Indiana Jones“.

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